_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Die Artenvielfalt in Madagaskar ist in Gefahr                                                               zum Video: Madagaskar - Schatztruhe der Evolution
                                                                                                                                                                         Madagascar - Treasure Chest of Evolution

 

Bedrohung

In der Zeit seiner Anwesenheit, im Falle Madagaskars etwa 2000 Jahre, hat der Mensch wie in anderen Regionen auch durch sein Handeln die Biosphäre verändert.

 
             Modell des ausgestorbenen Elefantenvogels
  Quelle: (1)

Wie überall, wo der bereits bewaffnete Homo sapiens "überraschend" auf jagbares Wild traf, das keine Zeit hatte, Schutzreaktionen zu lernen (wie in Australien, Nord- und Südamerika, Neuseeland u. v. a. m., s. Artensterben-Geschichte und Trend), führte dies zum Aussterben von Arten.
Für Madagaskar sind nachgewiesen:

  • Alle Säugetiere > 10 kg Gewicht, darunter
    • 8 Flusspferdarten,mit jüngsten Knochenfunden zwischen 5300 und 1740 Jahren vor heute; nur zwei Arten fallen in die angenommene Zeit der menschlichen Besiedelung (mit 30 bzw. 260 u. Z.) (2)
    • 8 Lemurenarten mit Funddatierungen zwischen 350 und 1490 u. Z., 4 weitere mit Funden um 0  u. Z. (9). Darunter ein faultierartiger Riesenlemur mit bis zu 200 kg, sowie mehrere Arten von Riesenlemuren mit 48-76 kg Körpergewicht (3)
    • Ein Raubtier, Cryptoprocta spelea, ein größerer Verwandter des noch lebenden Fossa (2)
  • 20 Vogelarten (7), darunter
    • mehrere Arten Elefantenvögel (der größte mit 450 kg Gewicht und über 3 m hoch); deren jüngste Knochenfunde datieren auf etwa 1000 u. Z. (4)
  • 1 Krokodilart, 2 Riesenschildkrötenarten

gesamt mehr als 22 Arten von Megafauna.
An Landtieren schwerer als 10 kg überlebten nur das Nilkrodil und einige Schildkrötenarten.


Das Drama ist nicht zu Ende, heute sind viele Arten gefährdet oder vom Aussterben bedroht, wie z. B.:

  • Der Madagaskar-Fischadler (Haliaeetus vociferoides), größter madagassischer Raubvogel mit 2 m Spannweite und bis zu 3,5 kg Gewicht, mit geschätztem Bestand von 100-120 Paaren. Bedrohung durch Habitatverlust (Wald, Sumpfland), Überfischung (Nahrungsmangel) und Erosion (in trüben Wasserläufen kann er nicht fischen) (5)
  • Von den noch lebenden größeren Lemuren (ca. 5-9 kg, Familien Indridae und Lemuridae) haben manche Populationen von nur noch wenigen Tausend Individuen.
  • Die Schnabelbrustschildkröte (Geochelone yniphora), die bis zu 19 kg wiegt, kommt im Westen Madagaskars in fünf Population mit insgesamt ca. 600 Individuen vor.
     

Heute liegt die Hauptbedrohung der gefährdeten Arten im Habitatverlust und in dessen Fragmentierung (s. Anmerkung 6). 70 % der Landfläche sind vom Menschen bereits für Nutzungszwecke oder als deren Folge verändert, Tendenz steigend.
Die Landnutzungsänderung wird getrieben durch:

  • Im Wald: Brandrodung mit Wanderfeldbau ("tavy"), z. B. für Trockenreis
  • In der Steppe: Brandrodung des letztjährigen Grases in der Trockenzeit; damit wird vorhandene Primärvegetation mit vernichtet
  • Beweidung, wodurch Primärvegetation am Nachwachsen gehindert wird
  • Abholzung zur Brennholz- und Holzkohlegewinnung
  • Edelholzentnahme 
 
   
Brandrodung im Westen Madagaskars (2014)


zum Vergrößern anklicken
Brandrodung im Westen (o.) / Norden (u.) Madagaskars (2014)             Brandflächen
während 10 Tagen im September 2014
Quelle: (7)


Die Brandkarte oben rechts zeigt, dass in der Trockenzeit auf der ganzen Insel mit Ausnahme des durchgehend feuchten nordöstlichen Teils Abbrand stattfindet. Das vertrocknete Gras wird in Asche verwandelt, die als Dünger das zu Beginn der kommenden Regenzeit sprießende neue Gras unterstützen soll. Busch- und Baumvegetation mit Ausnahme weniger feuerresistenter Arten verbrennt mit. Die beiden linken Fotos stammen aus der Gegend der  - auch touristisch berühmten - Baobabbäume, die ausgewachsen Feuer tolerieren. Neue Sämlinge überleben unter diesen Bedingungen nicht.
Regenwald in nicht zu hohen, steilen oder abgelegenen Gegenden wird durch den Brandrodungswanderfeldbau ("tavy") dezimiert. Flächen werden geschlagen, z. B. mit Trockenreis oder Süßkartoffel bepflanzt und nach einigen Jahren wieder aufgegeben, wenn der Boden verarmt ist und die Erosion durch die Starkregenfälle der Regenzeit Mutterboden fortgeschwemmt hat.



Das Foto links unten zeigt eine neuere Rodungsfläche in unmittelbarer Nähe des Marojejy-Nationalparks. Auf dem mittleren Foto erkennt man, wie sich Rodungsflächen unterschiedlichen Alters (Färbungen von Braun- und Hellgrün-Tönen) in den Wald hineinfressen. Rechts ein Blick auf die Gegend östlich von Antananarivo. Dort, auf dem saisonal trockenen zentralen Hochland, ist Baumbewuchs praktisch nicht mehr vorhanden.

       
Rodungsfläche an der Grenze des Marojejy-Nationalparks (2014) Rodungsflächen zwischen Antalaha und Maroansetra (2014; Kontrast verstärkt) Hochland östlich von Antananarivo (2014)   Regenwaldverlust in Madagaskar
Quelle: (8); zum Vergrößern anklicken

 
Das Bild ganz rechts zeigt graphisch den Rückgang des Regenwaldes vom Urzustand bis 2005. Heute sind noch etwa 10 % der Originalfläche vorhanden.

   
                      Bevölkerungswachstum und Abholzung
                     auf Madagaskars Ostküsten-Hanglage

rechte Skala: Bevölkerung in Mio.
linke Skala: Waldoberfläche in Mio. Hektar

Stand 2000 entspricht ca. 10 000 km2, d.h. etwa einem Drittel des Gesamtregenwaldbestandes
Quelle: P. Kistler 2003 (9)
x


Besonders bedroht, da am leichtesten zugänglich, ist der Ostküstenbereich, wo entlang der gesamten Insel der Hangregenwald von unten nach oben durch Rodung vernichtet wird. Die Graphik rechts zeigt den Zusammenhang mit dem Bevölkerungswachstum. Man kann ablesen, dass der Hauptteil der Rodung (etwa 80 %) zwischen 1950 und 2000 erfolgte.


Die jährlichen Verlustraten (s. Anmerkung 10) betragen (vergleiche andere Regionen auf "Wald als Kohlenstoffspeicher"):

  • Gesamter Wald 1990-2010: 0,42 % Verlust pro Jahr
  • Urwald (Primärwald)  2000:  0,46 % Verlust pro Jahr
  • Urwald                       2010:  0,65 % Verlust pro Jahr (bei 30 000 Quadratkilometern, (3))
  • Masoala-Halbinsel      2012:  1,0 %  Verlust pro Jahr (8)


Je nach Extrapolationsannahme - werden Bevölkerungswachstum, abbauorientiertes Wirtschaftswachstum und (teilweise illegale) Ausbeutung der Naturschätze durch internationale Akteure konstant bleiben oder zunehmen, oder werden sich diese Trends umkehren lassen und ein nachhaltiges und ressourcenerhaltendes Wirtschaften zunehmen - können die Urwälder in 100 Jahren bis auf schwierig zugängliche oder effektiv geschützte Reststücke verschwunden sein. 

 
  Hochland östlich von Antananarivo
mit Erosionsabtragungen (2014)
 
  zum Vergrößern anklicken  

Eine der am augenfälligsten zu beobachtenden Konsequenzen ist die Erosion. Die Ökosystemdienstleistung "Erhalt des Bodens" wird auf den zeitweise oder dauernd vegetationsarmen Flächen nicht mehr erbracht. Eine Quelle (12) nennt bis zu 40 t/ha, in Spitzen bis zu 250 t/ha jährlichen Bodenverlust, das entspricht 2-12 mm - pro Jahr! - und läge damit an der Spitze bekannter Messdaten.
Die Bilder zeigen Abtragungen durch Erosion im - weitgehend entwaldeten - zentralen Hochland. 




Quellenangaben und Anmerkungen
(1) S. M. Goodman et al. Ed., "The Natural History of Madagascar" (Chicago: The University of Chicago Press, 2003)
(2) S. Goodman et al., "Introduction to the Mammals", in (1)
(3) L. Godfrey, W. Jungers, "Subfossil Lemurs", in (1)
(4) A. Hawkins, S. Goodman, "Introduction to the Birds", in (1)
(5) R. Rabarisoa et al., "Falconiformes: Haliaeetus vociferoides, Madagascar Fish-eagle, Ankoay", in (1)
(6) Für größere Lemuren z. B. sind zusammenhängende Areale von etwa 10 Quadratkilometer erforderlich, um eine Population über Jahrzehnte, d. h. stabil, am Leben zu erhalten (Quelle: J. Ganzhorn et al., "Effects of Forest Fragmentation on Small Mammals and Lemurs", in (1)). Diese Fläche würde z. B. 20-100 Gruppen von je 3-6 Tieren Raum bieten. Zur Vermeidung der Inzucht innerhalb der kleinen Gruppen ist eine Vernetzung von Habitaten erforderlich.
(7) Firecast, Conservation International, abgerufen 15.11.14
(8) Informationstafeln Masoalahalle, Zoo Zürich, 2013
(9) P. Kistler et al., "Comparing Agricultural Systems in Two Areas of Madagascar", in (1)
(10) Die Angaben zu Waldflächen und Verlustraten unterscheiden sich je nach Quellenangabe, da sowohl terrestrische Vermessungen als auch Satellitenauswertungen fehlerbehaftet sind.
Eine andere Quelle nennt für 1994: Primärregenwald 50 000 km2 (1,6 % Jahresverlust über die vergangenen 29 Jahre) / Sekundärregenwald 10 000 km2 (3,3 %) / Laubabwerfender Primärwald 48 000 km2 (0,8 %). Quelle: J. M. Dufils, "Remaining Forest Cover", in (1).
(11) rainforests.mongabay.com, abgerufen 13.11.14
(12) wildmadagascar.org, abgerufen 21.11.14



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