__________________________________ Das Buch: "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

______________________________________________ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen, COP 15

 

Weltnaturkonferenz Montreal 2022

Januar 2023

Auf dem "Erdgipfel" 1992 in Rio de Janeiro wurde unter dem Dach der Vereinten Nationen die Biodiversitätskonvention (1) verabschiedet, die heute von 196 Parteien unterzeichnet ist. Es sind alle Staaten vertreten außer den USA.
Die Parteien treffen sich regelmäßig mit dem Ziel, aktualisierte Beschlüsse zu treffen. Das jüngste 15. Treffen (COP 15 (2)) fand Ende 2022 in Montreal/Kanada statt.

Das beschleunigte Artensterben und seine Bewertung - aus anthropozentrischer Sicht das Risiko, durch Zurückgang oder Ausfall von "kostenlosen" Ökosystemdienstleistungen eine Verschlechterung der menschlichen Lebensgrundlagen zu bewirken - stand in der öffentlichen Wahrnehmung lange im Schatten der als dringender gesehenen Klimakrise. Dies scheint sich, global und auch in Deutschland, nun etwas geändert zu haben.

Obwohl die Faktenlage düster ist (siehe auch Zustandsbericht des Weltbiodiversitätsrats 2019), gilt wie bei den regelmäßig vereinbarten internationalen Klimazielen, dass die Beschlüsse der Weltnaturkonferenz erstens Kompromisstexte sind, um alle Mitglieder zur Zustimmung zu bewegen, und zweitens nicht oder nicht wirksam Kontrollen und Sanktionen unterliegen; sie sind also eher als Indikator zu sehen, wo die globale Meinung aktuell steht, wie das Problem bzw. die anstehenden Aufgaben strukturiert und welche Prioritäten gesehen werden. 

Es folgt eine Zusammenfassung der Beschlüsse der COP 15.

 
                COP 15 in Montreal Dezember 2022
Quelle: CBD 2022 (1)

Diese sind in sechs Beschlüsse gegliedert, nummeriert von 4-9 (3).

1. Rahmenwerk (Beschluss Nr. 4)

Zunächst wird die Motivation dargestellt: Biodiversität ist nicht nur Voraussetzung für alle Lebenssysteme der Erde, sondern damit auch fundamental für das menschliche Wohlergehen. Die Aussterberate ist heute bis zu über hundertemal so hoch wie im Durchschnitt der letzten 10 Millionen Jahre.
Als nächstes wird der Zweck erklärt: Das Rahmenwerk ist aktions- und ergebnisorientiert und möchte beratend im Prozess des internationalen Biodiversitätsschutzes wirken.
Sodann werden einige Überlegungen angestellt, die Wertesysteme beschreiben.

  • "Ureinwohner" (4) und "lokale Gemeinschaften" spielen eine wichtige Rolle und sind in ihren Rechten zu berücksichtigen.
  • Biodiversität kann einerseits rein anthropozentrisch als Überlebenshilfsmittel für die Erdbevölkerung gesehen werden, andererseits kann man ihr, allgemeiner ausgedrückt der Natur, auch eigene Rechte auf Überleben und Wohlergehen zuschreiben.
  • Der Erhalt der Biodiversität ist Aufgabe von allen, von den höchsten Regierungsebenen bis den Akteuren der Gesellschaft, d. h. von jedem. Es ist eine globale Aufgabe.
  • Es gilt das Prinzip der Intergenerations-Gerechtigkeit. 


Für 2050 werden als Vision vier Ziele formuliert:

  1. Alle Ökosysteme sind in einem besseren Zustand als heute. Das Artensterben ist um den Faktor 10 verlangsamt. Die genetische Vielfalt von wilden und domestizierten Spezies bleibt erhalten.
  2. Ökosystemdienstleistungen werden bewertet, erhalten und verbessert.
  3. Der finanzielle und sachliche Nutzen genetischer Ressourcen wird gerecht geteilt, unter Einschluss von Ureinwohnern und lokalen Gemeinschaften.
  4. Finanzierung, wissenschaftliche Kooperation, Technologietransfer, Fähigkeitserwerb und Schulung stehen allen Parteien zur Verfügung, auch mit Hilfe des Schließens einer 700 Mrd. US$/Jahr-Biodiversitäts-Finanzierungslücke.

Für 2030 werden 23 Ziele definiert. Diese werden drei Gruppen zugeordnet.

  • Biodiversität (Ziele 1-8)
    Die gesamte Erdoberfläche wird betrachtet, und der Verlust an ökologisch wichtigen Gebieten beträgt Null. 30% der Wasser- und Landfläche ist geschützt. 30% aller heute degradierten Ökosysteme unterliegen der Restauration. Management-Aktionen zum Stopp der Auslöschung gefährdeter Arten sind in Kraft. Die Ausbeutung wilder Spezies geschieht nachhaltig. Die Ausbreitung invasiver Arten ist reduziert. Verunreinigungen, inklusive Überdüngung, Pestizide und andere gefährliche Chemikalien sind auf die Hälfte reduziert. Klimawandelfolgen für die Biodiversität werden minimiert.
  • Nachhaltiges Handeln für menschliche Bedürfnisse (Ziele 9-13)
    Menschen in gefährdeten Situationen, Eingeborene und lokale Gemeinschaften werden besonders berücksichtigt, bezüglich des Nutzens und der lokalen Gepflogenheiten. Nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden in Fischfang, Aquakultur, Landwirtschaft und Forstwirtschaft sind sichergestellt. Naturbasierte Lösungen für Ökosystemdienstleistungen, wie Reinigung von Luft und Wasser, Erhalt guten Bodens oder Schutz vor Naturkatastrophen werden gefördert. Städte sind grüner und blauer (mehr Fläche und mehr Qualität für Pflanzen und Wasser). Maßnahmen zur gerechten Verteilung des Nutzens genetischer Ressourcen sind getroffen. 
  • Werkzeuge zur Implementierung (Ziele 14-23)
    Der externe Nutzen ("kostenloser" Nutzen) der Biodiversität wird in die betriebswirtschaftliche Rechnung mit einbezogen, auf allen Ebenen bis hin zum Bruttoinlandsprodukt der Nationen. Große Firmen und Institutionen sind in Bezug auf ihre Biodiversitätswirkung berichtspflichtig. Menschen werden motiviert und in die Lage versetzt, nachhaltige Konsumentscheidungen zu treffen. Nahrungsabfall ist halbiert, Überkonsum und Abfall wesentlich reduziert. Biotechnologie wird in Bezug auf ihr Sicherheitsrisiko überwacht. Anreize und Subventionen zum Schaden der Biodiversität sind bis 2025 identifiziert und bis 2030 global um mindestens 500 Mrd. US$/Jahr reduziert. Die Finanzierung wird auf mindestens 200 Mrd. US$/Jahr erhöht, mit einem Geldfluss von mindestens 30 Mrd. US$/Jahr von den reichen zu den armen Ländern. Die Rolle von biodiversitätsbezogenen Allmendeorganisationen, auch bei Ureinwohnern und lokalen Gemeinschaften, sowie gesellschaftlicher, nichtprofitärer Organisationen wird gestärkt. Schulung, Technologie und Wissenschaft werden besonders zwischen "Norden" und "Süden" ausgetauscht (5). Die jeweils aktuellen Daten sind frei verfügbar für Entscheidungsträger und Öffentlichkeit, Fakten- und Bewusstseinsbildung werden gefördert. Ureinwohner und lokale Gemeinschaften werden in ihren Rechten besonders berücksichtigt. Frauen haben diesselben Rechte und Pflichten wie Männer, hier auch in Bezug auf Zugang zu Naturressourcen und ihre Beteiligung am Umsetzen dieser Konvention.


Es schließen sich weitere Beschlüsse zur Umsetzung an. 

2. Datenmessung (Beschluss Nr. 5)
Die Schwerpunkte liegen auf Daten zu Ökosystemen, zu Ökosystemdienstleistungen und zur Finanzierung.
Einige Beispiele: Eine Rote Liste zu Ökosystemen, Messung von Populationsdaten, Pestizidkonzentration, Flächen der nachhaltigen Nutzung; Quantifizierung von Ökosystemdienstleistungen in Sacheinheiten (z. B. Luftreinigungsleistung) und in Geldeinheiten; Finanzzahlen zu internationalen, nationalen und privaten Budgets und Leistungen zum Erhalt und zur nachhaltigen Nutzung von Ökosystemen.
Die Liste ist sehr detailliert, und für einen Teil der Punkte wird festgestellt, dass noch keine anerkannten Messmethoden existieren und diese also noch entwickelt werden müssen.

3. Berichterstattung (Beschluss Nr. 6)      
Die Parteien (Länder) werden aufgefordert, nationale Handlungspläne entsprechend den vereinbarten vier bzw. 23 Zielen aufzustellen und diese im Ablauf zu kontrollieren. Die Ergebnisse sollen, in vereinheitlichter Form, regelmäßig an die COP gemeldet werden.

4. Ressourcen / Finanzierung (Beschluss Nr. 7)
Es wird festgestellt, dass ein (auch finanzieller) "Schnellstart" erforderlich ist, um die Ziele erfolgreich umzusetzen. Dazu werden grundsätzliche Forderungen geäußert, etwa dass die globale Finanzarchitektur umgestellt werden solle, um sie in die Lage zu versetzen, das Biodiversitäts-Rahmenwerk zu unterstützen. Es werden Tipps gegeben, bereits 2023-2024 Bausteine für die Ressourcenmobilisierung zu identifizieren, etwa schädliche Finanzströme zu reformieren und die effektive Verwendung von Ressourcen zu steigern. Zur Unterstützung der Länder wird eine beratende Abteilung bereitgestellt (siehe auch (2)). 2023 soll ein Unterstützungsfonds gestartet werden (6).

5. Fähigkeitserwerb und technische Zusammenarbeit (Beschluss Nr. 8)  
Es wird festgestellt, dass es Länder, Regionen und Menschengruppen gibt, die benachteiligt sind und Unterstützung bei der Umsetzung der Ziele benötigen. Genannt werden Entwicklungs- und Schwellenländer, kleine Inselstaaten; trockene, Gebirgs- oder Küstengebiete; Eingeborene und lokale Gemeinschaften; Frauen und Jugendliche. An die Staaten, aber auch an andere Akteure wie Universitäten, soziale Organisationen oder die Privatwirtschaft wird appelliert, den Fähigkeitsaufbau und -Transfer zu unterstützen.
Im Text klingt deutlich durch, dass der Rückgang der Biodiversität ein globales Problem ist und dass dieses optimalerweise auch global bearbeitet werden sollte - unter Betonung des Vorhandenseins wirtschaftlich benachteiligter Akteure.

6. Genetische Ressourcen (Beschluss Nr. 9)    
Die wirtschaftliche Verwertung von analysierten Gensequenzen vor allem wilder Spezies ist ein hochumstrittenes Einzelthema, da große Profite in der Zukunft erwartet werden. Wem gehören diese? Dem Eingeborenenstamm, in dessen Urwald die wirkungsvolle Pflanze gefunden wurde, oder dem Biotech-Unternehmen, das daraus ein Medikament entwickelte? Man ist an den klassischen Ressourcen-Kolonialismus erinnnert (Wer verdient an Ölquellen oder Rohstoffminen?). Dazu kommt die Frage nach der Patentierbarkeit - welche Informationen sind (wirtschaftlich) frei und welche nicht?
Hierzu hat die COP einen "Beschluss" formuliert, der jedoch nur feststellt, dass das Thema wichtig, umstritten und bisher ungelöst ist. Forderungen zur Gerechtigkeit zukünftiger international gültiger Festlegungen werden aufgestellt, und beschlossen, einen Vorschlag zu entwickeln, der auf der nächsten Konferenz (geplant 2024) finalisiert werden soll.


7. Bewertung

In der Presse (7) wurden als herausragende Ergebnisse das "30/30" Ziel (2030 30% der Erdoberfläche geschützt, das ist rund eine Verdoppelung für die Land- und eine Vervierfachung für die Meeresfläche), die Betonung der Rechte der Eingeborenen und lokalen Gemeinschaften (sie stellen fünf Prozent der Weltbevölkerung, aber beherbergen 80% der Biodiversität), die Verantwortung der Landwirtschaft und der Unternehmen (mit Berichtspflicht für die großen), das Ziel der Abschaffung schädlicher Subventionen (Streichung von 500 Mrd. US$/Jahr vs. Schaffung von 700 Mrd. US$/Jahr positiv wirkender Finanzierung) und die Schaffung eines Umsetzungsmechanismus genannt.
Es gilt allerdings, wie bei den diversen UN-Klimaschutzabkommen, dass säumige Staaten nicht sanktioniert werden, d. h. trotz der völkerrechtlichen Vertragskraft sind Ziele und Wege dorthin eher als Appell und Unterstützung für die "willigen" Vertragspartner zu sehen.

Wichtig ist jedoch, dass mit den Beschlüssen der COP 15 der Weltöffentlichkeit in verstärktem Maß das Problem des Biodiversitätsschwundes, die Quantifizierungsmethoden und die Handlungsmöglichkeiten ins Bewusstsein gerückt wurden. Auch die finanziellen Zahlen im Hundertmilliarden-Dollar-Bereich pro Jahr verdeutlichten die Gewichtigkeit der Aufgabe. Durch die mehrfache Betonung der Rolle eingeborener Völker und lokaler Gemeinschaften wurde dem generell üblichen Globalisierungs-Kapitalismus ein anderes Denkmodell entgegengesetzt. Speziell bei der Thematik der genetischen Sequenzierung wurde das Thema Gerechtigkeit priorisiert, auch dies üblicherweise nicht Fokus des wirtschaftlichen Handelns.

Wie wird es weitergehen? Wie beim Klimawandel, ebenfalls einer globalen Allmendesituation, wird sich die globale bis lokale kollektive Sicht- und Handlungsweise weiterentwickeln. Wie effektiv, das wird die Zukunft zeigen. Wir können es zu unserer Verantwortung machen, daran mitzuarbeiten.

Konkret besteht kein Grund zur Überheblichkeit etwa der EU - die europäische Agrarpolitik hat überaus negative Folgen für die Biodiversität; im EU-Agrarbudget von rund 400 Mrd. Euro sind leicht "schädliche Subventionen" in großem Maßstab zu entdecken. Vogel- und Insektensterben in Deutschland sprechen ebenfalls eine eindeutige Sprache. Wir - hier gemeint Deutschland und die EU - können gern auch vor der eigenen Haustür kehren.     

 

 

Quellenangaben und Anmerkungen
(1) CBD, Convention on Biodiversity, ein internationaler Vertrag; CBD
(2) CBD COP 15, Conference of the Parties. Diese "Konferenz", also die Parteien, stellen die Organisation dar. Sie wird unterstützt durch ein exekutives Sekretariat, eine wissenschaftlich-technische Abteilung und eine Abteilung, die sich um die Umsetzung kümmern soll. Zudem werden Arbeitsgruppen beauftragt.
(3) CBD, Meeting Documents COP 15
(4) Ureinwohner: Im Original "indigenous peoples", wörtlich übersetzt "eingeborene Völker". Gemeint sind wohl Stammesgruppen von Ureinwohnern der präkolumbianischen Besiedelung, die kulturell und teilweise lokal eigenständig vom Staat agieren, in dem sie leben, und dort eine unterrepräsentierte Minderheit darstellen.
(5) Mit "Norden" und "Süden" sind wohl Industrieländer und Entwicklungsländer gemeint. An anderer Stelle wird "developed countries" bzw. "developing countries" geschrieben.
(6) Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework Fund (GBF Fund); er soll von der Globalen Umweltfazilität (Global Environment Facility, GEF) verwaltet werden, dem größten internationalen Biodiversitäts-Fonds, der über eine Mrd. US$/Jahr verteilt.
(7) "Die Zerstörung stoppen", FAZ vom 20.12.22