_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Corona nach der Impfung - Fragen an die Werte der Gesellschaft

 

Coronajahr Fünf: Wie wollen wir leben?

April 2020


1. Szenario: Das Jahr Fünf mit Corona

Nehmen wir an:

  • Es hat sich herausgestellt, dass die spezifische Sterblichkeit durch Corona für den deutschen Bevölkerungsmix (Alter, Gesundheit) im Jahr 2020 0,2 % betragen hat. Das heißt, bei - durch drastische Eingriffe in das gesellschaftliche Leben vermiedener - vollständiger Durchseuchung wären 180 000 Menschen gestorben. Die Gefährlichkeit von Corona hat den der Grippe in heftigen Jahren (25 000 Tote in Deutschland) also um den Faktor Sechs bis Zehn übertroffen.
  • Nach Einführung der Impfung im Coronajahr Zwei hat sich herausgestellt, dass diese bei durchschnittlich zwei Drittel der Geimpften wirksam ist (ähnlich der Grippeimpfung). Ältere und Risikopersonen werden regelmäßig geimpft. Weiterhin fand man, dass eine teilweise und zeitlich begrenzte Immunisierung auftritt (ebenfalls wie bei der Grippe). Medikamente wurden gefunden, ebenfalls mit einer begrenzten Wirksamkeit. Dies alles führte zu einer Reduzierung der spezifischen Sterblichkeit um über 80 %. Diese liegt nun etwa gleich bis doppelt so hoch wie bei einer starken Grippewelle.
    Der Coronavirus mutiert, der Impfstoff muss jährlich angepasst werden.
     

Die Gesellschaft hat sich für eine von zwei Möglichkeiten entschieden:

  1. Eine Durchseuchung wird mit allen Kräften verhindert, je weniger Neuinfektionen pro Tag desto besser. Das bedeutet, dass direkte Kontakte dauerhaft eingeschränkt sind. Kleine Kinder dürfen nicht miteinander spielen, die Oma darf ihren Enkel nicht herzen, Kindergärten und Schulen laufen routiniert im Zweischichtenbetrieb. Lehrer ab 60 werden zwangspensioniert. An das permanente Tragen der Maske haben wir uns gewöhnt, Lächeln kennen wir noch aus dem Kino. Menschenansammlungen, wie volle Kirchen, Fußballspiele, Oktoberfest oder Vereinsfeste gehören der Vergangenheit an. Den Menschen wurde anerzogen, den Hauch des Todes in der Atemluft des anderen zu vermuten.
    Die gesellschaftlichen Kosten werden ignoriert: Verlust an Lebensqualität und gesundheitlich schädlicher Stress für Kinder, Familien, erziehende Mütter in Homeoffice, Sorgen durch Arbeitslosigkeit, Zunahme häuslicher Gewalt, schulische Benachteiligung von sozial Schwächeren.
  2. Eine kontrollierte Durchseuchung mit Zielgruppe der Jüngeren wurde begonnen, mit dem Ziel, die Ausbreitung des Virus mit konstanter Geschwindigkeit zuzulassen. Das Ziel "70 % Durchseuchung" ist allerdings noch längst nicht erreicht (1).
    Die Politik hat die sozialen Beziehungen der Kinder unter 6 Jahren bereits völlig normalisiert, mit regelmäßigen Kontrollmessungen und Quarantäne der kontaktbetroffenen Älteren wie schon bei Ausbruch der Pandemie. Die nächste Stufe - Zulassung der Durchseuchung von älteren Schülern - läuft. Hohe Messzahlen verhindern das Ausbrechen aus den gewollten lokalen Infektionsherden. Besondere Schutzmaßnahmen für Ältere und Risikogruppen bestehen weiterhin (2).
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                     Kontrollierte Steuerung der täglichen Fallzahlen
              Möglichkeit 1: Ziel nahe Null
              Möglichkeit 2: Ziel unter Überlastungsgrenze des Gesundheitssystems
    y-Achse: tägliche Fallzahlen, x-Achse: Zeit
    schwarzer Kasten: Quelle RKI ((3), dort siehe auch Farberklärung)
     






 

 

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2. Wertefrage: Ist jeder Tote einer zuviel?

Die Antwort ist nach unserem gesellschaftlichen Verhalten ein klares Nein.

  • 344 000 Menschen sterben jährlich an Herz-Kreislauf-Erkrankungen (2017, von knapp einer Million Toten in Deutschland jährlich). Obwohl der starke Zusammenhang mit Übergewicht (siehe auch (4)) bekannt ist, trifft die Gesellschaft kaum Gegenmaßnahmen (wie Besteuerung von Zucker, Gesundheitskennzeichnung von Lebensmitteln, Werbeverbot, diesbezügliche gesetzliche Einschränkungen zur Herstellung von Industrienahrungsmitteln).
  • 45 000 Menschen sterben jährlich an Lungenkrebs - Zigaretten sind erlaubt. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die Gefährdung durch Passivrauchen verboten wurde.
  • 25 000 Menschen sterben jährlich an Diabetes, die auch bei Kindern sprunghaft zunimmt. Es gibt keine nennenswerten oder wirksamen Maßnahmen, um Eltern eine gesunde Ernährung für ihre Kinder zu vermitteln.
  • 14 000 Menschen sterben jährlich an Lebererkrankungen - Alkohol ist erlaubt, inklusive der Werbung dazu.
  • 3 000 Menschen sterben jährlich in Verkehrsunfällen - Deutschland hat kein Tempolimit, da dessen Einfluss auf die Todeszahlen ja nur gering sei.
  • Um es etwas zu verallgemeinern: 28 000 Menschen sterben jährlich an sonstigen Unfällen - dennoch sind Leitern erlaubt (von denen man fallen kann), Dachziegel (die im Sturm herunterfallen können) oder Bäume (deren Äste einen erschlagen können).

Was damit gesagt werden soll: Die Gesellschaft, d. h. jeder von uns, die öffentliche Meinung und die Politik, blenden viele vermeidbare Todesursachen aus, sei es durch geschickte Lobbypolitik interessierter Akteure, sei es durch Desinteresse der Öffentlichkeit. Was kann ein kleines Kind dafür, dass es dickgefüttert wird?

Zudem treffen wir, teilweise unbewusst, Abwägungen "Lebensqualität gegen Lebensverkürzung". Viele betreiben Tätigkeiten oder Sportarten, die risikobehaftet sind, weil sie Freude machen, und Lebensfreude ist ein Wert an sich.
Um auf den Pandemiezusammenhang zurückzukommen - "darf" ein Kind seine Großeltern besuchen, "darf" ein Erwachsener seine vielleicht nur noch wenige Jahre lebenden Eltern besuchen, denen der Besuch große Freude macht, wenn eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Älteren angesteckt werden und dadurch versterben? Und diese Situation für die nächsten 10 Jahre besteht?
Möchte man als allgemeine Regel, für seine Verwandten, für sich selbst "jedes Risiko" ausschließen auf Kosten der Lebensqualität? Natürlich nicht, dies ist eine Abwägung.

Nebenbei: Der Mensch bewertet zeitlich und beziehungsmäßig nahe Risiken höher als fernliegende. Dies führt zu der bekannten Schwierigkeit, Klimawandel und Artensterben kohärent zu bekämpfen - die möglichen Folgen von z. B. gravierenden Hungersnöten liegen ja erst in der Zukunft und angenommenerweise "anderswo". Auch dies - die Abwägung künftiger Risiken gegen aktuelle - ist eine persönliche bzw. gesellschaftliche Entscheidung.    

3. Wie wollen wir leben?   

Wenn wir eine kindgerechte Erziehung mit Gruppenbildung, Kontaktsportarten (wie Fußball, Tanzen), Handschlag und Umarmung unter Freunden, gemeinsame Unternehmungen und Feiern, die Benutzung der biologisch hochausdifferenzierten Gesichtsmimik (vulgo: ein Lächeln statt Maske) in unserer Lebensweise erhalten wollen, werden wir mit dem Coronavirus leben müssen. Der Weg dahin beinhaltet die kontrollierte Durchseuchung, die mehrere Jahre dauern kann.
Die Alternative - die Zahl der Infektionen dauerhaft auf einem Minimum zu halten - hat einen sehr hohen Preis: Für die Wirtschaft, für die kindliche Erziehung, für die Bildung, für die Religionsausübung, für das gesellschaftliche Leben, für Familien, für unserer aller Lebensqualität.
Abschließend noch weitere gesundheitliche Aspekte: Die permanente Abschottung gerade auch der Jüngeren würde zu einer Schwächung ihrer Immunsysteme führen durch mangelhafte "Übung" - was wiederum ihre Lebenserwartung verkürzen dürfte. Langfristig ist der Schutz der Risikogruppen auch besser gewährleistet, wenn deren Kontaktpersonen weitgehend schon immunisiert sind.   



Anmerkungen
(1) Wird angenommen, dass Ende März bei knapp 6000 Fällen täglich das deutsche Gesundheitssystem noch Reserven (Intensivbetten) in drei- bis vierfacher Höhe hatte, wäre eine Fallzahl von 20 000 pro Tag das obere Limit vor Überlastung. Die Politik sollte einen sicheren Abstand steuern, z. B. die Hälfte bis maximal zwei Drittel. Werden kontrolliert die jüngeren Bevölkerungsgruppen durchseucht, kann mit einer hohen Dunkelziffer (asymptomatische Fälle) gerechnet werden. Eine Rate von 20 000 Kindern/Jüngeren pro Tag wäre dann wohl machbar. Die Aktion würde dennoch 2 Jahre dauern (bezogen auf Kinder/Jugendliche bis 20 Jahre). Es könnte noch schneller gehen, wenn sich herausstellen sollte, dass Kinder statistisch wesentlich weniger ansteckend wären als Erwachsene.  Es gibt  je rund acht Millionen Kinder/Jugendliche bis 10 Jahre und von 11-20 Jahren in Deutschland.
(2) Dänemark begann am 15.4.20 diesen Weg einzuschlagen: Krippen, Kindergärten und Schulen bis zur fünften Klasse wurden komplett geöffnet, mit Abstandsregeln.
In Schweden waren Kindergärten und Schulen nie geschlossen.
(3) Quelle: Robert-Koch-Institut (RKI), Covid-19-Dashbord zu Deutschland und Bundesländern, abgerufen 27.4.20. Originaltitel: COVID-19-Fälle/Tag nach Erkrankungsbeginn [blau], ersatzweise Meldedatum [gelb] 
(4) Eine amerikanische Studie fand, dass 40 % der in den USA im Krankenhaus Behandelten unter 55 Jahre alt war - davon die allermeisten stark übergewichtig. In Frankreich wurde gefunden, dass drei Viertel aller Eingewiesenen fettleibig waren.
Quelle: FAZ vom 27.4.20, "Aus heiterem Himmel ein Schlaganfall"
Das kann man so interpretieren, dass für diese Bevölkerungsgruppe nicht das Coronavirus gefährlich ist, sondern die Fettleibigkeit.



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