Ukraine: Die Region vom Mittelalter bis heute
Geschichte der Ukraine
September 2025
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Die Ukraine in den heutigen politischen Grenzen |
Die geopolitischen Machtverhältnisse haben sich seit 1990 (Ende des Kalten Krieges) drastisch verändert. Nicht mehr Russland, sondern China ringt mit der bisherigen Führungsmacht USA um die Weltherrschaft. Europa verliert wirtschaftlich - besonders in den Branchen Informationstechnologie-Hardware (Chips, Rechenzentren, Satellitenkommunikation) und -Software (soziale Netze, KI) an Boden und muss feststellen, dass es militärisch ohne den Schutz der USA schlecht aufgestellt ist. Mit dem 2022 von Russland begonnenen Angriffskrieg gegen die Ukraine stellte sich die Frage, wie Europa diese Situation bewertet: Appeasement-Politik (wie bei der Krim- und der Donbas-Annexion) oder politische und militärische Gegenwehr.
Was für ein Land ist die Ukraine überhaupt? Der folgende Artikel beschreibt die Geschichte der Region vom Mittelalter bis heute (1) (2).
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Machtbereich der Kiewer Rus um 1000; zur Referenz: in rot die heutige Ukraine / Kiew / Moskau Quelle: Wikipedia |
Fürstentum Galizien-Wolhynien im 13. bis 14. Jh. Quelle der Originalkarte: Wikipedia (Modifizierung durch Autor) |
Die heutige Ukraine liegt klimatisch zwischen Wald- (im Norden), Waldsteppen- (Mitte) und Grassteppenzone (im Süden). Siehe dazu auch die Abbildung weiter unten "Eurasische Steppe". Gleichzeitig liegt sie auf dem schon vor dem Mittelalter handelstechnisch wichtigen Verbindungsweg zwischen Ostsee / Baltikum und dem Schwarzen Meer.
ca. 482: Gründung von Kiew
Vom 9. bis ins 13. Jh. sind die Kiewer Rus (siehe Karte) das beherrschende regionale Großreich. Literatursprache ist das Altslawische. Sie liegen an Handelswegen und zwischen Christentum (Norden) und Islam (Süden). Die südliche Grassteppe wird von Nomaden besiedelt; Sklavenhandel ist üblich.
988: Der Kiewer Fürst nimmt das Byzantinische Christentum an.
1199: Das Fürstentum Galizien-Wolhynien (siehe Karte) entsteht und ist vermutlich der mächtigste lokale Nachfolger des zerfallenden Kiewer Reiches. Um 1147 wird Moskau gegründet. im 12. Jh. gründet Genua auf der Krim ein Zentrum für den Sklavenhandel (Caffa, heute Feodosiia).
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Eurasische Steppe blaugrün; sie erstreckt sich von der Mandschurei (nicht im Bild) bis Ungarn / Donaubecken; zur Referenz: in rot die Ukraine / Kiew / Moskau Quelle: Wikipedia |
1240: Kiew - kurz danach Moskau - wird von den Mongolen erobert, der gesamte Steppenbereich (siehe Abbildung) bis ins heutige Ungarn und das Donaubecken fällt unter die Herrschaft der Goldenen Horde.
Nach Abzug der Mongolen entwickeln sich Polen und das Russische Reich zu den regionalen Großmächten.
14. Jh.: Die Westukraine fällt an Polen, der größere Teil an Litauen.
Auf der Krim verbleiben die vermutlich zumindest teilweise mongolischstämmigen "Krim-Tataren", turksprachige sunnitische Moslems.
1443 gründen diese das Krim-Khanat "als von der Goldenen Horde unabhängig". 1475 unterstellen sie sich als Vasallen dem Osmanischen Reich.
15. Jh.: In der Grassteppe südlich der Dnjepr-Stromschnellen bilden sich paramilitärische Gemeinschaften, die Saporoger ("hinter den Stromschnellen") oder Kosaken. Sie treiben Karawanenhandel - und überfallen selbige - und übernehmen viele türkische Sitten.
16. Jh.: Das Krim-Khanat hat rund 500 000 Einwohner. Haupthandelsware sind Sklaven, die durch die Kavallerie von 10-30 Tausend Mann im Norden besorgt und an die Türken des Osmanischen Reichs verkauft werden. 1500-1650 werden etwa zwei Millionen Sklaven gehandelt, genausoviele wie im selben Zeitraum von Afrika über den Atlantik. Ende des 17. Jhs. ist auf der Krim das Verhältnis von Krimtataren zu - meist ukrainischen - Sklaven etwa 1:5.
Vom 15. bis 18. Jh. gehört die Südküste der Krim zum Osmanischen Reich.
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Adelsrepublik Polen-Litauen 1569 zur Referenz: in grün die Ukraine / Kiew / Moskau Quelle: Wikipedia |
1569: Die Adelsrepublik Polen-Litauen wird gegründet (siehe Karte). Sie umfasst den Großteil der heutigen Ukraine.
1596: Nachdem 1590 die russisch orthodoxe Kirche als Patriarchat mit Sitz in Moskau von Konstantinopel anerkannt worden war, wird in Berestia (heute Brest in Belarus) die sogenannte Kirchenunion gegründet: Der Beibehalt des griechisch-orthodoxen Glaubens, jedoch mit Unterstellung unter den katholischen Papst.
1648: Die Kosaken beginnen mit Unterstützung durch die tatarische Kavallerie einen Aufstand gegen den polnischen Adel. Dieser scheitert; 1654 unterstellen sie sich dem Moskauer Zaren.
1667: Die (heutige) Ukraine wird zwischen Polen und dem russischen Zarenreich entlang des Dnjepr aufgeteilt. Polen verliert damit im Osten Gebiet.
Zu Beginn des 18. Jhs. werden drei Sprachen gesprochen: Kirchenslawisch als gehobener Stil, das literarische Russisch und die ukrainische Umgangssprache. Barocke Texte werden in Latein, Polnisch, Kirchenslawisch, Ukrainisch sowie einem Sprachengemisch verfasst.
1700-1721: Im Großen Nordischen Krieg um die Vorherrschaft im Ostseeraum besiegt das Zarenreich 1709 Schweden und die ukrainischen Kosaken. 1764 wird die Autonomie der Kosaken durch das russische Kaiserreich abgeschafft; 1775 wird ihr Zentralsitz (die Sitsch) aufgelöst und zerstört.
1783: Russland annektiert die Krim nach dem russisch-türkischen Krieg.
1772-98: Nach den drei Teilungen Polens zwischen Russland, Preußen und Habsburg gewinnt Russland den Löwenanteil, darunter auch einen weiteren Teil der heutigen Ukraine. Von dieser fällt nur Ostgalizien (siehe Karte) an die Habsburger Monarchie.
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Österreichisches Galizien 1772-1918 rot markiert Quelle der Originalkarte: Wikipedia |
um 1800: Beginn der modernen ukrainischen Literatur (darunter Geschichte, Volkslieder, Romantik); 1805/1834 Universitätsgründungen in Charkiw und Kiew. 1849: Im Habsburger Teil wird Ukrainisch Grundschulsprache. 1863: Russland beschränkt ukrainischsprachige Buchveröffentlichungen. 1880: Erste ukrainischsprachige Tageszeitung in Lwiw (Ostgalizien/Österreich). Dort 1893 auch "ruthenische" (ukrainische) Grammatik für den Schulgebrauch. 1905: Nach Abschaffung der Zensur im russischen Kaiserreich werden ukrainischsprachige Veröffentlichungen wieder erlaubt; ukrainische Bibelübersetzung; Wörterbuch russisch-ukrainisch.
1919-1922: Nach dem ersten Weltkrieg und der Neuschaffung Polens als souveränem Staat wird symbolisch die Einheit ukrainischen und der westukrainischen Volksrepublik proklamiert. Eine gemeinsame Militäroperation mit Polen gegen die Bolschewiken (Kommunisten) scheitert. In einem Vertrag zwischen Polen und Russland fallen Ostgalizien und Wolhynien (siehe ungefähr Karte weiter oben) an Polen.
1922: Proklamation der Sowjetunion mit der Ukraine als einem ihrer Gründungsmitglieder. Die Kommunisten fördern die ukrainische Sprache; 1926 wählen 78% der Schulen ukrainisch, 10% russisch als Unterrichtssprache.
1932-33: Durch die sowjetische Politik der Bauernenteignung und Industrialisierung wird eine Hungersnot (Holodomor) in verschiedenen Regionen ausgelöst, darunter in der Ukraine mit 3-7 Millionen Toten (2). Vergleiche dazu die Politik Maos des "Großen Sprungs" in China (dort Kapitel 10) knapp 30 Jahre später, mit 30-40 Millionen Hungertoten. Die Förderung der ukrainischen Sprache wird aufgehoben.
1939-45: Zweiter Weltkrieg. 1939 proklamiert die Sowjetunion die Wiedervereinigung der West- (damals polnisch) mit der Ostukraine - dies sind die heutigen Grenzen. 1941 ist die Ukraine von Deutschland besetzt; circa 1,5 Millionen Juden werden ermordet (2). 1943 finden Massenmorde durch die Ukrainische Aufständische Armee (UPA) an etwa hunderttausend Polen statt, mit über zehntausend ukrainischen Vergeltungsopfern. Ab 1944 fordert der Kampf der UPA gegen die Sowjetunion über hundertfünfzigtausend Todesopfer. Bis 1952 werden rund zweihunderttausend Ukrainer lebenslang ausgewiesen. 1944 werden alle zweihunderttausend Krimtataren durch die Sowjetunion deportiert.
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Ukrainische Muttersprachler laut Volkszählung 2001 Quelle: Wikipedia |
1954: Die Sowjetunion übergibt die Krim an die Ukraine.
1989: Gorbatschow ist seit vier Jahren Generalsekretär der KPdSU. Ukrainisch wird Amtssprache. Die griechisch-katholische Kirche wird wieder legalisiert. 1991 wird die Krim als autonome Republik proklamiert.
1991: Im Rahmen der Auflösung der Sowjetunion erklärt sich die Ukraine für unabhängig von Russland. In einem Referendum mit 84,2% Wahlbeteiligung stimmen 92,3% für die Unabhängigkeit.
1994: Budapester Memorandum: Russland, das Vereinigte Königreich und die USA anerkennen die Grenzen der Ukraine (sowie Belarus und Kasachstan) in Verbindung mit deren Atomwaffenverzicht.
1997: Freundschaftsvertrag mit Russland, der die Unverletzlichkeit der Grenzen anerkennt.
2001: Die erste (und bisher einzige) Volkszählung in der Ukraine findet statt. Die Bevölkerung beträgt rund 47 Millionen Einwohner, davon 37 Millionen Ukrainer und 8 Millionen Russen (17,3%) (2). Diese leben vor allem in den Städten, auf der Krim und im Kohleförderungsgebiet Donbas (Donezk-Becken). Zur Sprachverteilung siehe die Grafik rechts.
2004: "Orangene Revolution" - friedliche Massenkundgebungen wegen vermuteter Wahlfälschung bei den Präsidentschaftswahlen zwischen Juschtschenko (der lebensgefährlich mit Dioxin vergiftet worden war) und dem von Russland unterstützten Janukowytsch. Die Wahlbeteiligung im Donbas soll über 100% betragen haben (2). Die Stichwahl wird wiederholt und Juschtschenko gewinnt mit über 7% Vorsprung (2).
2013: "Euromaidan" - Massenkundgebungen, als der 2010 rechtmäßig gewählte Janukowytsch überraschend das geplante Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterzeichnen will. Nach über 100 Todesopfern durch Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften (2) und nach Vermittlungsbemühungen durch Drittstaaten flüchtet der Ministerpräsident mit einigen seiner Minister nach Russland.
2014: Annexion der Krim durch Russland. Annexion mit Militäreinsatz des Donbas (Donezkbecken in den südöstlichen Bezirken (Oblasten) Donezk und Luhansk), dabei sterben bis 2021 mehr als 13 000 Menschen.
2022: Einmarsch Russlands in die Ukraine, Beginn des Angriffskrieges.
Quellenangaben und Anmerkungen
(1) Gesamter Artikel ohne die Karten: A. Portnow, "Ukraine-Studien" (Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, 2025)
(2) Wikipedia: Diese Quelle ist jedesmal im Einzelfall angegeben.