_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

2013 verkündete der neue Staatspräsident Xi Jinping "Chinas Traum" - Ein Faktencheck

 

Chinas Traum


April 2013, aktualisiert Februar 2020

 
                                       "Liebe in Zeiten des Coronavirus"
Quelle: FAZ vom 14.2.20

Wo steht China 2020?

Innenpolitisch wurde die Kontrolle durch Überwachung und Zensur des Internets und durch Weiterentwicklung und Anwendung der öffentlichen Gesichtskontrolle verstärkt; man vermutet mehr als eine Million Uiguren in Umerziehungslagern.
Außenpolitisch tritt China militärisch (Beispiel Südchinesisches Meer) und wirtschaftlich (Beispiel Aufbau einer weltumspannenden Logistikkette "Neue Seidenstraße") aggressiver auf.
Die restliche Welt beginnt China als Bedrohung wahrzunehmen. Die USA verhängen Strafzölle, westliche Länder sorgen sich um die mögliche Spionagetätigkeit chinesischer Elektronikfirmen und verbieten deren Einsatz bzw. denken über Sicherheitsmaßnahmen nach (Beispiel Huawei für den Mobilfunk).
Ein neuer Virus schafft vermutlich auf einem chinesischen Lebensmittelmarkt den Sprung vom Tier auf den Menschen und löst eine Epidemie aus (Coronavirus), die sich global ausbreitet.
Drei Reporter einer US-amerikanischen Zeitung, die dazu titelt "China der kranke Mann Asiens", werden ausgewiesen: China versucht die internationale Presse zu zensieren.

Geostrategisch wird vermutet, dass die nahe Zukunft im Kampf Chinas mit USA um die Weltmachtposition bestehen wird, so wie vor 1989 zwischen der Sovietunion und den USA.  

"Chinas Traum" 2013

Xi Chinping wurde Ministerpräsident und verkündete seine Vision eines starken China - die Zeit der vorsichtigen außenpolitischen Bescheidenheit ist vorbei.

 
 
  Ihren... neunzigsten Geburtstag feiert die Kommunistische Partei seit Wochen mit einem flächendeckenden Revival der ‚Roten Kultur’, wie es die Chinesen seit 35 Jahren nicht mehr erlebt haben." „Während ringsumher Wolkenkratzer, Luxusmarken und iPads die realen Werte der Gegenwart schaffen, singen auf dem Bildschirm Rotgardisten mit enthusiasmiertem Augenleuchten auf allen Kanälen ‚Die Ideale der Revolution sind höher als der Himmel’ – so, als wäre nichts gewesen." Quelle: Bild und Textzitate aus FAZ vom 1.7.11, "Schöne Bescherung zum Parteigeburtstag: Chinas Liebe zum Mao-Stil"

In den Jahren 2011-2013 hatte die KP (Kommunistische Partei) Chinas ihren neunzigsten Geburtstag gefeiert, der ständige Ausschuss des Politbüros wurde von neun auf sieben Mitglieder verkleinert und neu besetzt, neue Staats- und Ministerpräsidenten traten ihr Amt an.

Der neue Staatspräsident Xi Jinping, gleichzeitig Parteivorsitzender und damit mächtigster Mann, verkündete den „chinesischen Traum“: „Dazu brauche China vor allem Patriotismus und einen ‚nationalen Geist’“. Der neue Ministerpräsident Li Keqiang sagte, „die Formel von Chinas ‚friedlichem Aufstieg’ sei fest und unerschütterlich.“ Sie wollten ein „starkes China..., das aufrecht im Osten steht’“. (18.3.13) (1).
Welchen Traum werden das Volk und die kommunistische Partei, Bauern und Städter, Arme und Reiche, Unterdrückte und Profiteure, in Wirklichkeit haben? Wir wissen es nicht.

Wir wissen jedoch aus der Geschichte, dass China bis in die Mitte des 19. Jhs. als „Reich der Mitte“ überzeugt war, die einzige wirkliche Macht und Kultur des Erdkreises zu sein, dass es von den westlichen Kolonialmächten (Stichwort Opiumkriege um 1850) bis hin zu den Japanern (Invasion um 1940) eines besseren belehrt wurde, dass unter Mao das Reich wieder selbständig wurde, dieser aber durch Bürgerkrieg (bis 1949), Verfolgungskampagnen (50er bis 70er Jahre) und Wirtschaftsvorgaben („Großer Sprung“ um 1960) eine blutige Spur von wohl über 40 Millionen Toten hinterließ. 1989 wurden Demonstrationen für Demokratie blutig niedergeschlagen (Tiananmen Platz, Beijing), ein Schicksal, dem im selben Jahr der Osten Deutschlands nur knapp entging.
Wir wissen auch, dass in nahezu ungebrochener kommunistischer Tradition China nach der Übernahme kapitalistischen Handelns einen dreißigjährigen Wachstumsboom vollzog, der es heute in den Kreis der Mächtigen katapultiert hat – ein Fakt, den nach Zusammenbruch der Sowietunion 1990 - nach der Klärung des „erfolgreicheren politischen Systems“ - sicherlich niemand für möglich gehalten hätte.



 

Der folgende Beitrag rekapituliert Pressemeldungen (1) der vier Jahre 2010-2013, nach Themen gruppiert


1. Wirtschaft und internationale Wirtschaftsregeln                         

 
                                                             Daten zur chinesischen Wirtschaftslage (bis 2011)
  Quelle: FAZ vom 13.12.11, "Als China den Turbo einschaltete"

Vor zwölf Jahren war China der WTO (Welthandels-Organisation) beigetreten. Seitdem hatte sich das BIP (Bruttoinlandsprodukt) pro Kopf vervierfacht. China wurde zur zweitmächtigsten Volkswirtschaft der Welt, zum größten Exporteur, zum Besitzer der höchsten Devisenreserven. Der Primärenergieverbrauch überholte den der USA mit jährlich etwa 2,5 Mrd. Tonnen Öläquivalenten. (Zahlen siehe Diagramm rechts).
“Peking ist mittlerweile so stark, dass es viele Regeln, von denen es selbst profitiert hat, heute einfach ignoriert“. jede zweite Preisdumping-Untersuchung der EU richte sich gegen China; Exportbeschränkungen von neun wichtigen Rohstoffen seien gemäß WTO unzulässig; westliche Unternehmen klagten über den fortgesetzten Diebstahl geistigen Eigentums und den Zwang zum Technologietransfer; die Entwicklung zu mehr Staatseinfluss in der Wirtschaft sei besorgniserregend. (13.12.11)
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                                 Seltene Erden aus China:
Niedrige Umwelt- und Arbeitsschutzstandards ermöglichten den billigen Abbau der Metalle.

Quelle: FAZ vom 30.10.10, "Weder Erden noch selten"

 

China kündigte eine Ausfuhrquote für Seltene Erden (z. B. Lanthan, Neodym, Europium) an, die für Technologieprodukte wie Flachbildschirme, Festplatten, Starkmagnete, Laser oder Akkus für Elektroautos benötigt werden. Es verfügt zwar nur über 36 % der Reserven, förderte jedoch 97 % der Weltproduktion (124 000 Tonnen). Die Industriestaaten ließen ihre eigenen Vorkommen unangetastet oder stellten die Förderung ein, da China dank niedriger Arbeitskosten, Umwelt- und Arbeitsschutzstandards konkurrenzlos günstig abbauen konnte (siehe auch Abbildung links). Laut WTO-Regeln seien Ausfuhrzölle und Quoten verboten, China begründete diese denn auch mit Umwelt- und Ressourcenschutz (25.10.10 / 2). Ein halbes Jahr später gab die WTO zwei Jahre zuvor eingereichten Klagen gegen Exportbeschränkungen von Zink, Bauxit, Magnesium, Siliciumkarbid und anderen wichtigen Industriematerialien statt, entsprechend Regeln, denen China beim Beitritt selbst zugestimmt habe (6.7.11).
 
 

Die Summe gehandelter Güter zwischen den USA und China hatte sich in zehn Jahren verdreifacht, mit Exportzahlen von 334 Mrd. gegen 82 Mrd. Dollar. 2010 war das wichtigste Exportgut Chinas Computer (50 Mrd. Dollar), das der USA Sojabohnen (9 Mrd. Dollar). Siehe auch Diagramm links unten. (19.1.11 / 1)
Gegenüber Deutschland betrugen die Exportzahlen 80 Mrd. Dollar gegen 65 Mrd. Dollar deutscher Exporte (2011). Das chinesische BIP betrug knapp das Doppelte des deutschen, und knapp zwei Fünftel der EU. Der Pro-Kopf-Wert lag bei einem Viertel Europas. 5000 deutsche Unternehmen beschäftigten 220 000 Mitarbeiter in China, darunter waren 190 Fertigungsstandorte von Kraftwagen,150 Chemiestandorte und 300 Maschinenbauproduktionsstätten. Umgekehrt sind 700 chinesische Unternehmen mit 6600 Beschäftigten in Deutschland aktiv. Siehe auch Diagramm rechts unten. (2.2.12 / 1)
China vergab in den Jahren 2009/2010 mehr Kredite an Dritte-Welt-Länder als die Weltbank (110 Mrd. Dollar gegenüber 100 Mrd. Dollar) (19.1.11 / 2).
In einer Reform des IWF (Internationaler Währungsfonds) wurde das Stimmgewicht zugunsten der Schwellenländer um sechs Prozent verschoben, Europa verzichtete auf zwei der insgesamt 24 Sitze des Exekutiv-Direktoriums, und China überholte Deutschland als Nummer drei der IWF-Anteilseigner (nach USA und Japan) (25.10.10 / 1).

Quelle: FAZ vom 19.1.11, "Die knifflige Partnerschaft der Wirtschaftsriesen" Quelle: FAZ vom 2.2.12, "China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner"






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2. Ressourcenüberlastung und Produktqualität

Zwar nahm China Rang Eins bei den Investitionen in alternative Energien ein (54 Mrd. Dollar; vgl. Deutschland 41 Mrd. Dollar, USA 34 Mrd. Dollar), jedoch gewann es 80 % seiner elektrischen Energie aus Kohle. Jede Woche ging ein Kohlekraftwerksblock in Betrieb (monatliche Installation von vier Gigawatt). Die Nuklearkapazität solle von etwa einem Dutzend Reaktoren bis 2015 auf 40 Gigawatt vervierfacht werden (8.4.11).
In den vergangenen zehn Jahren wuchs der Welt-Kohlebedarf um 56 %, doppelt so stark wie die Erdgas- und viermal so stark wie die Erdölnachfrage. Die Hälfte der globalen Kohleförderung wird in China verheizt. Kohlekraftwerke erzeugen doppelt soviel klimaschädliches CO2 wie moderne Gaskraftwerke. 2011 stieg die globale CO2-Emission um 3,2 % auf ein neues Rekordhoch, in China betrug der Anstieg fast das Dreifache. Sieben der zehn schmutzigsten Städte der Welt lägen in China, 80 % des Oberflächenwassers gälten als belastet. Lungenkrebserkrankungen in Peking hätten in zehn Jahren um 60 % zugenommen. (21.6.12)

 
  "Im Gleichschritt einatmen: Wachsoldaten bei einer Flaggenzeremonie im Smog auf dem Platz des Himmlischen Friedens."
Quelle: FAZ vom 30.1.13, "Atemlos in Peking"

Anfang 2013 erreichte die Feinstaubbelastung in Beijing über 880 Mikrogramm/m3. Nach chinesischen Richtlinien gelten 200 Mikrogramm als „schwere Verschmutzung“, die WHO (Weltgesundheitsorganisation) gibt einen Wert von 25 Mikrogramm über 24 h als unbedenklichen Grenzwert an. Zur selben Zeit wurde in 32 weiteren Städten „schwere Verschmutzung“ gemessen. Die Feinstaubwerte wurden seitens Chinas erst ab 2012 gemessen. (14.1.13)
Zwei Wochen später lagen die Werte in Beijing wieder über 500 Mikrogramm/m3. Ein Drittel der Luftverschmutzung käme aus dem Umland, wo die vielen Fabriken Umweltauflagen noch weniger beachteten. Das Umweltamt meldete, dass 1,3 Millionen km2 Chinas von der gefährlichen Luft bedeckt sei. (30.1.13)
Gebäude: In Shanghai kostete ein Hochhausbrand 53 Menschen das Leben, der offenbar durch Schweißarbeiten ausgelöst war, von Arbeitern, die keine Lizenz hatten. Ein fast fertiges Hochhaus war eingestürzt, nachdem der Unternehmer noch auf die Idee gekommen war, nachträglich eine Tiefgarage unter dem Gebäude anzulegen. Ein noch nicht bezogener Turm einer neuen Fernsehzentrale in Beijing brannte ab, da einige Topmanager das Neue Jahr mit hochriskanten Feuerwerkskörper begrüßten (20.11.10).
Während des Erdbebens der Stufe 7,9 in Sichuan 2008, das über 69 000 Todesopfer forderte, fiel auf, das viele Neubauten, darunter auch viele Schulgebäude, neben älteren stabileren Bauten zusammenstürzten (sogenannte "Tofubauten"). Grund waren regelwidrige Mängel am Beton und an der Armierung.
Der chinesische Schriftsteller Li Chenpeng berichtete vier Jahre später, dass ein Bauaufseher, der bei mehreren Schulen für regelkonforme Ausführung gesorgt hatte, nicht in den Medien positiv genannt werden durfte, und einer Zwangsbehandlung für Geisteskrankheiten unterworfen worden sei (Patriotism with Chinese characteristics, Herald Tribune, 26.5.12).             
Der Unfall eines der neuen Hochgeschwindigkeitszüge, der mindestens 39 Todesopfer gefordert hatte, wurde einem Gewitter zugeschrieben. 98 % der Teilnehmer einer Internetabfrage vermutete „Vernichtung von Beweisen“, als bei der Bergung verunglückte Zugteile zugeschüttet wurden. „So viel Misstrauen gründet auf Erfahrungen mit Institutionen, die jeder Chinese von Schultagen an macht. Er lernt, dass es, wenn man nach oben kommen will, nicht auf Tatsachen und persönliche Verantwortlichkeit ankommt, sondern darauf, sich an den nächsthöheren Instanzen auszurichten und dem Bild, das diese von einer Sache erzeugen wollen. Dies vor allem und nicht bloß finanzielle Vorteilnahme ist gemeint, wenn in China zahlreiche Dysfunktionalitäten auf ‚Korruption’ zurückgeführt werden.“ (Wir sind alle Passagiere, 28.7.11)
Mit Noroviren verseuchte Tiefkühl-Erdbeeren aus China verursachten „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ eine massenhafte Magen-Darminfektion in Deutschland, mit über 11000 Erkrankten. China ist vor den USA der größte Erdbeerproduzent der Welt, mit zwei Millionen Tonnen, die auf 120 Tausend Hektar erzeugt wurden. Der Import Deutschlands aus China verdoppelte sich innerhalb von vier Jahren, bei einem Preis von 1,10 €/kg, gegenüber 1,40 €/kg aus Polen, dem bisher größten Lieferanten (9.10.12).
2008 hatten in China etwa 300 000 Kinder Nierenerkrankungen erlitten, nachdem sie mit der Industriechemikalie Melamin versetzte Milch getrunken hatten. Der Zusatz im Milchpulver sollte einen höheren Proteingehalt vortäuschen. Der Vater eines der Kinder, der eine Organisation zur Unterstützung der Eltern gegründet hatte, wurde wegen des Schürens sozialer Unruhen zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt (11.11.10).

 
   

In den neunziger Jahren hatten sich in der Provin Henan viele Menschen HIV zugezogen, da sie über infizierte Nadeln Blut spendeten. Proteste gegen die Behandlung der Bauern galten als Aufruhr. Der Dissident Hu Jia war deshalb zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. 2008 hatte das Europäische Parlament ihm den Sacharow-Preis für Menschenrechte verliehen, obwohl die chinesische Regierung zuvor durch massive Drohungen versucht hatte, es von diesem Vorhaben abzubringen (27.6.11 / 1; auch Quelle für Foto rechts: FAZ, "Vernetzt").
Über 15 000 tote Schweine wurden aus dem Huangpu-Fluss geborgen, der durch die 23-Millionen-Metropole Schanghai fließt, welche ein Fünftel ihres Trinkwassers aus diesem Fluss bezieht. Offenbar waren die Tiere in flussaufwärts gelegenen Zuchtbetrieben verendet. „[Aus Kostengründen sei] es üblich, die toten Körper so loszuwerden“. Die Chinesen verzehren zweieinhalb mal soviel Schweinefleisch wie der globale Durchschnitt (21.3.13)

3. Verwaltung, Moral, Klassengesellschaft

Das Fischerdorf Wukan in der Provinz Guangdong, mit 13000 Einwohnern, verbarrikadierte sich, nachdem Polizei und örtliche Parteikader geflüchtet waren. Es ging um kollektive Landverkäufe der lokalen Regierung, die ohne die Zustimmung der Dorfbewohner getätigt worden waren. Ein Protestierer fand in Polizeigewahrsam den Tod. Es solle jährlich zehntausende solcher „Massenzwischenfälle“ geben, indem sich immer mehr Streitigkeiten zwischen den Behörden und den Einwohnern an Landfragen, Korruption, Lohnforderungen, Polizeigewalt und Umweltverschmutzung entzündeten (16.12.11).
Gewaltsame Zwangsenteignungen seien in China an der Tagesordnung. Zwei Nachbarn waren von einem Schlägertrupp zusammengeschlagen worden, da sie ihr Haus nicht verlassen wollten, das dem Bau einer Straße weichen sollte. Einer von ihnen starb. Die Behörden und die Bauunternehmer würden gleichermaßen profitieren. Die Provinzbehörden würden etwa 46 % ihres Budgets durch Verkauf von Landnutzungsrechten einnehmen (26.1.11).
Obwohl der Schuldenstand der Volksrepublik China nur 17 % des BIP betrug, wurde der Gesamtschuldenstand inklusive der Lokalregierungen und Kommunen auf 70-80 % geschätzt. Da die Kommunen praktisch keine Steuern erheben dürften, finanzierten sie sich durch Landverkauf und darüber hinaus durch Schulden, die 1100 Millarden Euro betrügen, ein Viertel des chinesischen BIP (21.6.11). 
Das in Schieflage geratene graue Finanzsystem Chinas führte erstmals zu Bürgerprotesten. Tausende Anleger in Anyang bei Beijing standen der Polizei gegenüber. Viele der Geldeinsammler hätten sich abgesetzt, da sie die versprochenen Renditen und Rückzahlungen nicht leisten konnten. Der graue Kapitalmarkt betrug etwa 8 % der offiziellen Bankkredite (4.1.12).
Auf dem Land gäbe es immer häufiger Proteste gegen zu geringe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen. In der Provinz Guangdong (Kanton) fänden praktisch jeden Tag Arbeitsniederlegungen statt. Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichverteilung der Einkommen beschreibt, habe sich innerhalb von 30 Jahren auf 0,47 verdoppelt (1.3.11) [Vgl. Japan 0,25, Deutschland 0,28, Kanada 0,33, USA 0,47, Südafrika 0,58]
Der blinde Bürgerrechtler Chen Guang-Cheng, der gegen seine illegale Besteuerung (als Behinderter wäre er steuerbefreit) eine erfolgreiche Petition in der Hauptstadt gemacht und danach anderen Behinderten durch inoffizielle Rechtsberatung geholfen hatte, war 2005 auch gegen die brutalen Methoden des Familienplanungsbüros der Bezirksstadt Linyi vorgegangen. Widerstände von Frauen gegen Spätabtreibungen und Sterilisierungen waren durch Prügel, Folter und Haft gebrochen worden, verboten nach heutigen chinesischen Gesetzen. Daraufhin wurde er unter Hausarrest gestellt, mehrfach blutig geschlagen, wegen "Zerstörung von Eigentum und Stärkung des Verkehrs durch Zusammenrottung" zu vier Jahren Haft verurteilt, und danach setzte wieder ein von Schlägern überwachter Hausarrest ein, bis er 2012 in die amerikanische Botschaft flüchtete, um in die USA zu emigrieren (4.5.12).
Nach inoffiziellen Schätzungen werden jährlich bis zu 200 000 Babys und Kleinkinder entführt. Ein Beijinger Professor richtete einen Blog ein, um über die Fotos bettelnder Kinder einen Suchdienst aufzubauen (11.2.11). Auch Behörden „konfiszierten“ Kinder, die der Ein-Kind-Politik widersprachen, so seien in Gaoping in der Provinz Hunan innerhalb von fünf Jahren auf diese Weise mindestens 16 Kinder verschwunden. Um 2006 hätten drei Waisenhäuser, ebenfalls in Hunan, mehrere hundert Babys von Kinderhändlern gekauft, um sie an ausländische Paare zur Adoption weiterzugeben. Der Preis für einen Säugling lag damals bei 430 Euro. Die Ausländer bezahlten für die Adoption um 3000 Dollar (13.5.11)
In Foshan in der Provinz Guandong wurde ein zweijähriges Mädchen von zwei Lastwagen überfahren. Eine Überwachungskamera hielt fest, dass in den nächsten sieben Minuten 18 Menschen an dem reglosen Körper vorübergingen, bis eine 57-jährige Müllsammlerin das Kind von der Straße trug. Es starb eine Woche später im Krankenhaus. 2006 war eine ältere Frau beim Verlassen eines Busses gestürzt. Den Mann, der sie ins Krankenhaus gebracht hatte, klagte sie an, er habe sie gestoßen und den Unfall verursacht, und sie bekam recht. Das Urteil begründete sich auf sein auffälliges Verhalten, dass er sie nicht nur ins Krankenhaus gebracht, sondern dort auch noch den Ausgang der Untersuchungen abgewartet habe, obwohl er kein Angehöriger sei. „So scheint die offizielle Moral die öffentliche Rücksichtslosigkeit weniger einzudämmen, als zu befördern... Das Amalgam aus Kommunismus, Kapitalismus und Internationalisierung hat traditionelle Selbstverständlichkeiten nachhaltig geschwächt...“ Aus dem chinesischen Internet: „Was jetzt passiert, gibt uns das Gefühl, dass wir alle in dieser Gesellschaft nicht zur Menschheit gehören. Wir sind nur das Vieh, das von einer Elite gehalten wird, damit wir für sie arbeiten. Wenn sie eines Tages die Lust verlieren, fangen sie einen von uns und töten ihn und sagen, so sei das Gesetz. Und wir stehen dabei und gucken zu – ohne Mitgefühl, ohne Mitleid, ohne Trauer, ohne Selbst... Wir gehen gerade in eine Viehgesellschaft über.“ (25.10.11)
In der Metropole Chongqing, regierungsunmittelbare Verwaltungseinheit östlich von Sichuan mit insgesamt 28 Millionen Einwohnern, hatte der Parteichef Bo Xilai 2007 eine „Kampagne gegen das Verbrechen“ initiiert und 2009 eine Massenbewegung zur Wiederbelebung der „roten Kultur“ aus den frühen Jahren der Volksrepublik begonnen. Er sei ein Kandidat für den ständigen Ausschuss des Politbüros gewesen (17.5.11). Anfang 2012 flüchtete sein soeben abgesetzter Polizeichef Wang Lijun, ethnischer Mongole, der bekannt war, sich mit der Mafia angelegt zu haben, in die US-amerikanische Botschaft (11.2.12). Dies führte letztendlich zur Verurteilung der Frau Bo Xilais wegen Mordes an dem britischen Geschäftsmann Neil Heywood [der Geschäftsbeziehungen zur Familie hatte und z. B. dem Sohn Bo Xilais bei der Aufnahme in die britische Privatschule Harrow Vermittlungsdienste geleistet hatte (ohne Quellenangabe)], zur Verurteilung von Wang Lijun zu 15 Jahren Haft wegen Vertuschung und zur Entmachtung von Bo Xilai. „Der Prozess hinterließ mehr Fragen als Antworten – und gab doch einen Einblick in das Machtgefüge Chinas“ (25.9.12).
Während der Amtszeit Bo Xilais hatte der 25 Jahre alte Ren Jianyu gebloggt: „Chongqing erlebt eine zweite Kulturrevolution, man singt Revolutionslieder, und es gibt eine Personenkult“. Nach seiner Einschätzung deshalb wurde er festgenommen und nach 39 Tagen Untersuchungshaft für zwei Jahre ins Arbeitslager geschickt, wegen Aufrufes zum „Umsturz der Staatsgewalt“. Nur einmal im Monat durfte er seine Familie anrufen. Nach dem Fall Bo Xilais wurde er vorzeitig entlassen, „wegen Verfahrensfehlern“ (29.1.13).
            Der nach zehn Jahren scheidende Ministerpräsident Wen Jiabao häufte in seiner Amtszeit nach amerikanischen Berichten ein Vermögen von über zwei Millarden Dollar für seine Familie an. Gesetzesverstöße wurden ihm nicht vorgeworfen, nach chinesischem Recht darf sich die erweiterte Familie (außer der Ehefrau) an Geschäften beteiligen (27.10.12).
Der gestürzte Spitzenpolitiker Bo Xilai hatte seinen Sohn vierzehnjährig auf die britische Privatschule Harrow geschickt, danach auf die Harvard-Universität in USA. Auch die Tochter des heutigen Staatspräsidenten Xi Jinping studierte in Harvard. Solche Informationen gehören in der offiziellen Presse zum Tabubereich (2.5.12).

4. Ethnische Minderheiten

Innerhalb eines halben Jahres verbrannten sich neun tibetische Mönche, darunter sieben aus dem Kloster Kirti im Norden der Provinz Sichuan, einem der größten auf dem tibetischen Hochland. Danach seien von dessen 2500 Mönchen 80 % zur patriotischen Erziehung weggeschafft worden oder hätten das Kloster aus anderen Gründen verlassen (21.10.11). Ein halbes Jahr später hatte sich die Zahl der Selbstverbrennungen auf 16 erhöht. In der tibetischen Region Ganzi in Sichuan wurden mindestens zwei Personen bei Zusammenstößen mit der Polizei erschossen (2.2.12 / 2). Gegen Ende 2012 betrug die Bilanz der Selbstverbrennungen 85 Personen innerhalb von vier Jahren, davon die meisten Opfer im Alter zwischen 17 und 40 Jahren. „[Diese] hätten weder die grausamen Übergriffe der Kulturrevolution gegen die Tibeter und ihre Religion erlebt noch zuvor die Besetzung Tibets durch die chinesischen Truppen.“ Mehr als die Hälfte der sechs Millionen Tibeter lebt heute in Provinzen außerhalb der „autonomen Region Tibet“, in Gebieten, die vor der Gründung der Volksrepublik (1949) zu Tibet gehörten, heute Teile der Provinzen Qinghai, Gansu und Sichuan (28.11.12).
Nach einem Treffen des Dalai Lama mit dem US-amerikanischen Präsidenten sah China die Beziehungen „ernsthaft beschädigt“ an. „Diese Handlung greift stark in die innenpolitischen Angelegenheiten Chinas ein, verletzt die Gefühle des chinesischen Volkes und hat dem chinesisch-amerikanischen Verhältnis Schaden zugefügt“ (18.7.11).
In der „autonomen Region“ Innere Mongolei, die zu China gehört, leben vier Millionen Mongolen und 20 Millionen Han-Chinesen. Die reichhaltigen Kohlevorkommen und der Energiehunger Chinas führten dazu, dass diese Region die Provinz Shanxi als größter Kohleproduzent überholte. In der Stadt Xilinhot gingen tausende Schüler, Studenten und Hirten auf die Straße, um „die chinesischen Behörden [aufzufordern], die Rechte und Würde der mongolischen Hirten zu respektieren“. Die Kohlenlaster der Minenbetreiber führen offenbar direkt über die Grassteppe und zerstörten so das Weideland der Hirten. Ein mongolischer Anführer sei von chinesischen Lastwagenfahrern absichtlich überfahren worden. „“Sie haben unser Land zerstört, die Luft verschmutzt, und nun graben sie aus, was unter der Erde liegt. Was uns bleibt, ist dürres Land, auf dem kein Mensch mehr leben kann“ (31.5.11)  
In der Uiguren-Region Xinjiang wurden nach chinesischen Angaben 14 „Aufrührer“ von der Polizei erschossen, nachdem sie vorher zwei Geiseln, einen Wachmann und einen Polizisten getötet hätten. Nach Darstellung exil-uigurischer Gruppen sei dem ein Protest gegen Landenteignungen und das Verschwinden von Angehörigen vorausgegangen (21.7.11). 

5. Staatliche Politik

Das Strafprozessrecht wurde reformiert. Erstmals dürften Geständnisse unter Folter oder Drohungen nicht mehr vor Gericht benutzt werden. Die des Vergehens gegen die Staatssicherheit, des Terrorismus oder schwerer Korruption Verdächtigten dürften weiterhin auf unbestimmte Zeit festgehalten werden, ohne die Angehörigen zu verständigen. Angehörige anderer Verdächtiger sollten innerhalb von 24 Stunden benachrichtigt werden. Politische Verdächtige unter „Hausüberwachung“ hätten weiterhin keinen Zugang zu Anwälten (9.3.12).

 
                              "Gleichmacherei, Demütigung, Umerziehung:
Chinas Justizalltag, hier in einem Zwangsarbeitslager in der südlichen Provinz Guangdong"

Quelle: FAZ vom 16.10.12, "Die maoistische DNA des modernen China"

Neben Reformanstalten für Verurteilte („Laogai“) gibt es schätzungsweise 320 außergerichtliche Lager für „Umerziehung durch Arbeit“ („Laojiao“) mit 190 000 bis 500 000 Insassen, nach Schätzungen internationaler Menschenrechtsorganisationen. Nach chinesischem Recht dürfen lokale Polizeibehörden nach eigenem Ermessen Bürger, mit Ausnahme von Parteimitgliedern, dort bis zu vier Jahren gefangen halten, ohne Einschaltung von Anwälten oder Richtern. Diese Lager waren 1957 von Mao eingeführt worden. Die EU lässt Einfuhr von in diesen Lagern hergestellten Produkten zu (16.10.12; auch Quelle für Foto rechts: FAZ, "Die maoistische DNA des modernen China").
In China gilt die Todesstrafe. Nach einer Schätzung der amerikanischen Dui-Hua-Stiftung habe sich die Zahl der Hinrichtungen seit 2007 halbiert, auf etwa 4000 Todesurteile pro Jahr (14.12.11).
Chinas Verteidigungshaushalt wuchs seit fast 20 Jahren jeweils im zweistelligen Prozentsatz und betrüge 2011 80,6 Millarden Euro, und damit 1,28 % des BIP. USA und Großbritannien würden über 2 % des BIP aufwenden. Westliche Militärexperten schätzen, dass die wirklichen Ausgaben höher seien (5.3.12).
Nach der Nationalisierung umstrittener Inseln durch Japan sei „Krieg kein Tabuthema mehr“. In Microblogs spiegele sich die aggressive Stimmung gegen Japan wider. Demonstrationen, Boykottaufrufe gegen japanische Unternehmen und die Hetze gegen ein Japan, das sich nie für Kriegsgräuel entschuldigt habe, heize die Emotionen immer weiter an. „Pazifismus ist in China unbekannt“. Der General und Politkommissar Liu Yuan warnte davor, einen „zufälligen Krieg“ zu riskieren. „Ein Krieg mit Japan würde das Land in seinem Modernisierungsprogramm zurückwerfen.“   „China solle...besser warten, bis die richtige Zeit gekommen sei.“ (7.2.13)
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz, auf der sich Militär, Rüstung und Sicherheitspolitik in internationalem Rahmen treffen, sagte der deutsche Innenminister, dass es etwa „alle zwei Sekunden“ einen Angriff im Internet gäbe, „wobei die Grenzen zwischen Kriminalität, Spionage und Terror unscharf seien“. Laut deutschem Verfassungsschutz seien „deutlich über die Hälfte der identifizierungsfähigen elektronischen Angriffe auf staatliche Stellen in China zurückzuführen“ (7.2.11).
In China gäbe es fast 460 Millionen Internetnutzer, mehr als in USA und Japan zusammengenommen. Die größten sozialen Netzwerke seien Renren.com, Kaixin001 und Qzone, die größte Suchmaschine sei Baidu. Sina Weibo sei ein Twitter-ähnlicher Microblog. Die Werbeausgaben im Internet betrügen 2010 rund 3,9 Mrd. Dollar mit einer Wachstumsrate von 30 %. China lasse nur inländische Anbieter zu, diese würden zensiert. So waren manchmal „Seiten über Tibet, das Massaker auf dem Tiananmen-Platz von 1989 oder über den inhaftierten Dissidenten und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo“ nicht erreichbar (14.2.11).
Für chinesische Portale gäbe es seit Jahren „Vorschriften über das, was nicht geht: Selbstzensur soll zuerst greifen.“ Verboten sei z. B., Chinas Ehre zu verletzen, Verrat von Staatsgeheimnissen, Gefährdung der ethnischen Einheit, Kulte und Aberglauben, Aufruf zu „illegalen Protesten“ oder Massenaufläufen. Chinas Internet sei „nach außen geschützt durch die große ‚Brandmauer’, nach innen durch eine Armee aufmerksamer Beobachter...“. Die Behörden beschäftigten Schreiber, „die Nachrichten und Blogs im Sinn der Regierung kommentieren und dafür bezahlt werden.“ (18.6.12)

6. Internationale Beziehungen

Die EU plante eine international umstrittene Klimaschutzabgabe auf Flüge, die in Europa starteten oder landeten. China drohte den europäischen Fluggesellschaften mit Strafzahlungen. Deren Verband argumentierte: Wenn Staaten wie China dagegen opponierten, sollten sie das „in diplomatischen und legalen Kanälen tun, aber nicht, indem sie die Privatwirtschaft angehen“ (20.5.11). Um eine Revision der neuen Klimaregelungen in der EU zu erzwingen, stornierten die Chinesen 45 Airbus-Bestellungen in einem Listenpreiswert von 12 Millarden Dollar (19.2.12).
Bei einem Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao in Großbritannien verkündete er mit dem britischen Premierminister Cameron „neue gegenseitige Handelsabschlüsse im Wert von umgerechnet 1,6 Milliarden Euro an“. Cameron lobte den Handel mit China als eine „großartige Chance“ für die britische Wirtschaft. Zur Lage der Menschenrechte in China äußerte sich der chinesische Ministerpräsident in zurückhaltender Abweisung. Cameron bestritt, dass seine Regierung bereit sei, gegenüber China das Beharren auf einer Einhaltung der Menschenrechte gegen größere Exportgeschäfte einzutauschen (28.6.11).
Auf demselben Europabesuch sagte Wen Jiabao Ungarn zu, Staatsanleihen zu kaufen und einen Kredit über eine Milliarde Euro zur Förderung gemeinsamer Investitionen zur Verfügung zu stellen. Der Ministerpräsident Orbán sagte, „China sei von nun an Ungarns ‚strategischer Partner’“. Auf die Frage, ob man auch „über ideologische Fragen“ gesprochen habe, antwortete er, „beide Länder respektierten die Politik des jeweils anderen.“ (27.6.11 / 2)
Von der Staatsvisite des chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao in Frankreich versprach sich Präsident Sarcozy nicht nur Milliardenaufträge für französische Unternehmen, sondern auch eine Unterstützung Chinas für die G-20-Präsidentschaft, die Frankreich übernehmen würde. Er hatte es seinem Außenminister überlassen, dem Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo zu gratulieren. Dies entsprach der im Vorjahr getroffenen „französisch-chinesischen Übereinkunft, mit der sich Paris dem ‚Prinzip der Nichteinmischung’ verpflichtet“ (5.10.10 / 1).
China hatte europäische Regierungen aufgefordert, der feierlichen Verleihung des Friedensnobelpreises an den inhaftierten Dissidenten Liu Xiaobo in Oslo fernzubleiben, da er ein Krimineller sei. Seine Haftstrafe für „Staatsgefährdung“ betrug elf Jahre (5.10.10 /2). Vor der Preisverleihung griff das chinesische Außenministerium das Nobelkomitee in Oslo scharf an und bezeichnete seine Mitglieder als „Schauspieler einer antichinesischen Posse“ (8.12.10). Liu Xiaobo ist einer der Autoren der Ende 2008 im Internet veröffentlichten „Charta 08“, die für China eine neue Verfassung fordert. In dem Text findet sich der Satz: „Die chinesischen Bürger sind nach langwierigen, mühsamen und von Rückschlägen gezeichneten Kämpfen aufgewacht und erkennen in wachsender Klarheit, dass Freiheit, Gleichberechtigung und Menschenrechte gemeinsame und universelle Werte der Menschheit sind.“ (11.12.10)
China empfing den sudanesischen Präsidenten Omar al Baschir trotz internationaler Kritik mit allen Ehren. Ihm wurden vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Kriegsverbrechen in Darfur vorgeworfen. Es wurden Abkommen über eine stärkere Zusammenarbeit bei der Ausbeutung der sudanesischen Öl- und Gasvorkommen unterzeichnet (30.6.11).
Die fünfte Reise der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel nach China wurde „mit warmen Worten und wohlgefälligen Beschreibungen der deutsch-chinesischen Beziehungen“ vorbereitet. „Nicht ein Gesprächsgegenstand, so wurde von führenden Regierungsbeamten, die die Reise vorbereiteten, ...deutlich gemacht, soll[e] den Besuch belasten.“ (1.2.12)
Ministerpräsident Wen Jiabao besuchte gemeinsam mit Angela Merkel die Hannover Messe und das VW-Werk in Wolfsburg, ein Propagandaerfolg für alle Seiten. Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern solle innerhalb dreier Jahre von 190 auf 280 Milliarden Dollar steigen. „China ist, wie man heute sagt, ‚systemrelevant’ für die deutsche und die internationale Wirtschaft geworden... Deshalb legt sich niemand mit dem Land an, die Regierungen nicht und die Unternehmen schon gar nicht.“ Gerade Deutschland sollte jedoch nicht schweigen, „denn das Land weiß am besten, wie wichtig Einmischung von außen in Zeiten der Unterdrückung ist“. Doch niemand wagte, „Klartext zu sprechen. Niemand erwähnt die Arbeitslager, die Todesstrafe, die Folter, die Zwangsabtreibungen, die Zensur, die Internetüberwachung, die Lage in Tibet oder das Verschwindenlassen Hunderter von Anwälten und Dissidenten.“ (28.4.12)  

Wertende Pressekommentare

Menschenrechte
zur chinesischen Verurteilung der Friedensnobelpreisverleihung an Liu Xiaobo:
Konnte die chinesische Regierung anders reagieren, als mit aller Schärfe dagegen aufzutreten, um ihr Gesicht zu wahren? „Die Regierbarkeit des Landes hat für die Politiker höchste Priorität: Das verbirgt sich hinter der Forderung nach einer ‚harmonischen Gesellschaft’“. „Vor 30 Jahren lebte noch gut die Hälfte der Menschen unter der Armutsgrenze, heute sind es noch etwa 36 Millionen. Die Armut bekämpfen, Infrastrutur bereitstellen, Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung, die Wirtschaftskraft für alle stärken – dies sind die wichtigsten Ziele der Regierung, deren Erreichung sie zentral koordiniert.“ „Einheit und Souveränität Chinas sind fundamentale Prinzipien der Staatsräson, ihnen wird alles untergeordnet.“ Die Forderung Liu Xiaobos, dass Worte und Meinungsäußerungen an sich keine kriminellen Akte darstellen dürften, verletze „ein kulturelles Grundverständnis chinesischer Staatlichkeit: Form kommt vor Inhalt.“ „Natürlich muss der westliche Betrachter diese Regeln in der chinesischen Politik nicht teilen. Aber die Klugheit gebiete es, sie zu berücksichtigen.“ (China will regierbar bleiben, 7.12.10)

Kapitalismus
zur Bonitätsherabstufung der USA wegen ihrer Schuldenpolitik:
Das führende chinesische Parteiorgan „Volkszeitung“ schrieb, der Gedanke an Wahlen verhindere in Amerika und Europa, dass die notwendigen Maßnahmen zur Bewältgung des Schuldendebakels ergriffen würden. Es regierten „Populismus und Konservativismus“ und gefährdeten die gesamte Weltwirtschaft. Es handle sich nicht zuerst um eine finanzielle, sondern um eine politische Krise, um einen „Test des politischen Systems“. Die außenpolitische Parteizeitung „Global Times“ formulierte, es komme für die Chinesen darauf an, „ihre Verehrung für ausländische Staaten im Zaum zu halten, während sie von ihnen lernen“.
“Während westliche Kommentatoren bisher bezweifelten, ob der Kapitalismus auf Dauer ohne eine demokratische offene Gesellschaft funktionieren kann, laufen die chinesischen Kommentare unter dem Eindruck der Schuldeneskalation nun auf die Frage hinaus, ob Kapitalismus überhaupt mit Demokratie funktionieren kann. Oder nicht gleich in den Händen der Kommunisten besser aufgehoben wäre.“ (Kapitalismus gehört in die Hände der Kommunisten, 16.8.11)

Geld, Macht, Ethik
zur deutschen Ausstellung "Kunst der Aufklärung" in Beijing:
Während der chinesische Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo seine 11-jährige Haftstrafe verbüßte und der regimekritische Künstler Ai Weiwei kurz nach der Eröffnung der Ausstellung "Kunst der Aufklärung" verschleppt worden war, spielen sich in den wirtschaftlich motivierten Besuchen "groteske, aber bezeichnende" Szenen wie diese ab: "Vor einer Versammlung einheimischer Unternehmer preist der Vorstand eines Dax-Konzerns den kommunistischen Staatsgründer." "'Schon Mao sagte: Eine Revolution ist keine Dinnerparty'. Denselben Satz stellt der Hongkonger Gelehrte Frank Dikötter seiner Studie zu Maos verheerender Wirtschaftspolitik zwischen 1958 und 1962 voran. Der 'Große Sprung nach vorn' habe mindestens 45 Millionen Menschen das Leben gekostet. Im kleinen Kreis ergänzt der deutsche Unternehmer, es sei falsch gewesen, dem inhaftierten Dissidenten Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis zu verleihen. Damit habe man China düpiert und das Geschäftemachen erschwert."
"Seit Jahren stützen Unternehmer und Wirtschaftspolitiker die dubiose Führung geradezu selbstvergessen. Sie rechtfertigen dies mit der Bedeutung des Marktes und der Verbesserung der Lage durch die Einwirkung von außen."
"Doch nicht erst seit Liu und Ai ist klar: Der Wandel durch Anbiederung ist gescheitert. Die unkonditionierten Wohltaten habe das repressive System noch gefestigt."
"[Die Demokratien] hofften irrigerweise, die Marktliberalisierung führe automatisch zur Öffnung des ganzen Staatswesens. Jetzt ist China so mächtig, dass jede Kritik abperlt" (auch nur Grundsätze einzuhalten, "denen das Land gemäß seiner Verfassung und internationalen Abkommen ohnehin folgen müßte").
"Diese Einsicht bedeutet aber nicht, dass der Westen seine eigenen Prinzipien missachten und kriecherisch auftreten muss. Denn mehr noch als die Welt China braucht, braucht China die Welt."
 "Deutsche Vorstände sollten in China häufiger freiheitliche Vordenker wie Locke, Voltaire oder Hayek zitieren, - statt den Despoten Mao." (16.4.11)

zur Europareise des damaligen Staatspräsidenten Wen Jiabao:
"Im Umfeld wachsender Einschüchterung machen ausländische Unternehmen in China die besten Geschäfte aller Zeiten." "In der [Finanz- und Euro-] Krise hat China noch an Bedeutung gewonnen. Bereinigt um die Kaufkraft, steuerte die Volksrepublik 2010 fast 29 Prozent zum Weltsozialprodukt bei, erstmals mehr als der Euroraum." "Hier wird jeder dritte VW und jeder fünfte Airbus verkauft."
"Dennoch erleben auswärtige Betriebe immer wieder, dass geltendes Recht nicht angewandt wird..." "...es ist wichtig, dass sich Politik und Wirtschaft immer wieder klar darüber werden, dass es sich bei dem Land... um eine Einparteienherrschaft ohne Gewaltenkontrolle und Rechtsstaat [handelt]."
"Ein unberechenbarer Riese ist kein guter Geschäftsfreund." (27.6.11 / 3)

Kulturelles Selbstverständnis
Zur KP in der Tradition der Mandarine:
Teils gewalttätige Demonstrationen gegen japanische Einrichtungen und Produkte anlässlich eines territorialen Inselstreites, Stornierung von Geschäftsabschlüssen mit deutschen Firmen anlässlich eines Treffens der deutschen Bundeskanzlerin Merkel mit dem Dalai Lama, der Verbot norwegischer Lachsimporte nach der Nominierung von Liu Xiaobo für den Friedensnobelpreis - Vorkommnisse dieser Art sind in China nichts Neues.
"Repressionen dieses Stils haben nur einen Sinn. Sie sollen Angst einjagen, Stärke demonstrieren und die schwächere Seite den Wünschen Pekings gefügig machen. Wer sich schickt, kann mit Aufträgen, Wohlwollen, Hofieren und Beteiligung rechnen. Wer sich nicht fügt, der muss zusehen, wie seine Konkurrenten das Rennen machen. Im 19. Jahrhundert nannten die Mandarine diese Strategie 'Barbaren mit Barbaren in Schach halten'".
Die 73 Staatsunternehmen und mehrere Dutzend weitere Betriebe werden von einer Abteilung der Zentralregierung, der "State Asset Surveillance and Administration Commission" (Sasac) gesteuert. Die Sasac untersteht dem Politbüro. Die kommunistische Partei besetzt die Vorstandspositionen, welche Parteiweisungen folgen.
Damit steuert das Politbüro direkt die Entscheidungen "für rund 407 Milliarden Dollar, also etwa 81 % der im Ausland bestehenden Kapitalinteressen chinesischer Firmen" (Barbaren mit Barbaren in Schach halten, 13.11.12).

 
                  Liao Yiwu
Quelle: faz.net "Respekt für den Glatzkopf", 21.6.12)

Zur Sicht von unten:
Der chinesische Dissident und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 2012 Liao Yiwu beschreibt in seiner Dankesrede anlässlich der Preisverleihung eine Innensicht der Beherrschten und beurteilt die jüngere Geschichte des Landes nach ethischen Kriterien chinesischer Geschichtstradition. Zum Redetext.
(Bild: Liao Yiwu; Quelle: faz.net "Respekt für den Glatzkopf", 21.6.12)

zum „chinesischen Traum“ des neu eingesetzten Staatspräsidenten Xi Jinping:
Das Wiederaufblühen, die „Renaissance“ ist ein Schlüsselbegriff chinesischer Intellektueller spätestens seit Ende des Kaiserreiches für die Mission ihres Landes. „Ein solches Programm als ‚nationalistisch’ zu bezeichnen, würde zu kurz greifen... Zu ihrer alten Größe kann die Nation gar nicht wiedererstehen, weil sie zu Zeiten ihrer Größe noch keine Nation war – sondern ein Staat und eine Kultur, die sich selbst als Welt wahrnahmen, außerhalb der es nichts wirklich Nennenswertes gibt.“ Heute geht es „um die Vitalisierung eines Staatswesens, das sich selbst für das Ganze hielt.“
“Auf der Ebene der Geopolitik wirft diese Unbestimmtheit viele Fragen auf. Sollen zur ‚Renaissance’ des Landes auch militärische Coups wie die Einnahme der Diaoyu-Inseln gehören, um die sich China mit Japan streitet? Wird die traditionelle Überzeugung, die ganze kultivierte Welt zu repräsentieren, in einen aggressiven Nationalismus umschlagen? Oder kann sie in einen neuen Kosmopolitismus münden, der über seine Verantwortung in der Welt Rechenschaft gibt?“ (China schlief, aus tiefstem Traum ist es erwacht, 19.3.13)

   
                              Erhuspieler in Wuxi
                Provinz Jiangsu, China 2010 (L. Mair)
 

              



Quellenangaben

(1) Quellenangaben in zeitlicher Reihenfolge
            Pressemeldungen ohne Schriftenangabe entstammen der FAZ

5.10.10 / 1 „Gute Geschäfte mit Hu Jintao“
5.10.10 / 2 „Peking warnt Diplomaten in Oslo“
25.10.10 / 1 „China, Brasilien und Indien bekommen mehr Einfluss im IWF“
25.10.10 / 2 „Streit mit China um seltene Erden spitzt sich zu“
30.10.10 „Die Welt der seltenen Erden“ und „Weder Erden noch selten“
11.11.10 „Aktivist in China verurteilt“
20.11.10 „Wankende Hochhäuser“
7.12.10 „China will regierbar bleiben“
8.12.10 „China attackiert Nobel-Komitee“
11.12.10 „Leerer Stuhl“
6.7.11 „WTO beanstandet Chinas Rohstoff-Exportbeschränkungen“
19.1.11 / 1 „Die knifflige Partnerschaft der Wirtschaftsriesen“
19.1.11 / 2 „China vergibt mehr Kredite als Weltbank“
26.1.11 „Enteignungen nach Pekinger Art“
7.2.11 „Merkel: Cyberwar so gefährlich wie klassischer Krieg“
11.2.11 „Blog gegen Kinderhandel“
14.2.11 „Soziale Netzwerke sind China ein Dorn im Auge“
1.3.11 „Der soziale Unmut in China wächst“
8.4.11 „Das rote China gibt sich grün“
16.4.11 "Kriecherei in Fernost"
13.5.11 „Wie Yang Ling konfisziert und verkauft wurde“
17.5.11 „Roter Stern über Chongqing“
20.5.11 „China droht Europas Luftfahrt mit Zwangsabgabe“
31.5.11 „Hirtenvolk fürchtet um seine Identität“
21.6.11 „Auch China ächzt unter Schulden“
27.6.11 / 1 „Vernetzt“
27.6.11 / 2 „China kauft ungarische Anleihen“
27.6.11 / 3 "Unberechenbarer Riese"
28.6.11 „Cameron: Handel mit China großartige Chance“
30.6.11 „China empfängt ‚Freund’ Baschir“
18.7.11 „Eine Dreiviertelstunde im Kartenraum“
21.7.11 „“14 ‚Aufrührer' in Xinjiang getötet“
16.8.11 „Kapitalismus gehört in die Hände der Kommunisten“
21.10.11 „Akte der Verzweiflung“
25.10.11 „Wo wir unser Herz verloren haben“
16.12.11 „Protestierer kontrollieren Dorf in China“
13.12.11 „Als China den Turbo einschaltete“
14.12.11 „’Nur’ noch 4000 Hinrichtungen?“
4.1.12 „Zornige Anleger protestieren in China“
1.2.12 „Berlin umgarnt Peking“
2.2.12 / 1 „China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner“
2.2.12 / 2 „Peking sieht ‚separatistische Gewalttäter’ in Sichuan am Werk“
11.2.12 „Der tiefe Fall des ‚Beschützers’“
5.3.12 „Chinas Verteidigungsetat wächst“
9.3.12 „China reformiert Strafprozessrecht“
19.3.12 „China droht mit weiteren Airbus-Abbestellungen“
28.4.12 „Roter Teppich für China“
2.5.12 „Tabuzone Auslandsstudium“
4.5.12 "Der Blinde, der China die Augen öffnet"
26.5.12, International Herald Tribune, „Patriotism with Chinese characteristics“
18.6.12 „Gleichschaltung ist machbar, Herr Nachbar“
21.6.12 „Großer Energiebedarf sorgt für dicke Luft“
25.9.12 „Widersprüchliche Aufklärung eines Mordes“
9.10.12 „Massenhafter Brechdurchfall aufgeklärt“
16.10.12 „Die maoistische DNA des modernen China“
27.10.12 „Wen Jiabaos Familie häuft Milliardenvermögen an“
13.11.12 "Barbaren mit Barbaren in Schach halten"
14.1.13 „Peking nicht in Sicht“
29.1.13 „Schuften für einen Euro pro Monat“
30.1.13 „Atemlos in Peking“
7.2.13 „Jetzt warnt sogar Chinas Militär vor einem ‚zufälligen’ Krieg“
18.3.13 „Ein Land träumt“
19.3.13 „China schlief, aus tiefstem Traum ist es erwacht“
21.3.13 „Wo ein Schweinsohr doppelt so teuer ist wie ein Filet"