_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Völliger Kontrollverlust der EU: Beginn des Scheiterns?

 

Europäische Migrantenkrise
 

Oktober 2015:
Innerhalb weniger Monate ist die Zahl der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer und nun vor allem über die Balkanroute nach Europa ziehen, zu einem reißenden Strom angewachsen, 5000-10000 pro Tag ist die Norm.
Die Situation ist völlig außer Kontrolle, gesetzliche Regeln der Europäischen Union wie das Schengenabkommen (gemeinsame Sicherung der Außengrenze unter Verzicht auf Binnengrenzkontrollen) und das Dublin-Verfahren (das die Registrierung und Erstaufnahme von Asylbewerbern regelt) sind von der Realität überrollt - die EU steht nach der Eurokrise, die noch nicht bewältigt ist, vor dem zweiten Praxisschock und sicherlich vor der härtesten Bewährungsprobe seit Bestehen.

Die EU-Länder zerfallen nach dem Schema "Rette sich wer kann" in diejenigen, die ihre Grenzen dichtmachen oder dichthalten (wie z. B. Ungarn, das einen effektiv wirkenden Grenzzaun gebaut hat, oder Großbritannien, das den Vorteil der Insellage hat), diejenigen, zu denen die meist illegal eingedrungenen Migranten aufgrund bester Zielbedingungen hinströmen (wie Deutschland, Schweden, Italien), und diejenigen, die die Migranten durchwinken, um selbst möglichst wenige zu behalten (wie Kroatien, Slowenien oder Österreich).
Nationale Partikularinteressen haben Priorität vor der europäischen Gesetzgebung. Auch die unabgestimmte Entscheidung von Bundeskanzlerin Merkel, syrische Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland zu übernehmen, war ein Affront gegenüber den europäischen Partnern.

Deutschland spielt eine Sonderrolle. Ungeachtet der Tatsache, dass grob die Hälfte der Migranten nicht aus Krisenstaaten gebürtig ist, und davon ein großer Teil nicht direkt aus Kriegsgebieten kommt, überwog in weiten Teilen der Öffentlichkeit - sicherlich durch die deutsche Geschichte bedingt - der humanitäre Aspekt die Aspekte der Realpolitik und des kollektiven Selbstschutzes von Deutschland und der EU. Diese Denkweise schwappte in die führende Politik über: "Wir schaffen das" der Bundeskanzlerin Merkel öffnete die Migrantenschleuse in die EU und nach Deutschland noch weiter, sehr zum Verdruss der europäischen Partner.

Inzwischen radikalisiert sich die politische Willensbildung, vor allem nach rechtspopulistisch bis rechtsradikal. Wahlen in Wien / Österreich, in der Schweiz und in Polen zeigen dies. In Deutschland steigt die rechtsradikale Gewaltbereitschaft. Die nach dem Austritt des ehemaligen Parteichefs Lucke wohl in der Nähe des Rechtsradikalismus anzusiedelnde AfD gewinnt laut Umfragen Stimmen, ohne überhaupt nennenswert aufzutreten.

Halten wir das für richtig und wollen wir das alles?

In einer Situation des völligen Kontrollverlustes besteht für Deutschland das Risiko, gesellschaftliche Situationen zu schaffen bzw. zuzulassen, die den inneren Frieden gefährden und das Gemeinwesen Deutschland schwächen.
Für Europa besteht das Risiko des Zerfalls, mit Schwerpunkt auf dem Verlust des freien Personenverkehrs, wenn, bedingt durch den Kontrollverlust der EU, die nationalen Partikularinteressen zu eigentlich illegalen Notreaktionen führen.
Was im ersten Praxisschock der Eurokrise, mit dem Bruch des Maastrichtvertrages durch Deutschland, Frankreich und andere Länder, sowie durch die Verbiegung der no-bailout-Regeln durch die Europäische Zentralbank begann, kann im zweiten, deutlich schwerwiegenderen, Praxisschock die europäische Idee ins Reich der Bedeutungslosigkeit zurückkatapultieren.
Ein Gemeinwesen, das sich nach außen nicht verteidigen kann, und dem es nach innen nicht gelingt, durch akzeptierte und durchgesetzte Regeln geordnete Zustände zu bewahren, ist nicht überlebensfähig.



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