Ökosysteme in Euro und Dollar? Eine Methodendiskussion
Bewertungsprinzipien für Ökosystemdienstleistungen
Paraibatal, Brasilien 2000 |
Brandrodung, Brasilien Paraibatal, Brasilien 2000 |
Madagaskar 2014 |
Kenia 2008 | Rotes Meer, Ägypten 2005 |
Spätestens seit es ins allgemeine Bewußtsein gedrungen ist, dass die Ressourcen der Erde endlich sind und einige auch schon knapp, und diese Abhängigkeit ein Nadelöhr für den kommerziellen Wohlstand darstellen mag, gibt es Ansätze, diese Zusammenhänge wirtschaftlich zu bewerten und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Diese Gedanken sind an sich nicht neu, schon vor hunderten Jahren erfanden Gemeinschaften Regeln z. B. für die nachhaltige Bewirtschaftung von Wald (in China wurden im 14. Jh. wiederholt Millionen von Bäumen gepflanzt als Baumaterial der Hochseeflotte).
In der heutigen Diskussion wird oft ein Artikel von R. Costanza aus dem Jahr 1997 zitiert, der - nahezu als erster - die globalen Ökosystemdienstleistungen wirtschaftlich bewertet und zusammenzählt. Das Ergebnis lautet 33 Billionen US-Dollar / Jahr, oder das 1,8-fache des globalen Bruttosozialproduktes (18 Billionen US-Dollar / Jahr) (1). Er benutzt betriebswirtschaftlich den sogenannten "marginalen Ansatz", d. h. er sucht nicht einen "absoluten" Wert zu ermitteln (der wäre trivialerweise unendlich, da wir ohne die Natur, z. B. die Atmosphäre oder den organischen Boden nicht leben könnten), sondern den finanziellen Wert einer Leistungsdifferenz, die aus einer inkrementellen (kleinen) Änderung des Ökosystemzustandes resultieren würde. (Details hierzu siehe Costanza).
Bevor wir uns dem Thema zuwenden, welche Bewertungsmethoden denkbar sind - es gibt dazu heute eine Flut von hunderten Veröffentlichungen - stellt sich zuvor eine viel prinzipiellere Frage: Ist es "legitim", die lebenden Systeme um uns herum in Geldwert auszudrücken?
Was ist ein Quadratkilometer Primärurwald oder Korallenriff wert?
Was ist ein Nashorn wert?
Was ist das letzte Nashorn wert?
Was ist gute Luft und reines Wasser wert?
Was ist ein Menschenleben wert, das durch toxische Stoffe in Luft oder Wasser verloren geht?
Die Diskussion darüber, dass nicht alle menschlichen Werte wie kommerzielle Produkte behandelt und als solche mit Preisen und Kosten versehen werden sollten, wird - aktuell auch als Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Kapitalismus in den letzten Jahren - vermehrt geführt. Gerechtigkeit, Menschenrechte, Freundschaft, soziale Regeln, Schönheit, Verantwortung, religiöse oder ethische Werte sind Gegenstand dieser Auseinandersetzung.
Die ethische Frage nach der Stichhaltigkeit absoluter Werte soll hier nicht weiter vertieft werden (im Anhang finden Sie zwei Literaturempfehlungen (2)).
Die hier vorgestellte Argumentation folgt vielmehr weitgehend der sogenannten "TEEB"-Studie (2008/2010, ein Forschungsprojekt unter dem Dach u. a. der Vereinten Nationen, mit dem deutschen Titel "Die Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität" (3, 4)), die einerseits feststellt, dass spirituelle, ethische, ästhetische und utilitaristische Bewertungen unabhängige Betrachtungsweisen sind, die sich ergänzen, aber auch widersprechen können.
Der Begriff "Ökonomie" stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Gesetz des Haushaltens". In diesem Sinn ist es andererseits zielführend, in einer realwirtschaftlich funktionierenden Gesellschaft, die (knappe) Ökosystemdienstleistungen in Anspruch nimmt und (knappe) Ressourcen verbraucht, diese auch wirtschaftlich zu bewerten, um dem "Ökonomen" Entscheidungshilfen zu geben.
Komplexität und finanzielle Bewertung Quelle: modifiziert nach TEEB 2010, dort: O'Connor 2008 (6) |
Eine Bewertung macht dann Sinn, wenn sie in der Lage ist, das Handeln der Wirtschaftssubjekte zu beeinflussen.
Die Graphik rechts zeigt, dass die TEEB-Studie nichtsdestoweniger auch zu dem Schluss kommt, dass Werte umso schlechter finanziell ausdrückbar sind, je komplexer das Wertesystem und sein gesellschaftlicher Zusammenhang ist. Während der Nutzen eines einzelnen Baumes als Brenn- oder Feuerholz sich monetär oder auch intuitiv leicht erschließt, beruht die gefühlte Bewertung der Naturgesamtheit ("Schöpfung" im religiösen Kontext) durch Amazonas-Urwaldbewohner, die australischen Aborigines oder auch durch die Gesellschaft eines Industriestaates sicherlich kaum auf ökonomischen Berechnungen.
Die Gründung eines Nationalparks - als Beispiel mittlerer Komplexität - zum Schutz von Arten oder Biotopen mag hingegen durch die Profitabilitätsrechnung unter Berücksichtigung zu erwartender Tourismuseinnahmen deutlich befördert werden.
Zitat: "Economics is mere weaponry; its targets are ethical choices." (S. Sanyal, (5))
"Ökonomie ist ein reines Werkzeug; die ethische Auswahl bedingt ihre Ziele"
Ansätze zur Schätzung von Naturwerten Quelle: Modifiziert aus TEEB 2010 (7) |
Die obenstehende Graphik zeigt, dass die TEEB-Studie zwischen naturwissenschaftlichen (rechter Teil) und bewertungsbasierten (linker Teil) Ansätzen unterscheidet.
Erstere fußen, wie der Name sagt, auf dem wissenschaftlichen Verständnis der Zusammenhänge. Physischer Verbrauch beispielsweise (von Boden, Wald, Wasser usw.) kann mengenmäßig erfasst, und die Konsequenzen von Veränderungen im Gesamtsystem der Ökosysteme - prinzipiell - mit wissenschaftlichen Methoden ermittelt und verstanden werden. Die Verwendung des "ökologischen Fußabdruckes", dessen Ansatz ist, den ökologischen Ressourcenverbrauch eines Menschen in Flächenverbrauch umzurechnen, ist hierfür ein Beispiel.
Die betrachteten Vorgänge hierbei sind im wesentlichen linearer Natur (etwas mehr Wald bindet etwas mehr Kohlendioxid; etwas mehr Rodung bewirkt etwas mehr Erosion); wie ist dagegen das Risiko zu bewerten, dass Systeme umkippen und ggf. irreversibel einen anderen Pfad nehmen? Wissenschaftlich betrachtet geht es hierbei um die Analyse von Wahrscheinlichkeiten, um die Risikoanalyse. Wie widerstandsfähig sind Ökosysteme, und welche Folgen sind bei nichtlinearen Veränderungen zu befürchten? Ökonomisch betrachtet ist dies das Feld der Versicherungsmathematik.
In Ergänzung zu den naturwissenschaftlichen gibt es die Bewertungsansätze. Diese sind anthropozentrischer Natur und gesellschaftlich geprägt.
Je eindeutiger die Werte vom wirtschaftlichen Markt (in Geldwert) abgebildet werden, desto einfacher und genauer sind sie zu ermitteln. In der Graphik (von links nach rechts) werden die sogenannten Gebrauchswerte mit direktem Nutzen, indirektem Nutzen und Optionswert unterschieden. "Direkter Nutzen" ist beispielsweise der Fischfang. Durch "Marktanalyse" können die Umsatz- und Gewinnzahlen ermittelt werden. Nutzen ohne Verbrauch, z. B. Ökotourismus, oder der Zusatzwert eines Wohnhauses "mit naturnaher Aussicht" zählt ebenfalls zum direkten Nutzen.
Auch bei vollständig vorhandenen Marktdaten entstehen Beurteilungsschwierigkeiten durch Wertschöpfungsketten. So ist. z. B. die im Amazonasgebiet angebaute Açai-Frucht bei der Ernte 1100 US-Dollar/Hektar Ernte wert. Der brasilianische Konsument zahlt 35 000, der Übersee-Konsument 70 000 US-Dollar/Hektar. Der Nutzen hängt also stark vom regionalen Bezugsrahmen ab.
Die "Produktionsfunktion" berücksichtigt den Hebel einer Dienstleistung für die Produktion, beispielsweise die Anzahl von (wilden) Bestäubern für einen Ernteertrag, oder die Habitatqualität für eine lokale Fischerei.
Der Wert einer Ökosystemdienstleistung kann auch ermittelt werden, indem in der "Kostenanalyse" der Aufwand für eine technische Ersatzlösung berechnet wird. Wenn z. B. ein Wassereinzugsgebiet kein Wasser mehr liefert, kann dieses alternativ durch Leitungen oder Brunnen zur Verfügung gestellt werden.
"Indirekter Nutzen" beschreibt Regulierungsdienste, wie Luftreinhaltung oder Erosionsvermeidung. Diese sind meist nicht durch Marktmechanismen abgebildet.
Der "Optionswert" betrachtet die Leistung für die Zukunft; z. B. die künftige Entdeckung eines Organismus, Gens oder Proteins zur Behandlung einer Krankheit oder für technische Zwecke.
"Nichtgebrauchswerte" betreffen die räumliche oder zeitliche Verschiebung von Ge- oder Verbrauch und berühren damit soziale Werte wie Verteilungsgerechtigkeit, Altruismus und Vorsorge. Will die Gesellschaft (A) sich auf ökologische Kosten der Gesellschaft (B) bereichern oder nicht? Eine - bisher im Markt nicht verpreiste - Leistung der Gesellschaft (B) kann abgeschätzt werden. Soll - bei nicht nachhaltiger Nutzung - der für künftige Generationen entstehende Schaden berücksichtigt werden, und wie? Da diese Fragen üblicherweise nicht auf dem Markt abgebildet sind, werden Schätzungen meist durch Umfragen - mit allen ihren Nachteilen - ermittelt.
Dasselbe gilt für Werte ethischer oder religiöser Natur. Auch aus politischen Systemen lassen sich erste ökonomische Bewertungen ableiten. So signalisiert beispielsweise die Klima- oder Umweltpolitik eines Landes mit den hierfür aufgewendeten Kosten, dass offenbar die Gesellschaft einen entsprechenden (finanziellen) Gegenwert sieht (7).
Bewertungsansätze für Ökosystemdienstleistungen Quelle: adaptiert aus TEEB 2010 (7) |
Die TEEB-Studie wertete 314 einzelne Veröffentlichungen aus, deren relative Häufigkeit in Bezug auf Bewertungsansätze und Ökosystemdienstleistungstypen rechts dargestellt ist. Der noch nicht genannte "Nutzentransfer" überträgt einen berechneten Flächennutzen auf ein anderes oder größeres Gebiet. Ist beispielsweise die Abhängigkeit des lokalen Fischfangs von einem konkreten Riffsystem quantifiziert, wird der Nutzen, ausgedrückt in jährlichen Fischereieinnahmen pro Hektar Rifffläche, per Dreisatz auf andere Lokationen übertragen.
Blau hinterlegt sind die jeweils häufigsten Methoden. Man kann ablesen, dass die Bereitstellung von Produkten mit einer Vielzahl von Methoden bestimmt werden kann; die Regulierung (z. B. eines Wasserlaufs im Jahresverlauf) wird am häufigsten per Kostenanalyse bewertet. Unterstützende Ökosystemdienstleistungen sind regelmäßig so weit vom verpreisten Marktgeschehen entfernt, dass mehrheitlich mit Umfragen gearbeitet werden muss. Ähnliches gilt für kulturelle Werte, wobei einige durch geäußerte Präferenz (häufigstes Beispiel Tourismus), d. h. Marktanalysen, beurteilt werden können.
Die gestellte Aufgabe kann wie folgt formuliert werden: "Das Finden und Darstellen von Zusammenhängen zwischen Biodiversität, Ökodienstleistungen und dem menschlichen Wohlbefinden mit Hilfe ökonomischer Zahlen".
Dieser Ansatz ist, es sei wiederholt, rein anthropozentrisch und berücksichtigt keine intrinsischen Werte.
Ihm folgend, sind mehrere Bearbeitungsebenen zu durchlaufen:
- Naturwissenschaftliches Verständnis der Ökosysteme
- Qualitatives Verständnis der Wechselwirkung Mensch - Rest der Biosphäre
- Quantifizierung durch Messungen, Trends, Statistiken bezüglich der Biodiversität, ihrer Dienstleistungen und ihrer Veränderungen
- Ökonomische Bewertung nach zu vereinbarenden Kriterien
- Bildung einer Entscheidungsgrundlage für politische und gesellschaftliche Prozesse (8)
Das Ziel aus der volkswirtschaftlichen Gesamtsicht ist es, die Summe aus Naturkapital, wirtschaftlichem Kapital (Geld und hergestellte Güter), menschlichem Kapital (Arbeit und Ausbildung) und sozialem Kapital (gesellschaftliche Systeme) in seiner Gesamtheit optimal einzusetzen. Bilden die vorhandenen Märkte dies nicht ab, so sind entsprechende Märkte zu modifizieren oder zu schaffen, oder/und entsprechende Regulierungen zu treffen.
Selbst wenn man als Arbeitsmethode akzeptiert, alle Werte monetaristisch auszudrücken, bleiben zwei fundamentale Schwierigkeiten. Erstens sind alle Ergebnisse der obigen Schritte 1-4 stets unsicher! Dies ist jedoch genaugenommen nichts Ungewöhnliches in der Welt der unternehmerischen Entscheidungen des Wirtschaftslebens. Zweitens, und dies betrifft die Schritte 4-5, werden unterschiedliche gesellschaftliche Teilhaber zu unterschiedlichen Bewertungen und Schlussfolgerungen kommen.
Ein diesbezüglich in der TEEB-Studie hervorgehobenes Beispiel ist die Kluft zwischen Arm und Reich.
Anteil der Landwirtschaft am BIP in Relation zum Pro-Kopf-Einkommen gelb: Anteil der Landwirtschaft am BIP (%); schwarz: Pro-Kopf-Einkommen (Tsd. US-$ / Person) Quelle: N. Stern 2006 (9) |
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Bruttosozialprodukt der Armen und Anteil an Ökosystemdienstleistungen (1) nicht vermarktete Produkte wie direkt verbrauchtes Bau- und Brennholz, Ernte, Fische usw. sowie Ökosystemd. wie Kohlenstoffbindung, Flutkontrolle, Nährstoffkreislauf, Wasserbereitstellung, Ökotourismus, Bioprospekting (11) (2) weniger als 1 Hektar (Indien) bzw. 4 Hektar (Brasilien, Indonesien) Landwirtschaftsfläche oder abhängig von Wald oder Fischfang Quelle: TEEB 2010 (10) |
Ordnet man die Länder nach Bruttosozialprodukt pro Kopf (s. Graphik rechts), so fällt auf, dass die Landwirtschaft bei den armen Ländern bis zu 50 % und mehr ausmacht, während sie bei den Ländern mit hohem Einkommen unter 5 % beiträgt. Der Trend ist an sich trivial - zuerst müssen die Grundbedürfnisse, wie die Nahrung, befriedigt werden.
Dies bedeutet, dass die Abhängigkeit der Armen von Veränderungen, insbesondere Verschlechterungen, von Ökosystemdienstleistungen relativ gesehen höher ist als die von Reichen (Es gibt allein 27 Länder, die im Durchschnitt weniger als 1000 US-$ Pro-Kopf-Einkommen haben (15)).
Diese Betrachtung erfasst die Wirklichkeit nur teilweise, da im Bruttosozialprodukt nur finanziell erfasste Mehrwerte summiert werden. Es fehlt die Subsistenzwirtschaft (gemeint sind hier Güter, die gewonnen und verbraucht werden ohne finanzielle Transaktionen) sowie alle nicht verpreisten Ökosystemdienstleistungen.
Am Beispiel der drei Schwellenländer Brasilien, Indonesien und Indien (Tabelle rechts) sei dies dargestellt. Der obere Teil zeigt Zahlen für die Gesamtbevölkerung: Der Anteil der Landwirtschaft am herkömmlichen BIP beträgt zwischen 6 und 17 %. Durch im BIP nicht erfasste Subsistenzwirtschaft und Ökosystemdienstleistungen kommen zwischen 3 und 11 absolute Prozentpunkte dazu, so dass der nicht verpreiste Anteil der Landwirtschaft zwischen 15 und 65 % liegt (blaue Zahlen).
Für die arme Bevölkerung (unterer Teil der Tabelle), die immerhin zwischen 11 und 43 % der Gesamteinwohnerzahl ausmacht, schnellt der Bruchteil der Ökosystemdienstleistungen (plus Subsistenzanteil) auf 47 bis 89 % des im BIP erfassten Wertes hoch.
Vereinfacht gilt also die Aussage: Niedriges Einkommen --> große Abhängigkeit von der Landwirtschaft --> überproportionale Abhängigkeit von finanziell nicht erfassten Produkten und Leistungen.
Im Sinne der hier geführten Diskussion ist bedeutsam vor allem die Konsequenz, dass "die Armen" (Subsistenzwirtschaftende) und "die Reichen" (im selben Land oder anderen Ländern) die Leistungen der Natur möglicherweise unterschiedlich bewerten.
Allgemein ist die Bewertung subjektiv, und unterschiedlich für Individuen, regionale Gruppen, regionale Gesellschaften und die globale Gemeinschaft. Eine Bewertung macht also nur Sinn unter Angabe der Bezugsgruppe.
Die Beziehung zu Ökosystemen kann religiös, ethisch, utilitaristisch, traditionell oder gefühlsorientiert sein.
Zitat: "Gefühl" ist der "Embryo ethischen Verhaltens" und ein "Programm für Bioregulation" (Damasio (12)).
Die Beziehung kann ausbeutend, reziprok oder schützend sein, kurzfristig orientiert oder nachhaltig.
Gesellschaftliche Werte unterliegen dem Wandel der Zeit. Der Naturschutzgedanke der Industrienationen beispielsweise zielte im 19. Jht. auf die Erhaltung von Parks als "Wildnis". Artenschutz kam hinzu ("Die Serengeti darf nicht sterben" (13)) und der Biomschutz ("Rettet den Urwald"). Der Gedanke der Generationenverantwortung mit Begriffen wie Verteilungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit ("Grenzen des Wachstums" (14) führte zur globalen Betrachtung ("ökologischer Fußabdruck").
Für die interessierten oder betroffenen Teilhaber bieten sich auch innerhalb des Rahmens der Ökonomie (im oben genannten Sinn des Wirtschaftens) regelmäßig Handlungsalternativen, die auf unterschiedlichen Abwägungskriterien beruhen.
- Zeitlicher Tausch: Nutzen heute gegen Schaden/Kosten später
- Räumlicher Tausch: Nutzen/Gewinn hier, Schaden/Kosten woanders
- Umverteilung: Einige gewinnen, andere verlieren
- Ökosystemdienstleistungstausch: Eine Dienstleistung wird beansprucht, eine andere geht dafür zurück
Im betriebswirtschaftlichen Sinn ist es entscheidungsrelevant, für die verschiedenen Handlungsszenarien den ökonomischen Gesamtwert (TEV, Total Economic Value) zu ermitteln, d. h. die Summe der Werte des Naturkapitals über die Zeit. Dies entspricht der Vorgehensweise z. B. eines PKW-Herstellers in Bezug auf eine neue Montagefabrik, für die er die Investkosten und die über die Jahre summierten erwarteten Absatzerlöse vergleicht, um die Rentabilität zu berechnen und damit seine Bauentscheidung zu treffen. Bei dieser Summierung werden üblicherweise die künftigen Erlöse mit einem jährlichen Abzug versehen, sie werden diskontiert. Bei einem Diskontsatz von z. B. 3 % entsprechen 100 Euro heute im nächsten Jahr nur 97 Euro, im übernächsten nur 94 Euro. Warum rechnet der Investor so? Er vergleicht seine geplante Investition mit der Handlungsalternative, den eingesetzten Betrag auf der Bank anzulegen. Wenn er das Wirtschaftswachstum, vereinfacht gleichgesetzt mit dem Anlagezinssatz, auf 3 % schätzt, würde er bei der Geldanlage "sowieso" 3 % erzielen. Seine Investition rechnet sich also nur mit den Erlösen, die über diesem Betrag liegen (Die Inflation ist hierbei herausgerechnet).
Hohe Diskontsätze verringern die Investitionsneigung, da sie den ökonomischen Gesamtwert kleinrechnen, und umgekehrt.
Im Ökosystembereich würde, um im Bild zu bleiben, beispielsweise eine Waldfläche der Fabrik entsprechen. Man kann sie aufforsten (Investition), nachhaltig bewirtschaften (jährliche Erlöse) oder zur Holzgewinnung roden (dies entspräche dem sukzessiven Verkauf der Fabrikeinrichtung in Einzelteilen, unter Verringerung der Produktion bis auf Null).
Trockenreisbauern am Urwaldrand, die Wanderfeldbau durch Brandrodung betreiben, um sich ernähren zu können, realisieren einen hohen Diskontsatz: Der Nutzen heute ist ihnen wichtiger als der Schaden morgen.
Nun stellt sich die Frage nach der Höhe des "richtigen" Diskontsatzes; dazu können die folgenden Beobachtungen gemacht werden:
- Benutzt man ausschließlich den Faktor des geschätzten Wirtschaftswachstums, z. B. 3 %, so wertet dies auch die Erträge von Naturkapital ab. Ökosystemdienstleistungen in 50 Jahren hätten dann nur noch etwa ein Fünftel des Wertes von heute. Dies scheint ethisch unzulässig; unsere Enkel werden voraussichtlich die Dienstleistungen genauso schätzen wie wir heute.
--> Diskontsatzwahl für Naturkapital = Null - Die Verwendung eines wachstumsgekoppelten Diskontsatzes setzt voraus, dass das menschliche Wohlergehen proportional dem BSP-Wachstum ist und bleibt. Sollten die künftigen Verluste von heute nicht verpreisten Ökosystemdienstleistungen (z. B. Luftreinheit, Erosionsschutz, Wasserversorgung) dem entgegenstehen, müsste der
--> Diskontsatz auch für Wirtschaftskapital < Wirtschaftswachstum
gewählt werden (Berücksichtigung externer Kosten, Korrektur von Marktmängeln). - Geht man von einer Devestitionssituation aus (graduelle Verringerung der Ressourcen), ist markttechnisch zu erwarten, dass der Wert der entsprechenden Dienstleistung durch Verknappung höher wird.
--> Diskontsatz für knapper werdendes Naturkapital = negativ - Die klassische Diskontierung setzt lineare Zusammenhänge voraus. Drohende Kipp-Ereignisse (z. B. das Zusammenbrechen einer regionalen Fischpopulation, die irreversible Änderung von lokalen Wettermustern, das Aussterben funktionell wichtiger Arten) würden zur Vermeidung künftiger (hoher) Kosten sofortige Investitionen begünstigen.
--> Diskontsatz für Versicherungswert= (hoch) negativ - Für Optionswerte (z. B. die künftige Nutzung von genetischen Ressourcen) haben zeitabhängige Bewertungen kaum Grundlagen.
--> Diskontsatz für Optionswerte nicht anwendbar
Fazit: Obwohl der Diskontsatz für die kaufmännische Abschätzung des ökonomischen Gesamtwertes von Ökosystemdienstleistungen eine wesentliche Bestimmungsgröße ist, muss festgestellt werden, dass seine eindeutige Ermittlung mit Hilfe rein marktwirtschaftlicher Instrumente nicht möglich ist (16).
Nach all diesen analytischen Betrachtungen stellt sich letztlich die Frage: Wer entscheidet?
Da im Entscheidungsvorgang selbst keine deterministischen Naturgesetze greifen und auch keine absolut übergeordnete soziale Instanz vorhanden ist, ist dies eine politische Frage. Die Entscheidungen folgen den jeweils im räumlichen, organisatorischen und historischen Kontext vorhandenen Gesellschaftsstrukturen, die wiederum im gegenseitigen Wechselspiel stets Veränderungen unterliegen.
Dies ist ein typisches Allmendeproblem - die Verwaltung knapper Allgemeingüter bei Vorhandensein unterschiedlicher Interessengruppen - und die TEEB-Studie weist ausdrücklich darauf hin, dass die Optimierung der betreffenden kommunikativen Entscheidungsprozesse mit der Entwicklung einer sozialen Rationalität von entscheidender Bedeutung sei, entscheidender für den Ausgang als der Vorgang der naturwissenschaftlichen und rein monetären Bewertung der Ökosystemdienstleistungen an sich (6).
Quellenangaben
(1) R. Costanza et al., "The value of the world's ecosystem services and natural capital", Nature 387: 253 (1997)
(2a) M. Sandel, "What Money can't Buy - The Moral Limits of Markets" (London: Penguin Books, 2012)
(2b) R. und E. Skidelsky, "How much is Enough? - Money and the Good Life" (London: Penguin Books, 2012)
(3) TEEB 2008, " The Economics of Ecosystems and Biodiversity; An Interim Report"
(4) TEEB 2010, "The Economics of Ecosystems and Biodiversity"
(5) S. Sanyal, Green Accounting for Indian States Project (GAISP), in TEEB 2008 (2a)
(6) TEEB 2010, "The Economics of Ecosystems and Biodiversity; Ecological and Economic Fountations", Kap. 4, "Socio-cultural context of ecosystem and biodiversity valuation"
(7) TEEB 2010 wie (6), Kap. 5, "The economics of valuing ecosystems and biodiversity"
(8) TEEB 2010 wie (6), Kap. 3, "Measuring biophysical quantities and the use of indicators"
(9) N. Stern, "The Economics of Climate Change. The Stern Review" (London: HM Treasury, 2006)
(10) TEEB 2010, "The Economics of Ecosystems and Biodiversity; National and International Policy-Making"
(11) Die Aufteilung des Nutzens von Ökosystemdienstleistungen (wie z. B. Ökotourismus) zwischen der reicheren Restbevölkerung und den Armen wurde in den Kalkulationen abgeschätzt und berücksichtigt.
(12) A. Damasio, "Looking for Spinoza. Joy, Sorrow and the Feeling Brain" (London: Harcourt, 2003)
(13) B. und M. Grzimek 1959, Kinofilm
(14) Club of Rome, "Limits to Growth", 1972
(15) Wikipedia, abgerufen 25.1.14; dort IWF (Internationaler Währungsfonds), Stand 2013
(16) vereinfacht aus TEEB 2010 wie (6), Kap. 6, "Discounting, ethics and options for maintaining biodiversity and ecosystem integrity"