_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Standortbestimmung der EU 2016

 

Europäische Union - Tanz auf dem Vulkan


Stand Dezember 2016

Im Juni stimmte Großbritannien für den Ausstieg aus der Europäischen Union. Das Unfassbare war geschehen, die EU erwies sich als nicht alternativlos. 

Im November wählten die US-Amerikaner Trump zu ihrem Präsidenten und zeigten, dass auch in einer der ältesten Demokratien der Neuzeit ein ausgeprägter Vertreter des Populismus an die Macht gelangen kann.

Anfang Dezember unterlag der italienische sozialdemokratische Ministerpräsident Renzi bei der Abstimmung zu einer Verfassungsreform und verknüpfte damit seinen Rücktritt. Die Presse (1) titulierte "Italien entfernt sich von Europa", indem sie eine wirtschaftliche Destabilisierung und die Machtergreifung der populistischen und europafeindlichen "Bewegung fünf Sterne" befürchtete.

Ebenso fand nach einer knappen, für ungültig erklärten Wahl die Nachwahl des österreichischen Bundespräsidenten statt. Es gewann der überparteilich angetretene Grüne Van der Bellen gegen den rechtspopulistischen Hofer (FPÖ).
Freudentaumel! Die österreichische Wirtschaft sprach von einem "klaren Zeichen für eine Fortführung des proeuropäischen Kurses" (2) - die Gefahr eines "Öxits" war offenbar gebannt.


Die eurobedingte Unmöglichkeit der Auf- und Abwertung zieht wie auseinanderdriftende Kontinentalplatten unermüdlich und erbarmungslos die Nord- und Südländer Europas auseinander. Leistungs- und Zahlungsbilanzdefizite ziehen Austeritätspolitik-Appelle, Schuldenkrisen (Griechenland) und transnationale Verschuldung (Targetsalden Italien und Spanien über minus 300 Mrd. Euro, Deutschland über plus 600 Mrd. Euro) nach sich. Um die Wähler bei der Stange zu halten, werden mit dem hemmungslos gedruckten EZB-Geld (Aufkaufprogramm 80 Mrd. Euro pro Monat (3)) Geschenke verteilt.
Da die regierende Politik in den Ländern und in Brüssel keine Alternative zu dieser Situation anbietet, wie z. B. den geordneten Austritt aus dem Euro, haben seit Jahren die euro(pa-)kritischen in der Mehrzahl populistischen Parteien Stimmenanteile gewonnen (EU-Wahl 2014: knapp 22 %, siehe Wahl zum Europäischen Parlament 2014). Der Brüsseler Politikbetrieb nahm dies nicht wesentlich zur Kenntnis.

Um im geologischen Bild der Kontinentaldrift zu bleiben, aus dieser Situation heraus brachen nun plötzlich die Vulkane der Migrationskrise aus. "Rette sich wer kann" war die Devise. Die EU zeigte sich wiederum als akut wenig handlungsfähig, die Mitglieder schritten zu nationalen Maßnahmen. Die unterschiedlichen Vorstellungen zum Umgang mit den unkontrollierten Migrantenströmen - Stichwort deutsche moralische Überheblichkeit - erhöhten die Zentrifugalkräfte in Europa weiter. 

Nun ist bezüglich des Fortbestandes der EU zumindest Krisenstimmung ausgebrochen - ein Fortschritt gegenüber der "alternativlosen" Brüsseler und nationalen Politik des realitätsignorierenden "weiter so".
Die Angst vor dem Populismus hat nun, mit den Wahlerfolgen der AfD, auch Deutschland erreicht.

Überheblichkeit ist nicht angebracht.
Man kann nur hoffen, dass die Parteien, die gleichzeitig ein rationales, demokratisches und nachhaltiges Weltbild haben UND schnell genug auf die realen Herausforderungen reagieren, im wesentlichen die Geschicke der Demokratien Europas bestimmen werden.



Quellenangaben
(1) FAZ vom 6.12.16, "Italien enfernt sich von Europa", Untertitel: "Die wirtschaftliche Gegenwart des Landes sieht noch immer besorgniserregend aus"
(2) FAZ vom 6.12.16, "Wirtschaft begrüßt neuen Bundespräsidenten in Wien"
(3) EZB: Europäische Zentralbank. Deren Aufkaufprogramm von Staatsanleihen zur Bereitstellung von billigem Geld läuft seit Anfang 2015 und beträgt aktuell ca. 1700 Mrd. Euro. Das Ausfallrisiko tragen die nationalen Notenbanken.