__________________________________ Das Buch: "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

______________________________________________ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Welcher Wald ist nachhaltig?

 

Interessenkonflikt Waldbewirtschaftung - Naturschutz

März 2024

Bei der Landwirtschaft ist allgemein bekannt, dass sie - intensiv betrieben - vor allem durch Habitatverlust der Artenvielfalt schadet. Das Insektensterben ist dafür ein Beispiel.
Weniger bekannt ist, dass die Bewirtschaftung des Waldes ebenfalls eine bedrohliche negative Wirkung auf die dort lebende Tier- und Pflanzenvielfalt haben kann.

Auf den folgenden Seiten soll dies an einem Beispiel gezeigt werden: Dem Natura-2000-Schutzgebiet "Mangfallgebirge", das in den bayerischen Voralpen liegt und rund 160 Quadratkilometer Fläche umfasst. Es besteht zu gut zwei Dritteln aus Wald und ist Heimat von seltenen Arten wie dem Steinadler, dem Auerhuhn und dem Birkhuhn. Man sieht dort prinzipiell die Gämse, dazu später mehr. Das Beispiel wurde gewählt, da aktuell (2023) nach EU-Recht ein sogenannter Managementplan für das Schutzgebiet erstellt wurde, der die EU-Naturschutz-Sichtweise zeigt. Dem kann die Bewirtschaftungsstrategie der bayerischen Forstverwaltung gegenüber gestellt werden.

Die Frage, wie ein "idealer" Wald auszusehen habe, ist selbst mit bestem Fachwissen nicht eindeutig zu beantworten, sondern hängt von den Bewertungskriterien ab:

  • Wirtschaftlicher Aspekt: Maximierung des Gewinns aus geschlagenem Holz 
  • Weitere anthropozentrische Ziele, etwa Schutz vor Lawinen im Gebirgswald
  • Klimawandelrelevante Erhaltungsziele, etwa die Unterstützung der natürlichen Entwicklung (Sukzession) hin zu einer Waldzusammensetzung, die mehrere Grad höhere Temperaturen und längere Dürren erträgt
  • Nachhaltigkeitsziele, wie das Erhalten von Arten und Biotopen, um dem Artensterben entgegenzutreten 


Einzelne Ziele können sich natürlich widersprechen!

Ein kurzer Blick in die Geschichte des Waldes:
Kurz nach der letzten Eiszeit war ganz Deutschland unbewaldete Tundra. Mit der Erwärmung kamen die Bäume zurück, bis zu einer nahezu völligen Bedeckung.
Von der Jungsteinzeit bis ins Mittelalter wurde der Wald in Deutschland und auch in Bayern durch Rodung auf etwa ein Drittel der Fläche reduziert, welches dem heutigen Stand entspricht. Ab etwa 1600 (Bayerische Forstordnung 1568) begann eine geordnete Waldwirtschaft. Aufgeforstet wurde primär mit den robusten Arten Fichte und Kiefer, ab etwa 1800 auch mit Laubbäumen (1). Die Säkularisation - die Verstaatlichung kirchlicher Liegenschaften - beschleunigte eine staatliche Verwaltung.
Ab dieser Zeit, während des 19. Jh. - die Jagd wurde vom Fürstenprivileg zum Bürger-Statussymbol -, wurde Wild verstärkt gejagt, Bär, Wolf und Luchs wurden ausgerottet, auch Reh, Rotwild (Hirsch) und Gams (drei Schalenwildarten (2)) waren nahezu verschwunden. Auch in der Schweiz waren um 1900 Hirsch und Reh fast ausgestorben, die Gämse nur hochalpin anzutreffen. Die Instandsetzung des Waldes erfolgte praktisch wildfrei. Trotzdem nahm in dieser Zeit der Anteil der Weißtannen gegenüber der Fichte ab. Heute wird ein hoher Tannenanteil häufig als "natürlich" angegeben; es sei daher möglich, dass diese Schätzungen zu hoch lägen (3).
Im 20. Jh. erholten sich neben dem Wald auch gleichzeitig die Wildbestände. Nun kam ein neues Phänomen hinzu: Mit der verstärkten Intensivierung der Landwirtschaft begannen sich Bergbauernbetriebe (Almen) nicht mehr zu lohnen und wurden aufgegeben. Offene Flächen im Wald, die einen wesentlichen Habitatstrukturbestandteil darstellen, nahmen ab. In den  italienischen Alpen etwa nahm Grasland, d. h. Wiesen und Weiden, seit 1960 um 8000 Quadratkilometer, d. h. um rund 45 % ab. Heute, nach dem Aufkommen des nachhaltigen Naturschutzgedankens, der hier vereinfacht mit dem Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 gleichgesetzt wird, zahlt die EU Bergbauern Zuschüsse, damit sie weiterwirtschaften und somit Flächen im Wald durch Beweitung weiterhin offenhalten.
Bei verstärkter ökonomischer Optimierung der Waldbewirtschaftung fiel auf, dass unkontrollierte Schalenwildbestände durch Abfressen der Triebe den Baumnachwuchs schädigten. Etwa 1950-1980 vertiefte sich dieser Konflikt unter dem Schlagwort "Wald gegen Wild" zu einer Kontroverse primär zwischen Jägern, die gern Trophäen schießen wollten, und den Waldbesitzern.
 
Schalenwilddichten - die stets Schätzungen sind - liegen bzw. lagen in folgenden Bereichen:

  • Bayern 1975: Rotwild 4, Reh 3, Gams 5,5 Tiere/100 ha (4)
  • Tirol heute: Rotwild 5, Reh um 5, Gams 6 Tiere/100 ha; als empfehlenswert im Sinn der Waldbewirtschaftung werden genannt: Alle Arten zussammen < 8 Tiere/100 ha positiv, > 12 Tiere/100 ha negativ (zu hoch) (5).
  • Schweiz heute: "Wiederkäuerdichte" (6) zwischen 3 und 12 Einheiten/100 ha, bei einem Mittelwert von etwa 8, entsprechend rund 15 Tieren/100 ha (7).


Heute wird der Naturschutzgedanke als vordringlich wahrgenommen - Thema Artensterben - und um den Wald herrschen Konflikte zwischen kommerzieller Holznutzung, teilweise kontroversen Vorstellungen zum klimaresistenten Wald und dem Naturschutz.

Letzterer wird z. B. in einem Positionspapier von JagdSchweiz (8) deutlich, das konstatiert, dass die Gamspopulation innerhalb von 20 Jahren aus verschiedenen Gründen auf etwa die Hälfte eingebrochen sei, und zum Ziel hat, den Rückgang der Gamsbestände zu stoppen. "Bei der Jagd ist die Frage nicht, welche Gämsen wir jagen wollen, sondern was der Bestand erlaubt zu entnehmen, um gesunde Bestände mit einer mglichst natürlichen Alters- und Sozialstruktur zu sichern".    




Quellenangaben und Anmerkungen
(1) Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus, "Von der Eiszeit bis heute"
(2) In diesem Artikel werden die Begriffe "Huftier" (bilogischer Begriff) und "Schalenwild" (jagdlicher Begriff) sowie "Wiederkäuer" synonym verwendet. 
(3) J. Senn et al., "Wildverbiss: Auswirkungen und Beurteilung", Forum für Wissen 2005: 17-25 
(4) 100 ha (Hektar) entsprechen 1 Quadratkilometer
(5) F. Reimoser et al., "Baumverbiss durch Huftiere und Waldentwicklung - Langfristige Auswirkungen auf ehemaligen Wildschadensflächen", Beiträge zur Jagd- und Wildforschung, Bd. 46: 023-036 (2021)
(6) Die Wiederkäuerdichte wird in Rotwildeinheiten ausgedrückt; 1 Hirsch entspricht 2 Rehen oder 3 Gämsen; Normierung in Bezug auf ihren Nahrungsbedarf 
(7) W. Suter, "Vom Verbissprozent zur Walddynamik: Der weite Weg zum Verständnis der Wechselbeziehungen zwischen Wald und Huftieren", Forum für Wissen 2005: 7-16
(8) "Die Gämse in der Schweiz - Herausforderungen & Lösungen für ein nachhaltiges Management", Positionspapier von JagdSchweiz und Jagd- und Fischereiverwalterkonferenz, Hrsg. Konferenz für Wald, Wildtiere und Landschaft (KWL), Schweiz, 2017