_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Vom Acker auf den Tisch - globale Landwirtschaftsbilanz mit sonstigen Verwendungen, Verlusten und Abfall

 

4. Nahrungsmittel - Verwendung, Verluste, Abfall

Die globale Rohernte der Landwirtschaft betrug 2009 7567 Mio. t, also über eine Tonne pro Person (6,8 Mrd. Menschen) (s. auch Landwirtschaft Flächennutzung). Die Ernte umfasst neben reinen Nahrungsmittelpflanzen auch solche, die als Tierfutter verwendet werden, für Kleidung (z.B. Baumwolle), für Biotreibstoffe oder industrielle Zwecke (z.B. Ölpflanzen). Daneben entstehen in der Verwendungskette Verluste, vom Acker über Lagerung, Verarbeitung, Transport, beim Händler, und zuletzt durch Abfall beim Endverbraucher.

Welcher Bruchteil der Rohernte wird tatsächlich gegessen?

Die folgende Tabelle, die aus Datenkonsistenzgründen das Jahr 2007 mit 7261 Mio. t globaler Rohernte beschreibt, liefert hierzu Zahlen.

Quellen (abgerufen 13.11.11):
a) linker oberer Kasten: FAO (FAOSTAT / Food Balance Sheets / Commodity Balances / Crops Primary Equivalent), Zahlen gerundet, Prozentzahlen errechnet
b) "Korrektur aus Verarbeitung" (rote Zahlen): "Abfall/Futter/Nahrung" aus FAO wie (1); "Treibstoff" berechnet mit Treibstoffmengen aus bio-sprit.ch, (PDF-Kopie) und mit Rohstoffverhältnissen aus OECD-FAO Agricultural Outlook 2011-2020 / Biofuels (dort: "Full Outlook Chapter"). Berechnungsmethode siehe weiter unten im Text, Zahlen gerundet.
c) "Korrektur FAO-Studie" (blaue Zahlen): Schätzung aus Daten der FAO-Studie Global Food Losses and Global Food Waste (2011). Erläuterungen weiter unten im Text.
Anmerkungen:
(1) Hochrechnung aus Prozentzahlen der Top-15-Ernten
(2) Daten sind nicht völlig konsistent, deshalb betragen die Prozentsummen regelmäßig nicht genau 100 %.
(3) "Abfall auf dem Feld" - rote und blaue Zahl beinhalten zusätzlich Verlust aus Zuckerrohrverarbeitung
     Weitere Anmerkungen werden im Text erläutert.








   

Der linke Kasten der Tabelle (schwarze Zahlen) zeigt den Blick vom Acker aus, und ordnet die Ernte, nach Abzug der Ernteverluste, den Verwendungen zu, wie Saatgut, Futter, Nahrungsmittel, und weitere Verarbeitung.
Die Spalte "Verarbeitung" wurde bei den wichtigsten Werten detaillierter untersucht (rote Zahlen).
Von oben nach unten:

  • Von Mais wird 8 % der Rohernte durch Vergärung der Stärke weiterverarbeitet zu Bioethanol. 
  • Die Sojabohne als weltweit wichtigste Ölsaat, die 18 % Öl und 28 % Eiweiß enthält, wird zur Ölgewinnung gepresst. 72 Teile der Rohernte werden als Sojakuchen (Sojamehl) verfüttert, aus dem Öl dienen 11 Teile der Ernährung und 3 Teile der Biodieselherstellung.  
  • Gerste: Die Hälfte der Verarbeitung (10 Teile) dient der Malzherstellung für Bier und Spirituosen.
  • Raps ist wie Soja eine Ölsaat. 49 Teile der Rohernte dienen als Rapskuchen der Tierernährung, vom gewonnenen Öl dienen 18 Teile der Ernährung und 16 % der Biodieselherstellung.
  • Baumwolle wird nicht für Nahrungszwecke verwendet.
  • Auch die Erdnuss wird zur Ölproduktion verwendet. 19 Teile der Rohernte werden als proteinreicher Kuchen verfüttert, 11 Teile dienen als Öl der Ernährung.
  • Aus Zuckerrohr, dem vor der Zuckerrübe wichtigsten Zuckerlieferanten, wird durch Pressen Saccharose-haltiger Saft gewonnen. Der durch Kristallisation gewonnene Zucker sowie die verbleibende Melasse liefern eine Ausbeute von etwa 12 % aus der Rohernte. 10 Teile werden als Nahrungsmittel verwendet, 2 Teile dienen der Vergärung und Weiterverarbeitung zu Bioethanol. 
  • Auch die Sonnenblume ist eine Ölsaat. Etwa die Hälfte landet als Kuchen im Futtertrog, etwa 30 Teile der Rohernte ergeben Nahrungsmittel-Öl (Zahlen in Tabelle nicht angegeben).


Ernteverwendung für die Biotreibstoff-Herstellung

   
   
    Entwicklung der globalen Bioethanol- und Biodieselproduktion 2008-2020, mit Angabe der Rohstoffe   
  Quelle:
OECD-FAO Agricultural Outlook 2011-2020 / Biofuels (dort: "Full Outlook Chapter")
   

2007 wurden weltweit etwa 50 Mio. m3 Bioethanol und 10 Mio. m3 Biodiesel hergestellt (bis 2011 haben sich diese Zahlen mehr als verdoppelt). Bioethanol stammt hauptsächlich aus USA (Mais) und Brasilien (Zuckerrohr), wohingegen Biodiesel schwerpunktmäßig in Europa hergestellt wird (Raps, Sonnenblumen), aber auch in USA (Soja) oder Südostasien (Palmöl) (Quelle: bio-sprit.ch, PDF-Kopie).
Für die Abschätzung der dafür benötigten Erntemengen in der Haupttabelle (Spalte "Treibstoff") wurde auf eine Analyse der OECD zurückgegriffen, siehe Abbildungen rechts. Vereinfachend wurde abgelesen, dass Bioethanol zu 3/5 aus Mais (stellvertretend für "corse grains") und zu 2/5 aus Rohrzucker ("sugar cane") hergestellt wird. Biodiesel wurde zu 100 % der Herstellung aus pflanzlichem Öl (Soja, Raps, Sonnenblumen) zugeordnet.

Ausbeute-Nebenrechnung:
Bioethanol: Chemische Reaktionsgleichung: C6H12O6 (Zucker) --> 2 C2H5OH (Ethanol) + 2 CO2 + 2 H2
Molgewicht von Zucker = 180 g/mol, Molgewicht von Ethanol = 46 g/mol --> die theoretische Ausbeute entspricht (2x46)/180 = 51 %. Schätzt man die Reaktionsverluste mit 10 %, verbleiben 46 % reale Ausbeute.
Benötigter Mais-Zucker: 50 Mio. m3 (Ethanol) x 0,8 g/l (Dichte) x 3/5 x 1/0,46 (Ausbeutefaktor) = 52 Mio. t (Zucker). Diese Zuckermenge entspricht grob den 8 % "Mais für Treibstoff" der ersten Tabelle (63 Mio. t).
Benötigter Zuckerrohr-Zucker: 50 Mio. m3 (Ethanol) x 0,8 g/l (Dichte) x 2/5 x 1/0,46 (Ausbeutefaktor) = 35 Mio. t (Zucker). Diese Zuckermenge entspricht etwa den 2 % "Zuckerrohr für Treibstoff" der ersten Tabelle (32 Mio. t).     
Biodiesel: Chemische Reaktionsgleichung: Pflanzensäuretriglyzerid + 3 MeOH (Methanol) --> Glyzerin + 3 Pflanzensäuremethylester
Die theoretische Ausbeute beträgt nahe 100 %, die reale Ausbeute wird mit 90 % angenommen.
Benötigtes Pflanzenöl: 10 Mio m3 (Biodiesel) x 0,9 g/l (Dichte) x 1/0,90 (Ausbeutefaktor) = 10 Mio. t (Pflanzenöl).
Diese Ölmenge entspricht überschlägig den 3 % "Soja für Treibstoff" (7 Mio. t) + 16 % "Raps für Treibstoff" (8 Mio. t) der ersten Tabelle (Summe 15 Mio. t).
 



Abfälle nach der Ernte

 
 
Verluste der Rohausbeute über verschiedene Stufen, aufgegliedert nach Regionen
Beispiel oben: Getreide; Beispiel unten: Wurzeln und Knollen

Balken von unten nach oben: Acker / nach Ernte / Verarbeitung / Verteilung / Konsum
Quelle:
FAO-Studie Global Food Losses and Global Food Waste (2011)
   

Eine Studie der FAO aus dem Jahr 2011 schätzte die globalen Gesamtverluste nach der Rohernte ab. Die Studie bezieht sich nur auf Ernte, die für den menschlichen Verzehr gedacht ist, und unterscheidet die Verluststufen: Auf dem Feld / Nach der Ernte inklusive Lagerung und Transport / Verarbeitung / Vermarktung / Konsum beim Endverbraucher. Die Graphiken rechts zeigen beispielhaft zwei Erntegruppen mit einer Aufteilung nach globalen Regionen.
Die Studie ergab eine Gesamtverlustmenge in der (menschlichen) Nahrungskette von 1300 Mio. t.
In der Haupttabelle sind die Abfälle nach der Ernte in blauen Zahlen (rechte Spalten) eingetragen.

Nebenrechnung: In der Haupttabelle wurden als "Korrektur FAO-Studie" (blaue Zahlen) drei Abfallarten ergänzt, deren Prozentzahlen nach Erntegruppen (Getreide / Öl- und Hülsenfrüchte / Wurzeln und Knollen) aus den Graphiken global geschätzt, und für die großen Nahrungsmittellieferanten eingetragen. "Abfall Konsum" wurde von "Nahrung" abgezogen, "Abfall nach Ernte" und "Abfall Transport, Lager" proportional von "Futter" und "Nahrung". Kontrollrechnung: Die vier Abfallarten (ohne den Ausbeuteverlust bei der Zuckerrohrverarbeitung) ergeben ca. 1300 Mio. t, entsprechend der Summenzahl der Studie.










Die folgende Tabelle zeigt beispielhaft regionale Durchschnittszahlen "Abfall beim Verbraucher":

Region Getreide (inkl. Reis)
Früchte / Gemüse
Fleisch
Europa 25 %
19 %
11 %
Region USA 27 %
28 %
11 %
Region China 20 %
15 %
8 %
Südostasien 3 %
7 % 4 %








Ein deutscher Presseartikel (Quelle) beschreibt dies mit folgenden Worten:
"21 Prozent aller Lebensmittel, die deutsche Privathaushalte kaufen, [landen] letztlich nicht auf dem Esstisch, sondern im Mülleimer. Pro Jahr sind das 6,6 Millionen Tonnen, ... und pro Person etwa 80 Kilogramm jährlich."

Eine weitere Pressenotiz (sueddeutsche.de vom 20.7.2008):
"Brot galt einmal als heilig. Heute wird ohne viel Aufhebens etwa jedes fünfte Brot weggeworfen. 'Es wird wesentlich mehr produziert, als benötigt wird', stellt Peter Lechner, Chef des Wiener Uni-Instituts fest.
Wer für diese Situation verantwortlich ist, das ist schon fast eine philosophische Frage. Der Handel jedenfalls hat die Schuldigen längst gefunden: Die Verbraucher, die immer das volle Sortiment verlangten." 

Letztlich werden also, nach Abzug aller Fremdverwertungen und Verluste, ca. 1735 Mio. t. Nahrungsmittel vom Acker gegessen, von einer Rohernte von ca. 7261 Mio. t (bzw. ca. 5800 Mio. t nach Zuckerrohrverarbeitung), also 24 % (bzw. 30 %).



Gesamtbilanz der pflanzlichen plus tierischen Ernährung

Die Hinzufügung von Landtier- und Fischprodukten
(Daten aus Fische und Meeresfrüchte übernommen), siehe die folgende Tabelle, ergibt gesamt 2717 Mio. t/a Lebensmittel, auf einen Getreidenährwert umgerechnet (300 kcal/100g) 2032 Mio. t/a Getreideäquivalente.

   
     


2007 lebten etwa 6,6 Mrd. Menschen. Damit standen pro Person im Durchschnitt 2531 kcal/Tag zur Verfügung.
(Nebenrechnung: 2032 Mio t / 6600 Mio Menschen * 1000 kg/t *3000 kcal/kg / 365 Tage = 2531 kcal/Tag)
Davon sind etwa 85 % pflanzliche Nahrung.

Der durchschnittliche Bedarf (alters-,geschlechts- und arbeitsabhängig) wird mit 2300-2500 kcal/Tag angegeben.
(Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, 2008)
Etwa eine Millarde Menschen hungern, genausoviele Menschen sind übergewichtig.

Kommentar: Die durchgeführten Berechnungen sind aufgrund der Methodik mit Ungenauigkeiten behaftet; die Größenordnungen und Verhältnisse von Erzeugung, Verwendung, Verlusten ist jedoch gut zu entnehmen.

Stand November 2011