__________________________________ Das Buch: "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

______________________________________________ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Welche Korrekturmaßnahmen wurden in der Realität durch die Akteure ergriffen?

 

Reale Korrekturmaßnahmen bis September 2010
 

Definiert man den 15.9.2008 mit dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers als Ausbruch der Finanzkrise, jährte sich dieses Ereignis im September 2010 zum zweiten Mal. Dies sollte genügend Zeit gewesen sein für alle Akteure der Allmende "globales Finanzwesen", Analysen zu erstellen, Positionen zu beziehen und Aktionen einzuleiten.
Welche Korrekturmaßnahmen wurden in der Realität gefordert bzw. durchführt?

Juni 2010 Europäische Union

Die EU beschloss eine Bankenabgabe zur Selbstfinanzierung künftiger Krisenkosten.
       (Korrekturmaßnahme Nr. 4 "Verursacherprinzip")

Welt

Notenbankpräsidenten forderten höheres Eigenkapital der Banken. Die geplante Finanzmarktreform der USA, die u.a. von Deutschland betonte Position der Notwendigkeit des Schuldenabbaus und die laufenden sogenannten Stresstests (Kalkulation der Überlebensfähigkeit unter definierten Krisenszenarien) der Banken der EU wurden gelobt. FAZ vom 29.6.10

Deutschland

Die Bundesregierung forderte in der EU und bei den G20 (Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern) die Einführung einer Transaktionssteuer.

Allmendeverwaltung in der Praxis

Pressezitate:
"Wer dreimal lügt / Es ist nicht wahr, dass gegen die Finanzkrise kein Kraut gewachsen ist. Sogar nationale Alleingänge helfen."
"Es gehe alles nur global - und deshalb gehe es gar nicht."
"Auch im Finanzwesen kann ein Staat allein handeln, ohne dass die Volkswirtschaft gleich zusammenbricht. Amerika weiß das längst - und reguliert seine Banken ohne viel Rücksicht auf die Welt. Die Europäer sollten den Mut haben, ihre eigenen Maßstäbe in Gesetze zu fassen." Die Zeit vom 24.6.10

Juli 2010 Deutschland

Hochspekulative Finanzgeschäfte, darunter ungedeckte Leerverkäufe von Staatsanleihen der Eurozone und CDS (Credit Default Swaps, Kredit-Ausfallversicherungen) auf Anleihen von Euroländern, sofern sie nicht der Absicherung konkreter Schuldtitel dienen, wurden verboten. FAZ vom 10.7.10
       (Korrekturmaßnahme Nr. 2 "Regulierung")
       Als regionale Einzelmaßnahme hat diese wohl wenig direkten Effekt auf die Märkte. Die Bedeutung der
       nationalen Entscheidung liegt in dem Adressieren des "Dilemmas der Institution", siehe auch:
       Allmende-Sichtweise (bei "Die Zukunft des Euro").
       Der Entscheidungsprozess der europäischen und globalen Akteure wird vorbereitend beeinflusst, bevor das
       Thema in eine der vorhandenen Institutionen offiziell eingebracht wird.

Europäische Union

In Erfüllung eines EU-Beschlusses wurden die Banken-Stresstests von 91 europäischen Banken veröffentlicht. 
       (Korrekturmaßnahme Nr. 5 "Problemverständnis" - mehr Transparenz für die Marktteilnehmer)

Die EU-Finanzminister einigten sich auf eine einheitliche Position bezüglich der vorgeschlagenen EU-Finanzaufsicht für die weiteren Verhandlungen mit dem europäischen Parlament. FAZ vom 14.7.10

Vereinigte Staaten von Amerika

Die USA verabschiedeten als Reaktion auf die Finanzkrise im nationalen Alleingang eine Finanzmarktreform. Diese gilt als die größte Reform der amerikanischen Finanzbranche seit den dreißiger Jahren, als unter dem Eindruck des Börsenkrachs von 1929 Institutionen wie die Wertpapieraufsicht SEC geschaffen wurden. mehr
       (Korrekturmaßnahme Nr. 2 "Regulierung", Nr. 3 " Bankenreorganisation", Nr. 5 "Problemverständnis"
       [das gängige Paradigma des Freien Marktes als unhinterfragt bestem Modell wurde enttabuisiert]; nur
       Korrekturmaßnahme Nr. 1 "Finanztransaktionssteuer" und Nr. 4 "Bonussysteme/Verursacherprinzip"
       wurden nicht adressiert)

       Die USA wollten und konnten "ihr" Problem unilateral lösen, da sie einerseits selbst mit am stärktsten von
       den Folgen betroffen waren (Motivation) und als stärkster Allmende-Akteur dazu auch relativ leicht in der
       Lage waren (kein wesentlicher Abstimmungsbedarf).

Die Investment-Bank Goldman Sachs zahlte 550 Mio. Dollar in einem Vergleich mit der Börsenaufsicht SEC, im Rahmen eines Gerichtsverfahrens, siehe auch:Großbanken unter Betrugsverdacht
       (Korrekturmaßnahme Nr. 4 "Verursacherprinzip")

Großbritannien

Für britische Banken mit einer Bilanzsumme von über 20 Mrd. Pfund wird eine Bankensteuer von 0,04 % der Bilanzsumme ab 2011 eingeführt. Später soll sie auf 0,07 % erhöht werden.
       (Korrekturmaßnahme Nr. 4 "Verursacherprinzip")

August / September 2010
G 20

Die Mitglieder der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20) hatten den "Basler Ausschuss für Bankenaufsicht", der, angesiedelt bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel und besetzt durch Zentralbanken und nationale Bankenaufsichten, seit 1974 Empfehlungen für Banken ausspricht, beauftragt, Lehren aus der globalen Bankenkrise zu formulieren.
Diese Empfehlungen wurden präsentiert und umfassten im Wesentlichen Regeln zu einer erhöhten Kapitalquote der Banken.
In der Presse wurde das Ergebnis als "Erfolg für die Bankenlobby" interpretiert, da die Definition des Eigenkapitals, dessen anzustrebende Höhe und der Zeitplan für die Einführung der Regeln nicht ausreichend seien, Banken in einem zu 2008 vergleichbaren Belastungsfall überlebensfähig zu halten.
FAZ vom 10.8.10 nbs; FAZ vom 14.9.10
        (Korrekturmaßnahme Nr. 3 "Bankenreorganisation")

September 2010
Europäische Union

Die EU einigte sich auf eine zentrale Finanzaufsicht, die aus drei Behörden (für die Banken: EBA, für die Versicherungen: Eiopa, für die Börsen: Esma) bestehen soll. Diese haben in Krisenzeiten direkten Durchgriff auf Banken und Märkte, können also z. B. riskante Finanzprodukte verbieten. Wann eine "Krise" eingetreten ist, entscheiden die Finanzminister. Einige Länder, wie Deutschland und vor allem Großbritannien, hatten im Länderinteresse durchgesetzt, dass Aufseher nicht in das nationale Haushaltsrecht eingreifen könnten.
Außerdem wurde ein "Rat für Systemrisiken ("European Systemic Risk Board", ESRB) geschaffen, der u.a. von den 27 nationalen Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank besetzt ist. Dieser Rat soll als Frühwarnsystem dienen und gegebenenfalls Empfehlungen für die EU aussprechen.
        (Korrekturmaßnahme Nr. 2 "Regulierung") FAZ vom 3.9.10

Die Europäische Kommission schlug Auflagen für spekulative Finanzprodukte vor. Die meisten Derivate dürfen künftig nicht mehr unbeaufsichtigt, sondern müssen über die Börse abgewickelt, und dabei registriert werden.
Leerverkäufe müssen gemeldet werden, ungedeckte Leerverkäufe werden stark eingeschränkt.
Das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten müssen noch zustimmen, ein Inkrafttreten war für Ende 2012 vorgesehen.
FAZ vom 16.9.10
        (Korrekturmaßnahme Nr. 2 "Regulierung")
        Damit folgte die EU dem Vorstoß Deutschlands im Juli 2010, siehe oben.

Deutschland

Für den verstaatlichten Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate (HRE) mußten die Staatsgarantien von ca. 100 Mrd. auf ca. 140 Mrd. Euro aufgestockt werden. Wenige Tage danach wurde bekannt, dass die Bank für das Jahr 25 Mio. Euro Boni ausschütten würde, bei einem Verlust von 2,2 Mrd. Euro im selben Jahr.
In der deutschen Presse wurde dies heftig und kontrovers diskutiert.
FAZ vom 20.9.10 Tagesschau.de vom 20.9.10
        (Korrekturmaßnahme Nr. 4 "Korrektur des Bonussystems", "öffentliche Meinung")

Fazit zwei Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise

1. Problemverständnis und Motivation (Korrekturmaßnahme Nr. 5)

Der Paradigmenwechsel von "Liberalisierung bringt Nutzen für alle" zu " Regulierungen und Kontrollen sind notwendig" fand - nach Meinung des Autors - überraschend zügig statt.

2. Verhalten der Akteure im Sinne der Allmendesichtweise

Unter den handlungsbefähigten Akteuren, wie den Nationen, Ländergruppierungen (EU, G20), Zentralbanken, Geschäftsbanken/Versicherungen/Hedge-Fonds, gab es keine Totalverweigerer. In der Bankenbranche und deren Lobbies setzte der Konsensprozess allerdings am spätesten ein und begann - wiederum nach Meinung des Autors - auch bereits wieder zu verflachen. Eine durchgängige Teilnahme der öffentlichen Meinung war für die Problembearbeitung hilfreich.
Unter den politischen Akteuren war auffällig, dass erste Beschlüsse in nationalen oder regionalen Alleingängen entschieden wurden, ohne auf die allgemeinen Gegenargumente "Risiko der Wettbewerbsverzerrung" oder "Regeln machen nur global Sinn" allzuviel Rücksicht zu nehmen.
       Hierbei hatte man möglicherweise aus der Weltklimakonferenz Ende 2009 in Kopenhagen gelernt, deren
       inhaltliches Scheitern dem Konsenszwang im allzu großen Kreis der Vereinten Nationen zugeschrieben
       werden kann.

3. Überblick über die Anwendung / Mißachtung der definierten Korrekturmaßnahmen

Über die zweckmäßigen Korrekturmaßnahmen bildete sich ein prinzipieller Konsens. Unter den fünf vorangehend definierten Korrekturmaßnahmen (1) Finanzieller Anreiz (z.B. Transaktionssteuer), (2) Regulierung, (3) Bankenreorganisation (Verursacherprinzip), (4) Bonussysteme, (5) Problemverständnis wurde nach (5) am weitesten (2) umgesetzt; (3), (4) und (1) nur lokal und ansatzweise.
Die Entschärfung potenziell systemrelevanter Banken sowie die Besteuerung systemschädlicher Transaktionen gelang noch nicht.
Auf der anderen Seite fanden mit der weiteren Etablierung der "Euro- und Banken-Rettungsschirme", d. h. dem Transfer von Schäden einzelner Allmendeakteure auf die Allgemeinheit, dem Verursacherprinzip (Korrekturmaßnahme Nr. 3) widersprechende Aktionen statt.

Stand September 2010