Globale Artenvielfalt
Artenvielfalt - wieviele Spezies gibt es und wo leben sie?
Leguan (Iguana), Bonaire, Kleine Antillen (Karibik), 2006 |
oben: Schätzung der Anzahl bekannter und unbekannter Spezies von Eukaryoten [Lebewesen mit Zellkern] Deutsche Bezeichnung der Lebewesen von oben nach unten: Insekten, Pilze, Spinnentiere, Protoktisten, Fadenwürmer, Pflanzen, Mollusken, Krebstiere, Wirbeltiere (MEA 2005, nach Groombridge, Jenkins 2002) (1) rechts: Liste der bisher rund 1,8 Millionen beschriebenen Arten von Organismen (B. Baur 2010) (2) |
Heute sind etwa 1,8 Mio. Spezies identifiziert, und deren Gesamtzahl wird auf rund 10 Mio. geschätzt, wobei letztere Zahl naturgemäß mit einer großen Unsicherheit behaftet ist, es gibt auch Schätzungen zwischen 5 und 30 Millionen.
Zur Einführung in die Systematik der Lebewesen
Diese sind stammbaumartig in Gruppen (Taxa) eingeteilt: Drei Domänen (Archebakterien, Bakterien, Eukaryoten) teilen sich in Reiche (z. B. Pilze, Pflanzen, Tiere), darunter folgen Stämme/Abteilungen (z. B. Unterstamm Wirbeltiere), Klassen (z. B. Säugetiere), Ordnungen (z. B. Raubtiere), Familien (z. B. Katzen), Gattungen (z. B. Panther), Arten (z. B. Tiger).
Die Tabelle links oben
zeigt unterschiedliche Taxa sortiert nach vermuteter Anzahl an Spezies. Die Klasse der Insekten beinhaltet mit ca. 1 Mio. bekannten Spezies (schwarz dargestellt) mehr als die Hälfte aller bekannten Lebewesen. Es folgt das Pflanzenreich mit etwa 300 000 bekannten Arten. Wirbeltiere sind mit Pilzen, Spinnentieren, Protoktisten (alle Eukaryoten außer den Reichen der Tiere, Pflanzen, Pilze; z. B. Amöben und ein- oder mehrzellige Algen) und Mollusken (z. B. Schnecken und Muscheln) mit je etwa 50 000 Arten vertreten.
An der relativen Länge der grauen Balken (geschätzte Arten) erkennt man leicht, dass in den meisten Taxa nur ein geringer Bruchteil heute tatsächlich bereits bestimmt ist.
Eine Ausnahme machen die Pflanzen (da sie nicht weglaufen, ist eine vollständigere Aufnahme leichter), sowie die Wirbeltiere.
Die Liste rechts oben
ist nach Taxa sortiert (teilweise mit anderer Einteilung) und ergibt in Summe ebenfalls etwa 1,8 Mio. Spezies.
Wo leben diese Arten?
Die Erde wird üblicherweise in acht biogeographische Großgebiete (englisch: realms) aufgeteilt, die während der Kontinentalverschiebungen inselartig voneinander getrennt waren und deshalb in geologischen Zeiträumen unterschiedliche Entwicklungen von Flora und Fauna hatten. Sie entsprechen heute zum großen Teil den Kontinenten.
Unabhängig davon werden nach klimatischen Gesichtspunkten z. B. 15 Biome unterschieden, auch Ökoregionen genannt, wie z.B. tropischer Regenwald oder Tundra. Unterwasserbiome sind nach dem heutigen Stand der Wissenschaft schlecht definiert und hier nicht berücksichtigt (MEA (3)).
Die folgende Weltkarte zeigt die regionale Aufteilung von Großgebieten und Biomen.
Karte der biogeographischen Großgebiete und der Biome Kurzübersetzung der Biome v.o.n.u.: tropischer Regenwald / tropischer Trockenwald / tropischer Nadelwald / gemäßigter Laub- und Mischwald / gemäßigter Nadelwald / kaltgemäßigter Nadelwald (Taiga) / Tundra / mediterranes Klima / tropisches Grasland und Buschsteppe / gemäßigtes Grasland und Buschsteppe / Gebirgsgras- und Buschland / Sumpfland / Mangroven / Wüste und Halbwüste / Fels und Eis Quelle: MEA (3) |
Artenreichtum über 5-Breitengrade-Bänder für Landsäugetiere, Amphibien, und bedrohte Vögel - in Relation zur jeweiligen Landfläche Quelle: MEA (4) |
Wie verteilen sich nun die Spezies auf diese Gebiete?
Wo herrscht eine große Artenvielfalt, wo eine kleinere?
Zur Beantwortung solcher Fragen werden häufig "Zeiger-Spezies" herangezogen, d. h. Spezies aus Gruppen (Taxa), bei denen davon ausgegangen wird, dass die große Mehrzahl der Arten bereits bekannt ist. So werden systematische Fehler vermieden.
Gängige Taxa hierfür sind Säugetiere, Amphibien, Reptilien, Fische, Vögel (alles Wirbeltiere), sowie Pflanzen und auch Warmwasser-Riffkorallen (siehe auch das Bild weiter oben "Schätzung bekannter und unbekannter Spezies").
Die Graphik rechts zeigt die Breitengradabhängigkeit der Artenvielfalt von Säugetieren und Amphibien sowie - ebenfalls als Zeiger - der Anzahl bedrohter Vogelarten.
Vergleicht man die - in der Graphik im linken Balkendiagramm dargestellte - Verteilung der Landmasse, die um den Äquator nur etwa 2/3 derjenigen gemäßigter nördlicher Breiten beträgt, mit der etwa doppelt so großen Artenvielfalt im Äquatorbereich, erkennt man leicht die Akkumulierung von Artenvielfalt in tropischen Regionen.
So wachsen etwa im größten zusammenhängenden Regenwaldgebiet der Erde, im Amazonasbecken, 40 000 höhere Pflanzen (5) (von 260 000 bekannten Spezies insgesamt), davon etwa 30 000 endemisch. Im zweitgrößten Regenwaldgebiet, dem Kongo, kommen über 10 000 Pflanzenarten vor. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es 2500 verschiedene Pflanzenspezies (6).
Auch Gebirge haben typischerweise eine hohe Artenvielfalt, bedingt durch die - höhenlagenabhängige - Vielzahl an verschiedenen Lebensräumen (Biotopen) (7).
Inselgruppen, vor allem in den Tropen, weisen aufgrund ihrer räumlichen Trennung häufig einen hohen Bruchteil an endemischen Arten auf (s. auch Hotspotkarte).
Vergleich für die 14 terrestrischen Biome (ohne Fels und Eis) bezüglich der Spezies-Anzahl unter Berücksichtigung der endemischen Spezies Kurzübersetzung der Biome v.o.n.u.: tropischer Regenwald / tropisches Grasland und Buschsteppe / Wüste und Halbwüste /tropischer Trockenwald / Gebirgsgras- und Buschland / gemäßigter Laub- und Mischwald / Sumpfland / tropischer Nadelwald / gemäßigtes Grasland und Buschsteppe / Mangroven / gemäßigter Nadelwald / mediterranes Klima / kaltgemäßigter Nadelwald (Taiga) / Tundra grün: Amphibien; blau: Vögel; braun: Säugetiere; schwarz: Reptilien. Gestrichelt: Endemische Arten Quelle: MEA (8) |
Die Graphik rechts zeigt anhand von vier Zeiger-Taxa (Amphibien, Vögel, Säugetiere, Reptilien) die Verteilung der Artenvielfalt auf die terrestrischen Biome.
Mit 20 000 Arten beherbergt der tropische Regenwald mit Abstand die meisten Spezies, auch der endemische Anteil ist hier am höchsten. In der Rangliste folgen weitere tropische / subtropische Biome, nämlich Savanne, wüstenartige Gegenden und tropischer Trockenwald. Es folgen Gebirge (mit 6000 Spezies), danach erst kommen Biome mit gemäßigtem (Flachland-)Klima. Die sehr artenreichen Mangroven liegen wegen ihrer geringen Gesamtfläche auf einem hinteren Platz. Ähnliches gilt für das mediterrane Klima, das nur an wenigen Orten vorkommt (9). Die nördlichen Breiten sind mit Taiga und Tundra am artenärmsten.
"Ungefähre globale Bestandszahlen einiger gefährdeter und nicht gefährdeter Säugetierarten nach verschiedenen Quellen" Quelle: B. Streit 2007 (6) |
Arten existieren nicht als solche, sondern in Form der Individuen, die sie bilden. Damit kommen die Bestandszahlen und die Größe von Populationen ins Spiel.
Die Tabelle links zeigt beispielhaft die globalen Bestände einiger ausgewählter Säugetiere.
Zum Vergleich, Insekten haben nicht nur die überwältigend höhere Artenanzahl (1-10 Mio. gegen 5000 Spezies, also grob tausendmal so hoch), sondern teilweise auch Bestände anderer Größenordnung. Die Anzahl von Ameisen beispielsweise wird auf 1016 geschätzt (10 Billarden), also größenordnungsmäßig eine Million mal so hoch wie der Bestand von Homo sapiens (10).
Im Amazonas-Regenwald machen Ameisen, Termiten, Bienen und Wespen - alles eusoziale (11) Tiere, die in teilweise riesigen Verbänden leben - etwa dreiviertel der Biomasse aller Insekten aus, und wiegen viermal soviel wie alle Wirbeltiere (10).
Entscheidend für die Nachhaltigkeit der Artenvielfalt, d. h. das Überleben der Art, ist neben der Größe der Population natürlich deren zeitliche Entwicklung. Diese wird heute in der "Roten Liste gefährdeter Arten" der IUCN (International Union for Conservation of Nature) zusammenfassend dokumentiert.
Die Fotos zeigen drei gefährdete Arten aus Südamerika. Oben der Hyazinth-Ara (Anodorhynchus hyacinthinus), der im Amazonasgebiet und vor allem im Pantanal lebt, dem größten Binnensumpfgebiet der Erde im Dreiländereck Brasilien-Paraguay-Bolivien (s. auch Video "Barra Mansa - Pantanal"). Status: Stark gefährdet. Population: um 6000 Tiere, Tendenz fallend. Seine größte Bedrohung ist der Schwarzhandel.
In der Mitte der Große Ameisenbär (Myrmecophaga tridactyla). Wie der Name sagt, lebt er von der hohen Biomasse der Termiten und Ameisen. Status: Gefährdet.
Unten der Flachlandtapir (Tapirus terrestris). Tapire sind die größten Säugetiere Südamerikas, das Weibchen erreicht bis zu 250 kg. Er wird durch illegale Bejagung und Habitat-Fragmentierung bedroht. Status: Gefährdet. (Quelle für alle drei Gefährdungsangaben: IUCN Red List (12))
Literatur und Erläuterungen:
(1) Millennium Ecosystem Assessment (MEA), dort: Full Reports / Current States and Trends /Chapter 4 - Biodiversity: Seite 90 (Washington DC: World Ressources Institute, 2005); dort: nach B. Groombridge, M. Jenkins, "World Atlas of Biodiversity" (Berkeley: University of California Press, 2002)
(2) B. Baur, "Biodiversity" (Bern: Haupt-Verlag, 2010); dort: nach Westerheide & Rieger (2007), Bresinsky et al. (2008) und Nentwig et al. (2009)
(3) Millennium Ecosystem Assessment, dort: Synthesisreports / Biodiversity, "Ecosystems and Human Well-being: Biodiversity Synthesis": Seite 24 (Washington DC: World Ressources Institute, 2005)
(4) MEA wie (1): Seite 91
(5) Höhere Pflanzen = Gefäßpflanzen: Pflanzen mit Leitbündeln zum Transport von Wasser und Nährstoffen; dazu gehören z. B. Bärlapp, Farne und Samenpflanzen, nicht aber Moose und Grünalgen
(6) B. Streit, "Was ist Biodiversität?" (München: Beck-Verlag, 2007)
(7) B. Baur, "Biodiversity" (Bern: Haupt-Verlag, 2010)
(8) MEA wie (3): Seite 23
(9) Mediterranes Klima: Milde, regenreiche Winter und heiße, trockene Sommer; hohe Jahressonnenscheindauer.
Es kommt ausschließlich in der Nähe der 40sten Breitengrade vor: Mittelmeer, kalifornische Küste,
südaustralische Küste, südafrikanische Küste, ein schmaler Küstenstreifen von Chile
(10) E. O. Wilson, "the Social Conquest of Earth" (New York: W. W. Norton & Company, 2012)
(11) Zur Erklärung des Begriffes "eusozial" siehe "Apis mellifera - Kurzbeschreibung"
(12) IUCN Red List of Threatened Species, Version 2012.2, abgerufen 25.1.13