__________________________________ Das Buch: "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

______________________________________________ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Wasserstoff - ein Baustein der Energiewende

 

Wozu brauchen wir Wasserstoff?

Januar 2023

Zum aktuellen Stand ist die Energiewende, gemeint ist das Herunterfahren der fossilen Quellen auf Null, global mit Zielen versehen - üblich sind Netto-Null bis 2050.
Ebenso ist es wissenschaftlich und häufig auch schon politisch üblich, in Sektoren aufzuteilen, wie Verkehr, Industrie, Raumheizung und Ernährung.
Gesellschaftliche Pfade reichen von Verhaltensumstellung (weniger reisen, weniger Konsum, weniger Fleisch) über Mischformen bis zur rein technischen Lösung (erneuerbare Energiequellen werden es erlauben, den globalen Wachstumspfad unverändert beizubehalten). Im Fokus der Öffentlichkeit stehen also etwa Wind- und Solarstrom, Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge bzw. die Reduzierung von Plastiktüten, Nahrungsmittelabfall und Flugkilometern, um nur einige herauszugreifen.
Welche Bedeutung hat hier das Thema Wasserstoff, das in Wirtschaft und Politik offenbar eine immer größere Rolle spielt?

Der folgende Artikel soll hierzu eine Analyse liefern.

1. Physikalische Eigenschaften und Energieinhalt
Wasserstoff (H2) als leichtestes Element ist unter Normalbedingungen ein Gas mit sehr niedriger Dichte: Ein Kubikmeter wiegt nur 90 Gramm (1). Der Energieinhalt auf das Gewicht bezogen ist andererseits sehr hoch, nämlich 33,3 kWh/kg, knapp das Dreifache von Benzin.
Im Ergebnis ist die Energiedichte des Gases pro Volumen im Vergleich mit Erdgas (Methan, CH4, Dichte 0,79 kg/m3) um den Faktor 3,5 geringer.
Erreicht man eine bessere Energiedichte, wenn man Wasserstoff komprimiert, um ihn dann  mit flüssigen Treibstoffen zu vergleichen? Bei der technisch üblichen Verdichtung auf 200-700 bar nimmt die Dichte  natürlich zu; bei 700 bar beträgt sie 40 kg/m3 (immer noch erst ein Fünfundzwanzigstel von Wasser). Der volumetrische Energieinhalt bei 400-700 bar bleibt rund 5-7 mal geringer als für Benzin. Ein Wasserstoff-Drucktankwagen, der ja auch noch den schweren Druckbehälter transportieren muss, fährt etwa zehnmal, bis er den Energieinhalt eines Benzintankfahrzeugs transportiert hat. 
Kann man Wasserstoff verflüssigt transportieren? Ja, das geht, allerdings liegt der Siedepunkt extrem tief bei -252oC (21 K). Großtechnische Lösungen hierfür sind noch nicht entwickelt.

2. Wasserstoffbedarf für die Energiewende
Die Grundvorstellung der Energiewende beruht auf der Annahme, dass der größte Teil der Energie in Form von Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird. Wasserkraft, Biomasseenergie, Tiefengeothermie und wahrscheinlich Atomkraft (nicht erneuerbar, aber CO2-arm) spielen eine geringere Rolle. Ein nicht unerheblicher Bruchteil der Energie wird aus Wärmepumpen stammen, aber auch diese benötigen Strom. 
Welche Aufgaben gibt es dann, die nicht direkt mit Strom zu erledigen sind?

  • Die chemische Industrie setzt Wasserstoff als Rohstoff ein, etwa um Düngemittel über Ammoniak (NH3; Haber-Bosch-Verfahren) herzustellen. Düngemittel sind heute für rund zwei Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Ein weiteres wichtiges Zwischenprodukt ist Methanol (CH3OH), das als Grundstoff für eine Vielzahl von weiteren Produkten dient. 
  • Ebenfalls in der Industrie kann er fossile Brennstoffe bei der Hochtemperaturheizung ersetzen, soweit sie elektrisch nicht möglich ist. Neben der chemischen Industrie ist dies für die Zementherstellung relevant, bei Temperaturen von über 1400oC.
  • Bei der Stahlherstellung kann Wasserstoff Koks (modifizierte Kohle) als Reduktionsmittel ersetzen.
  • Schwerlastverkehr, Schiffe und Flugzeuge sind nicht oder möglicherweise nicht kostengünstig direkt mit Strom zu betreiben, hier liefert Wasserstoff direkt oder in umgewandelter Form den Treibstoff. In Frage kommen hauptsächlich Methan oder synthetische flüssige Treibstoffe (Flugverkehr), aber auch Ammoniak oder Methanol (Schiffsverkehr). Hierfür wurden die Begriffe Ptx, PtG und PtL eingeführt (2).
  • Wasserstoff oder Folgeprodukte können als saisonale Speicher dienen, analog den heutigen Erdgasspeichern. 

Für den Nahverkehr (--> Elektromotor) und für die Raumheizung (--> Elektro-Wärmepumpen, Fernwärme, Biomasseheizung, elektrisch) ist Wasserstoff wenig erforderlich.

3. Stoffliche Umwandlung und Ausbeuten

 
                                 Prozessschritte für die Herstellung von Wasserstoff-Folgeprodukten
Quelle: SRU 2021 (3)


Die obenstehende Tabelle beschreibt die wichtigsten, teilweise im Text schon erwähnten Stoffströme. Man kann links ablesen, dass Ammoniak als Energiespeicher in Betracht gezogen wurde, da dessen Rückumwandlung in Wasserstoff abgebildet ist. Im rechten Bereich wird deutlich, dass für diese Prozesse eine Kohlenstoffquelle (heute Erdgas oder Erdöl) erforderlich ist, diese wird dann CO2 sein. Man kann es in der Übergangsphase aus den CO2-reichen Abgasen von Kraftwerken, Zementfabriken oder Hochöfen gewinnen, bei vollzogener Energiewende bleibt nur die Abtrennung aus der Luft, mit einem definierten Energieaufwand, der in allen Gesamtbilanzen zu berücksichtigen sein wird.

 
                             Umwandlungsverluste bei der Erzeugung von Wasserstoff und Ptx-Folgeprodukten
DAC: Direct Air Capture, direkte CO2-Abscheidung aus der Luft, ist mit inbegriffen
Quelle: SRU 2021 (3)
xx

Bei jeder Umwandlung geht Energie verloren. Die Tabelle rechts zeigt die Energieinhalte der "Treibstoffe", die nach der Umwandlung übrigbleiben. Direktgenutzter Strom, etwa im PKW-Motor, steht zu 100 % zur Verfügung. Ansonsten kann man ablesen, dass Wasserstoff nach der Erzeugung rund ein Drittel, und alle anderen Umwandlungsprodukte wie synthetische flüssige Treibstoffe, Methangas oder Ammoniak rund die Hälfte an Energieinhalt verloren haben.

 
                                  Energetischer Wirkungsgrad verschiedener Antriebsoptionen für PKW
Quelle: SRU 2021 (3)
x
 
      Energetischer Gesamtwirkungsgrad verschiedener Optionen zur Einzelgebäude-Wärmeversorgung
Quelle: SRU 2021 (3)

Und das ist erst ein Teil der Wahrheit, denn je nach Benutzung geht noch weitere Energie verloren.
Für PKWs etwa gilt, dass ein Elektrofahrzeug um die 77 % Gesamtwirkungsgrad (zwischen Rohstoff Strom und Fahrleistung) aufweist, während ein H2-Brennstoffzellenfahrzeug nur noch bei 34 % landet. Letzteres entspricht nebenbei etwa dem Wirkungsgrad eines Benzin- oder Dieselmotors. Ein mit PtL-Treibstoff betriebenes Fahrzeug weist nur noch 14 % Wirkungsgrad auf (siehe Tabelle rechts).  
Ähnliche Überlegungen kann man zur Gebäudeheizung anstellen (siehe Tabelle darunter). Unschlagbar am besten schneidet die Wärmepumpe ab, die dank der genutzten Umgebungswärme einen Wirkungsgrad von 300 % aufweist. Grundwasserwärmepumpen liegen typischerweise noch darüber. Eine Elektroheizung setzt nahezu alle eingesetzte Energie in Wärme um (95 %). Alle anderen Alternativen (Wasserstoff und PtG-Brennwertkessel) fallen dagegen deutlich ab.

Welche Folgerungen kann man daraus ziehen?
Erneuerbare Energie wird vor Beendigung der 100 %-Energiewende, d. h. voraussichlich noch in dem kommenden Dekaden, stets knapp sein. Daraus folgt natürlich, dass man sie sparsam bzw. optimiert einsetzen sollte.
Also etwa:

  • Landverkehr auf Strom maximieren; das gilt etwa auch für die Alternative Eisenbahn/LKW für den Güterverkehr. Die nächstbeste Alternative scheint eindeutig der Brennstoffzellenantrieb.
  • Sofern Flugverkehr (Wirkungsgrad grob vergleichbar mit dem Verbrennermotor des PKW (4)) weiterhin nur mit flüssigen Treibstoffen betrieben wird, ist er zu minimieren.
  • Nach der Wärmepumpe schlägt die direkte Elektroheizung die Wasserstoff- oder Gasalternativen. Dies gilt genaugenommen schon dann, wenn der (deutsche) Strommix weniger als 200 g CO2/kWh erzeugt (heute um 400), welches der Wert für die heutige Alternative Erdgas ist. Damit scheint eine - heute gelegentlich diskutierte - Beimischung von Wasserstoff zum bestehenden Erdgasnetz ein zu keinem Zeitpunkt ökologisch und ökonomisch sinnvoller Pfad.

4. Erzeugung und Transport
Die Erzeugung von Wind- oder Solarstrom ist an verschiedenen Orten der Erde unterschiedlich kostengünstig möglich. Die untenstehende Karte zeigt sonnenreiche bzw. windreiche Gebiete. Man erkennt schon innerhalb Europas eine deutliche Abstufung. Es wird daher ökonomisch zielführend sein, den Strom teilweise von Billigproduktionsstandorten zu den Verbrauchsstandorten zu transportieren. Hier kommen nun die Ferntransportkosten ins Spiel, und Stromtransport (bei langen Distanzen über verlustarme Hochspannungs-Gleichstromübertragung [HGÜ]) konkurriert mit stofflichem Energietransport.

 
  Erzeugungskosten von "grünem" Wasserstoff aus einer Kombination von Wind- und PV-Anlagen
LCOH: Herstellkosten (4)
Quelle:SRU 2021 (3)

Es kommen in Frage:

  • Für kurze Strecken der Transport per Druck-Tanklastwagen. Heute schon üblich sind die oben bereits genannten 200-700 bar, wobei für die Komprimierung rund 10 % Energieinhalt verloren gehen (5).
  • Wasserstofftransport über Pipeline. Regional bestehen in Europa schon erste Netze.
  • Wasserstofftransport per Schiff. Als am aussichtsreichsten gilt der Flüssigtransport, bei dem aktuell um 40 % der Energie verloren werden, mit theoretischem Potenzial der Reduzierung auf 20 %. Zusätzlich geht durch Abdampfung der Tiefkühlbehälter beispielsweise für einen 20 000-Kubikmeter-Tank grob etwa ein Promille pro Tag an H2 verloren (3).
  • Schiffstransport per Ammoniak. Dieser ist leicht zu verflüssigen (bei -33oC bei Normaldruck oder 9 bar bei Raumtemperatur). Andererseits verliert man bei der Hin- und Rückumwandlung von/zu Wasserstoff 25-30 % des Energieinhaltes.

Erst nach Ausentwicklung der verschiedenen Herstellungs- und Transporttechnologien im Großmaßstab wird man etwa für Nordeuropa entscheiden können, ob bzw. in welchen Maßen "teure" Eigenherstellung oder "teurer" Transport die kostengünstigere Lösung sein wird. Erwartungsgemäß werden sich Mischformen etablieren, so wie es heute für die fossilen Brennstoffe Kohle, Öl und Gas der Fall ist.

5. Speicherung von Energie
Heute wird die Stromproduktion laufend durch Änderung der Kraftwerksleistung an den tageszeitlich und saisonal schwankenden Bedarf angepasst. Für Erdgas gibt es unterirdische Vorratsspeicher, die vor allem den Winter überbrücken.
Nach der Energiewende wird die Stromproduktion von Natur aus schwanken, je nach Wind und Sonne - sofern man sie nicht abregelt, was die Kosten erhöht. Erdgas wird es nicht mehr geben.
Energieerzeugung und Verbrauch werden wie bisher vom Sekundenzeitraum über Tagesschwankungen bis zu saisonalen Unterschieden (Heizung im Winter) aneinander angepasst werden müssen, was auch und wesentlich mit Hilfe von Speichern funktioniert. 
Möglich sind:

  • Kurzzeitbereich: (Ab-)Regelung der Erzeuger, elektrische Speicher (u. U. unter Nutzung der nichtfahrenden Elektrofahrzeug-Kapazitäten), Wasser-Speicherkraftwerke, Betrieb von thermischen Wasserstoff-Spitzenlastkraftwerken (5)
  • Tagesbereich: Warmwasser-Pufferspeicher für Raumheizung zur Überbrückung der Nacht bei Wärmepumpenheizung (heute schon übliche Technologie), Akkus etwa für private PV-Anlagen (ebenfalls schon üblich), Anpassung des Bedarfs durch geregelte Nutzung ("Intelligent Grid").
  • Saisonaler Bereich: Wasserstoff oder PtL-Methan. Schätzungen gehen von einem Speicherbedarf von rund 10% des Jahresprimärenergiebedarfs aus (6).


Wie kann man Wasserstoff speichern? Prinzipiell wie Erdgas heute, also in Salzkavernen oder in porösen geologischen Formationen wie etwa leeren Erdgasfeldern. Erfahrung hierzu liegt noch nicht vor. Die Speicherung von Ptl-Methan könnte die bestehende Erdgas-Infrastruktur nutzen. Allerdings ist zu bedenken, dass schon die einmalige Umwandlung Strom --> H2 --> Strom ca. 50-60 % Verlust (7) erzeugt, während der Umweg über Methan weitere 10-15 % Verlust hinzufügen würde.

6. Fazit
Dieser Artikel hat sich besonders auf die jeweiligen Ausbeuten fokussiert.
Diese sind jedoch nicht die einzigen Entscheidungskriterien, dazu kommen die spezifischen Kosten der jeweiligen Technologie. So kann etwa ein GuD-(Wasserstoff-)Kraftwerk "günstiger" sein als die Brennstoffzelle, da zwar die Energieausbeute niedriger ist, die Kosten der Brennstoffzelle jedoch, zumindest heute, deutlich höher.
Festzuhalten bleibt, dass die Nach-Energiewende-Zeit durch Strom statt durch fossile Energie betrieben werden wird, dass deshalb auch Erdgas als Jahreszeitenspeicher durch einen anderen Stoff abgelöst werden wird, und dass in vielen Fällen ein technologischer Wettstreit um die kostengünstigste Alternative zielführend ist und stattfinden wird.
Wasserstoff wird dabei, als chemischer Rohstoff, aber vor allem auch als Energie(zwischen)träger eine entscheidende Rolle spielen.





Quellenangaben und Anmerkungen
(1) Gewicht wird wissenschaftlich korrekt in Newton angegeben, nicht in Gramm oder Kilogramm. Der besseren Lesbarkeit zuliebe wurde Masse und Gewicht gleichgesetzt.
(2) Für die Stoffumwandlung sind üblich die Begriffe: Ptx (Power to x) = Umwandlung von Strom in stoffliche Energieträger; PtG (Power to Gas) = Umwandlung z. B. in Methan; PtL (Power to Liquid) = Umwandlung z. B. in synthetischen Treibstoff
(3) Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), "Wasserstoff im Klimaschutz: Klasse statt Masse", Stellungnahme Juni 2021. Der SRU berät seit 1972 die Bundesregierung, der wissenschaftliche Rat wird vom Bund ernannt.
(4) LCOH: Levelised Cost of Heat; eine standardisierte Methode der vergleichenden Kostenberechnung
(5) RP-Energie-Lexikon
(6) Die Gasspeicherkapazität Deutschlands beträgt 7 % des jährlichen Primärenergiebedarfs. Eine Studie von 2012 rechnet mit 9 % (nach der Energiewende, dargestellt als Methan, ohne Wärmespeicher), eine weitere Studie von 2017 mit 11 %.
(7) Die Rückverstromung per Brennstoffzelle wird mit 49 % Ausbeute, diejenige über ein GuD (Gas und Dampf)-Kraftwerk mit 42 % angegeben.