_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

IUCN - Red List of Threatended Spezies: Die "Rote Liste" gefährdeter Arten - ein globaler Indikator

 

Artensterben heute: Die "Rote Liste gefährdeter Arten" - Stand 2012

 
  Hirnkoralle, Bonaire, Kleine Antillen (Karibik), 2006
                
Von den Hirnkorallen (Famlie Faviidae mit über 25 Gattungen) sind in der Roten Liste etwa 130 Arten erfasst.
                 Davon sind etwa 24 gefährdet (1)


Die Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for the Conservation of Nature), das größte globale Naturschutznetzwerk, das von über 200 staatlichen und über 900 nichtstaatlichen Organisationen gefördert wird (2), veröffentlicht seit 1966 die sogenannte "Rote Liste" gefährdeter Arten.  

Die "Rote Liste" hat folgende Kategorien: (die Bedingungen sind verkürzt dargestellt)

  • Ausgestorben (extinct) oder in der Wildnis ausgestorben (extinct in the wild)
  • Vom Aussterben bedroht (critically endangered): 90 % Populationsrückgang in drei Generationen oder 10 Jahren (längerer Wert gilt), sofern Datenlage eindeutig ist; bei unklarer Datenlage 80 %.
    Oder: Populationsabnahme, sofern Gebiet des Vorkommens < 100 km2 oder Brutgebiet (o.ä.) < 10 km2.
    Oder: Abnahme einer Population von < 250 erwachsenen Individuen.
    Oder: Population < 50 erwachsene Individuen.
  • Stark gefährdet (endangered): 70 % Populationsrückgang in drei Generationen oder 10 Jahren (längerer Wert gilt), sofern Datenlage eindeutig ist; bei unklarer Datenlage 50 %.
    Oder: Populationsabnahme, sofern Gebiet des Vorkommens < 5000 km2 oder Brutgebiet (o.ä.) < 500 km2.
    Oder: Abnahme einer Population von 2500 erwachsenen Individuen.
    Oder: Population < 250 erwachsene Individuen.
  • Gefährdet (vulnerable): 50 % Populationsrückgang in drei Generationen oder 10 Jahren (längerer Wert gilt), sofern Datenlage eindeutig ist; bei unklarer Datenlage 30 %.
    Oder: Populationsabnahme, sofern Gebiet des Vorkommens < 20000 km2 oder Brutgebiet (o.ä.) < 2000 km2.
    Oder: Abnahme einer Population von 10000 erwachsenen Individuen.
    Oder: Population < 1000 erwachsene Individuen.
  • Gering gefährdet (near threatended): Knapp außerhalb der Kriterien für "gefährdet" oder mit entsprechender Prognose.
  • nicht gefährdet (least concern): Alle anderen Spezies.
  • ungenügende Daten (data deficient): Die Datenlage erlaubt keine Zuordnung
 
  Proportionen der Spezies in verschiedenen Bedrohungskategorien,
zusammengestellt aus 47677 Spezies-Datensätzen der IUCN-Roten Liste
Schwarz: Ausgestorben; rot vom Aussterben bedroht; orange: stark gefährdet; gelb: gefährdet; hellgrün: gering gefährdet; grün: nicht gefährdet; grau: ungenügende Daten

Quelle: Global Biodiversity Outlook 3, 2010 (3)

Im weiteren wird der Begriff "gefährdet", sofern nicht anders vermerkt, für die Summe der drei Kategorien "vom Aussterben bedroht", "stark gefährdet" und "gefährdet" verwendet.

Die Graphik rechts zeigt alle ca. 50 000 erfaßten Arten der Roten Liste bezüglich ihrer Gefährdungseinteilung (Stand 2010). 36 % der erfassten Spezies sind gefährdet (rot+orange+gelb; ohne Berücksichtigung der mangelhaften Datensätze, grau).
Vorsicht bei der Interpretation: Dies bedeutet nicht, dass 36 % aller Arten gefährdet ist, siehe Text zur folgenden Tabelle.

Auf welchen Zeitraum bezieht sich "ausgestorben"? Dem Autor gelang es nicht, in der Roten Liste eine Definition zu finden; bei stichprobenartiger Überprüfungen einzelner "ausgestorbener" Spezies lag das beschriebene Aussterbedatum meist im Bereich der letzten Jahrzehnte. Einige wenige Meldungen gehen bis ins 19. Jh. zurück.



 


 

 
   Quelle: Daten aus IUCN Red List, 2012 (4); Auswertung durch G. Mair

 


Die obige Tabelle zeigt die Problematik, aus Einzeldaten statistische Aussagen ableiten zu können, in Zahlenform.
Die Taxa sind nach gut erforschten Gruppen (z. B. Säugetiere, Nacktsamer), großen Gruppen (z. B. Insekten, Blütenpflanzen, Spinnentiere, Mollusken) sowie Sonstigen sortiert.
Die erste Zahlenspalte nennt die bekannten Arten (in Summe 1,7 Mio.). Hier beginnt bereits die statistische Unsicherheit, denn der Prozentsatz an unbekannten Arten (grob geschätzt 10 Mio.) verteilt sich ungleichmäßig auf die Taxa: Wirbeltiere und Nacktsamer beispielsweise sind nahezu alle bekannt, von allen Pflanzen ca. 90 %, von den Insekten z. B. jedoch nur ca. 10 % (siehe auch Graphik in "Artenvielfalt").  
Die zweite und dritte Spalte zeigt die in der Roten Liste evaluierten Speziesanzahlen sowie deren Prozentsatz. Taxa, auf die sich das Artenschutzinteresse konzentriert (wie z. B. Säugetiere, Vögel, Amphibien, Wirbeltiere allgemein, aber auch Korallen) sind mit Erfassungsanteilen von 100-30 % gut untersucht. Schon bei Blütenpflanzen, die zwar weitgehend bekannt sind, beträgt der Untersuchungsgrad der Roten Liste nur 5 %, ein Problem der hohen Anzahl. Insekten, die meisten weiteren wirbellosen Tiere, Pilze, Flechten, Algen sind noch niedriger, häufig zu unter 1 %, evaluiert.
Die Anzahl aller bedrohten Arten laut Roter Liste (Spalte 4), und deren Prozentsatz (Spalte 5), im Durchschnitt etwa die schon oben genannten grob 30 % (Stand 2012), ist daher als Prozentsatz nicht aussagekräftig. Die echte Zahl kann niedriger liegen (durch bevorzugte Untersuchung potentiell bedrohter Arten in der Roten Liste, vielleicht werden "nur die Risiken gezählt"), sie kann aber auch höher liegen, z. B. bei den Insekten oder Kleinlebewesen, weil dort möglicherweise Risiken bestehen, die mangels Kenntnis der Arten noch nicht einmal ansatzweise bekannt sind.
Nur bei Taxa, die sowohl weitgehend bekannt als auch weitgehend durch die Rote Liste abgedeckt sind, geben Prozentzahlen (Spalte 5, Fettdruck) verlässliche Aussagen. Somit lauten die
verlässlichen Gefährdungsanteile für die Taxa Säugetiere 21 %, Vögel 13 %, Amphibien 30 %, Nacktsamer 37 %.
 

 
                                    Bedrohungsstatus für umfassend bewertete Taxa
Für Libellen (dragonflies) und Reptilien wurden randomisierte Stichproben von je 1500 Spezies gebildet. Für Korallen sind nur riffbildende Warmwasserkorallen dargestellt.
Spezies des linken Säulendiagramms von rechts nach links: Vögel, Amphibien, Säugetiere, Reptilien, Libellen, Süßwasserkrabben, Korallen, Süßwasserfische, Koniferen, Palmfarne 
Quelle: Global Biodiversity Outlook 3, 2010 (5)

Um das Problem der systematischen Fehler zu vermeiden, sind in den Balkendiagrammen rechts nur umfassend bewertete Taxa dargestellt, darunter einige Wirbeltiergruppen sowie ausgewählte andere.
Die Diagramme veranschaulichen die absoluten Spezieszahlen sowie deren Gefährdungsgrad. Das rechte Diagramm stellt eine Vergrößerung der "gefährdeten" Arten (inklusive ausgestorben) dar.
Man kann z. B. ablesen, das von den Wirbeltieren die Amphibien sowohl im Prozentsatz als auch in absoluter Zahl der Spezies am höchsten gefährdet sind.

 

 

 
Arterhaltungszustand von Heilpflanzen in verschiedenen geographischen Regionen
"Das größte Aussterberisiko besteht in den Regionen, Afrika, Südamerika und Pazifik, in denen Heilpflanzen am meisten genutzt werden"
Quelle: Global Biodiversity Outlook 3, 2010 (6)
 



Die Graphik links zeigt ein Beispiel aus dem Pflanzenreich, nämlich diejenigen, die als Heilpflanzen verwendet werden.

Es folgt ein Zitat aus GBO3 (Übersetzung durch G. Mair, (6)):
(Spezies, die als Nahrung oder Medizin verwendet werden, haben allgemein ein höheres Aussterberisiko als andere.) "Dies betont, dass Biodiversitätsverlust direkt die Gesundheit und das Wohlergehen von Millionen Menschen bedroht, durch die [mangelnde] Verfügbarkeit wilder Spezies. Z. B. hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) abgeschätzt, dass in Ghana, Mali, Nigeria und Samiba 60 % der fieberkranken Kinder zuhause mit Heilkräutern behandelt werden, oder dass in einer Region Nepals 450 Pflanzenarten im allgemeinen Gebrauch für medizinische Zwecke genutzt werden. Weltweit sind etwa 80 % der Bevölkerung in Entwicklungsländern auf traditionelle Medizin angewiesen, die im wesentlichen von Pflanzen stammt. Obwohl globale Daten für Pflanzen nicht verfügbar sind, kann gesagt werden, dass Heilpflanzen einem hohen Aussterberisiko unterliegen gerade in den Regionen der Erde, in denen die Menschen am abhängigsten davon sind für ihre Krankenpflege oder für ihr Einkommen durch Sammeln - namentlich Afrika, Asien, die Pazifikregion und Südamerika.

 

Die folgenden Balkendiagramme zeigen, wieder anhand von weitgehend komplett untersuchten Zeiger-Gruppen, die Verteilung von Spezies, deren endemischen Anteil und deren Gefährdungsgrad als Funktion der acht ökologischen Großgebiete (biogeographical realms) (Zur Erläuterung der Gebiete siehe auch Karte bei "Artenvielfalt").
Man kann ablesen, dass die Tropen, allen voran Südamerika, aber auch Australien, Afrika und Indomalaysia, die größte Artenvielfalt besitzen (oben links), darunter bis zu ca. 90 % endemische Arten (Südamerika, Australien, Afrika) (oben rechts).
Unten ist die Zahl der bedrohten Spezies dargestellt (mit den oberen Balkendiagrammen nicht vollständig vergleichbar, da die Reptilien fehlen), unten rechts deren Prozentsatz. Der durchschnittliche Gefährdungsgrad von etwa 15 % hat Spitzenwerte von bis zu über 25 % in Ozeanien, Südamerika und Indomalaysia.
Amphibien sind anteilmäßig stärker bedroht als Säugetiere und Vögel (unten links).
Die Gefährdungszahlen decken sich qualitativ mit den globalen Angaben der Roten-Liste-Zahlentabelle weiter oben.

   
Biogeographische Großgebiete v.l.n.r.:

Australien
Antarktis
tropisches Afrika
Indomalaysia
Nordamerika
Süd-/Mittelamerika
Ozeanien
Eurasien

Siehe
Karte
 
                                             Datensätze in Bezug auf die acht ökologischen Großgebiete
oben: Amphibien, Vögel, Säugetiere, Reptilien; links, A: alle Arten,         rechts, C: endemische Arten
unten: Amphibien, Vögel, Säugetiere;                
links: bedrohte Arten     rechts: Prozentsatz bedrohter Arten
Quelle: Millenium Ecosystem Assessment 2005 (7)





Literatur:
(1) IUCN-Red List, "Rote Liste der gefährdeten Arten" , zitierte Daten aus Version 2012.2, abgerufen 28.1.13
(2) International Union for the Conservation of Nature (IUCN), abgerufen 28.1.13
(3) Global Biodiversity Outlook 3 (GBO3), dort "Species populations and extinction risks", Abb. 3, abgerufen 28.1.13
(4) IUCN-Red List, dort "about" / "summary statistics", Tab.1, abgerufen 20.1.13
(5) GBO3 wie (3), Abb. 4, abgerufen 28.1.13
(6) GBO3 wie (3), Abb. 6 mit Text, abgerufen 28.1.13
(7)  Millennium Ecosystem Assessment (MEA), dort: Full Reports / Current States and Trends /Chapter 4 - Biodiversity: Seite 85 und 110 (Washington DC: World Ressources Institute, 2005)

 

   
  Buntspecht (Dendrocopos major), Deutschland, 2013
Der Buntspecht ist nicht gefährdet. Er kommt in den gemäßigten Breiten Eurasiens vor. Seine Population wird auf grob 100 Mio. Individuen geschätzt, davon ca. 1/3 in Europa, und wächst.
Quelle: IUCN-Redlist (1)
 


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