Der Euro auf dem Prüfstand der Allmende-Theorie: Wie sind seine mittelfristigen Chancen? Was werden die Erfolgskriterien sein?
5. Allmende-Sichtweise
Die Währung des Euro ist ein gemeinschaftliches Gut - ihre Qualität liegt in der inneren und äußeren Geldwertstabilität - für die 16 Nutzerstaaten, die diese Qualitäten durch kollektive Aktion bewahren und fördern, oder durch effektiven Missbrauch aufs Spiel setzen können.
Damit kann die Eurokrise als Allmendeproblem gesehen werden.
Die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat in ihrem Werk "Governing the Commons" (siehe Buchtipps)
drei Hauptprobleme für selbstorganisierte Allmendenutzer formuliert:
- Das Dilemma der Institution:
Wie schaffen es die Akteure, eine Institution ins Leben zu rufen und den äußeren Einflüssen entsprechend anzupassen, d. h. ständig zu optimieren, wenn sie widerstreitende interessen haben?
- Das Dilemma des Commitments:
Was veranlasst die Akteure, Regeln dauerhaft einzuhalten, auch sofern diese ihren kurzfristigen Interessen widersprechen?
- Das Dilemma der Kontrolle:
Wie schaffen es die Akteure, sich gegenseitig zu kontrollieren, wenn doch der Akt der Kontrolle häufig negativ auf den Kontrolleur zurückfällt, der Nutzen der Kontrolle aber allen zu Gute kommt?
Ostrom leitete für ein gutes Dutzend Allmendebeispiele Designprinzipien ab, die für Erfolg oder Misserfolg relevant seien. Die folgende Tabelle listet diese Prinzipien auf (linke Spalte). Rechts wird dem eine Bewertung des Eurosystems gegenübergestellt.
Designprinzipien für erfolgreiche Allmendesysteme (nach Ostrom) |
Bewertung des Euro-Systems (durch den Autor) |
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1. Klare Grenzen gegen Nichtberechtigte |
100% (Abgrenzung Eurostaaten / Nicht- Eurostaaten ist eindeutig) |
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2. Regeln zur Aneignung und Bereitstellung der Ressourcen sind sinnvoll |
80% (Zentralbanksteuerung; Kohäsionsanteil am EU- Budget) |
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3. Nutzer nehmen an Regeländerungen teil |
90% (demokratischer z. T. zweistufiger Prozess (Ministerrat / EU Parlament + Parlamente der Mitgliedsstaaten) |
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4. Die Einhaltung der Regeln wird überwacht |
30% (Abweichung von Maastricht-Kriterien wurde nachlässig verfolgt) |
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5. Abgestufte Sanktionen bei Regelverstößen |
10% (keine nennenswerten Sanktionen in der Zeit des Bestehens des Euro) |
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6. Mechanismen zur Konfliktlösung vorhanden |
30% (EU Vertrag gescheitert, Lissabon- Einigung war schwierig bei Euro Krisenbewaltigung geringe Kraft zur Vertragsanderung beobachtet (Stand Juli 2010) |
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7. Allmendeselbstverwaltung wird durch übergeordnete Stellen anerkannt |
100% (es gibt keine übergeordneten Stellen) |
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8. Subsidiarität von Aneignung Kontrolle, Sanktionen, Konfliktlösung vorhanden (fur größere Systeme) |
50% (Reduzierung der Defizite wird in den Einzelstaaten geplant; über Kontrolle und Konfliktlösung auf Staatenebene ist jedoch nichts bekannt) |
Man erkennt sofort die Stärken und Schwächen des Euro-Allmende-Systems, als Schwächen vor allem die mangelhafte Regeltreue und fehlende Sanktionen hierfür, sowie den schwerfälligen Konfliktlösungsprozess.
Elinor Ostrom stellte auch Erfolgsfaktoren für das Reagieren auf Veränderungen, d. h. für den Fall eines notwendigen Wandels, zusammen. Diese werden in der nächsten Tabelle gezeigt:
Bedingungen für erfolgreichen Wandel (nach Ostrom) |
Bewertung des Euro-Systems (durch den Autor) |
1. Die meisten Akteure sehen einen Schaden für sich‚ wenn sie die Regeln nicht ändern |
80% (Die Nettozahler sehen einen direkten Schaden, die Nettonnutzer sofern sie ein Scheitern des Euro ins Kalkül ziehen) |
2. Die meisten Akteure werden ähnlich beeinflusst durch die Regeländerungen |
0% (Das Brechen der No-Bail-Out-Klausel begünstigt die einen und schadet den anderen) |
3. Die meisten Akteure sind mit dem System eng und dauerhaft verbunden |
100% (Alle 16 Euroländer sind‚ auch vor dem Hintergrund der Gesamt-EU, langfristig interessiert) |
4. Der Aufwand für die notwendigen Informationen, Veränderungen und deren Durchsetzung ist relativ gering |
10% (Automatische Sanktionen und Regeln für den Staatsbankrott können nur über Vertragsänderungen erreicht werden, ein Prozess, der langwierig und schon einmal gescheitert ist |
5. Die meisten Akteure haben vergleichbares und reziprokes soziales Verhalten, das als Vertrauensbasis genutzt werden kann |
80% (die nationalen Kulturen und Selbstverständnisse sind einigermaßen homogen) |
6. Die Gruppe der Akteure ist relativ klein |
70% (16 Mitglieder sind eine überschaubare Anzahl, ggf. sind aber 27 (EU-)Mitg|ieder relevant) |
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Ein externer Effekt (Auseinanderdriften der Leistungsfähigkeit der Euro-Mitglieder) machte einen Wandel erforderlich. Die Schwächen von Euroland fallen sofort ins Auge:
- die Konsequenzen einer Änderung werden diametrale Wirkung auf verschiedene Länder haben.
- Der Aufwand für wesentliche Änderungen ist sehr hoch. Die negative Erfahrung des gescheiterten EU-Vertrages zeigte dies.
Fazit: Die Chancen für ein mittelfristiges Überleben des Eurosystems in der heutigen Form, über die nächste Zahlungskrise hinaus, stehen also bestenfalls mittelmäßig.
Ostrom nennt noch zwei menschlich-psychologische Faktoren, die Entscheidungen typischerweise beeinflussen.
Erstens, Menschen neigen dazu, zeitlich nahe Ereignisse stärker zu bewerten als zeitlich ferne, d. h. sie neigen zum Vergessen.
Dies ist ungünstig für die Lösung des Europroblems, welche, auch bei engagiertem Handeln, Jahre dauern würde (siehe Lissabon-Prozess) - es bestünde das Risiko, dass der Elan versandet.
Zweitens, Menschen werten mögliche Verluste stärker als mögliche Gewinne.
Diese Eigenschaft wiederum kann für den Euro eher hilfreich sein, wenn dessen möglicher Verlust als Risiko gesehen wird.
(Nebenbei kann hier noch die dritte Frage aus Plan und Wirklichkeit beantwortet werden, warum nämlich die "Rettungsschirmaktion" innerhalb eines Wochenendes zur Entscheidung gebracht werden konnte: Die akute Angst vor Totalverlust)
Auf ein Detail der Euro-Allmende sei hingewiesen, das in diesem Zusammenhang wesentlich sein könnte: Eine Änderung im Gesamtsystem ist zwar sehr langwierig (durch die Struktur der Entscheidungsprozesse der EU), der Austritt eines Staates oder einer Staatengruppe hingegen, mit oder ohne Gründung eines Euro-2 (im Rahmen einer wendigeren Selbstorganisation mit hinreichenden Kontrollen und Sanktionen) ist jederzeit möglich. Dies sollte allen beteiligten Akteuren stets vor Augen stehen.
Nach Meinung des Autors ist es unwahrscheinlich, dass die finanzielle Solidarität, die innerhalb eines Landes zwischen verschiedenen Regionen herrscht (in Deutschland: Länderfinanzausgleich, aber auch Solidaritätsbeitrag), in vergleichbarem Maß zwischen verschiedenen Nationen aufgebracht werden würde.
Ein durchschnittlicher deutscher Bürger, der mit seiner Hände Arbeit seinen Lohn verdient, wird nicht einsehen, durch Lohnverzicht höhere Renten, kürzere Arbeitszeiten, ineffektivere Verwaltungen, Konsum auf Pump usw. anderer Nationen zu finanzieren. Diese Aussage ist sicherlich auf andere Geberstaaten zu übertragen.
Schon wenn die aktuell vereinbarte Bürgschaft über 750 Mrd. Euro von 8 % des BiP auch nur zur Hälfte gezogen werden müßte, würde dies sicherlich zu einer heftigen politischen Reaktion in der Öffentlichkeit führen.
Wenn ein Erhalt und eine nachhaltig überlebensfähige Verbesserung des Eurosystems angestrebt wird, was kann auf Basis der Erkenntnisse aus der Allmendetheorie empfohlen werden?
1. Kontrolle der Regeln, abgestufte (automatische) Sanktionen, Konfliktlösungsmechanismen und Subsidiaritätsprinzip (Designprinzipien Nr. 4, 5, 6 und 8) im Rahmen der bestehenden Rechtslage maximal optimieren.
2. Die Vertragsänderungen, die zum Erreichen von (1) zusätzlich erforderlich sind, erarbeiten und mit hoher politischer Priorität gegen die zu erwartenden Widerstände zur Umsetzung führen (Bedingung für erfolgreichen Wandel Nr. 4). Dieser Prozess wird Jahre dauern, worauf man sich einlassen muss.
3. Für (2) eine Allianz der (für die Bail-Outs) potenziellen Geberstaaten bilden. Diese sollten das Ausstiegsszenario (Euro-2) im Kreis der Akteure öffentlich handhaben, um die nicht erfüllte Bedingung "Akteure werden ähnlich beeinflusst durch Regeländerung" (Bedingung für erfolgreichen Wandel Nr. 2), die damit letztlich erfolgbedrohend ist, zu überwinden.
Juli 2010