Corona-Virus - Chance für einen globalen Paradigmenwechsel?
Corona und seine Folgen
März 2020
Ende 2019 sprang vermutlich auf einem Lebensmittelmarkt in Wuhan (China) ein Virus von einem Tier auf den Menschen über, SARS-CoV-2, umgangssprachlich der Coronavirus, der sich über Tröpfcheninfektion verbreitet.
Er stellte sich als sehr virulent und relativ gefährlich heraus. Innerhalb weniger Monate wurden in China 80 000 Infektionen gemessen, mit 3,9 % Todesfällen. Etwa ab Februar 2020 verbreitete er sich in nennenswerten Zahlen im Rest der Welt. Stand 21.3.2020 270 000 gemessene Infektionen weltweit mit 4,1 % Todesfällen.
Global fanden Gegenmaßnahmen zur Eindämmung statt, z. B. durch Grenzschließungen und Ausgangssperren.
1. Bewertung der Gefährlichkeit
Die Todesrate wird jeweils in Tote pro gemessene Fälle angegeben. Sie hängt einerseits von der nationalen Erfassungsquote ab - je nach Intensität der Messungen wird von einer hohen bis sehr hohen Dunkelziffer ausgegangen - und andererseits von der Güte des Gesundheitssystems. Kritische Fälle benötigen künstliche Beatmung und ggf. Antibiotika gegen bakterielle Zusatzinfektionen.
Die so bestimmte Todesrate ist national stark unterschiedlich, z. B. Welt 4,1 %, China 3,9 %, USA 1,3 %, Deutschland 0,2 %.
Nach heutigen Erkenntnissen ist die Gefährdung stark altersabhängig, im Schnitt sind rund 80 % aller Infizierten ohne oder mit leichten Symptomen. Rund 5-10 % bedürfen intensivmedizinischer Betreuung.
Wegen der nicht bestimmten Dunkelziffer dürften schwere Symptome statistisch eher geringer auftreten.
2. Varianten des Ausbreitungsverlaufes
Solange keine Medikamente und keine Impfung vorhanden ist - damit wird in rund einem Jahr gerechnet - gehen epidemiologische Fachstellen davon aus, dass eine "Durchseuchung" stattfinden wird, d. h. die Infektion von rund 70 % der Bevölkerung, bevor sich die Ausbreitung mangels genügend vieler Träger automatisch verlangsamt. Würde diese Ausbreitung ungestört vor sich gehen, würde es nur rund zwei Monate bis zur maximalen Infektionsrate dauern, bei der über wenige Wochen ein zweistelliger Prozentsatz der Bevölkerung gleichzeitig infiziert wäre. Da das Gesundheitssystem um Größenordnungen überfordert wäre, würde der Bruchteil der kritisch Erkrankten unbehandelt sterben - für Deutschland z. B. wäre mit 5 % der Bevölkerung mit der Größenordnung von einigen Millionen Toten zu rechnen.
Diese Prognose führte in vielen Staaten zu ausbreitungshemmenden Maßnahmen (Reduzierung persönlicher Kontakte).
Das Ziel ist es, die Zahl der Fälle so klein zu halten, dass das Gesundheitssystem sie noch behandeln kann. Für Deutschland gelten folgende Zahlen: Vorhanden sind rund 30 000 Intensivstationsbetten, davon 20 %, also 6000, frei. Es wird bereits an einer (drastischen) Erhöhung gearbeitet. Rechnet man mit 20 000 Betten (die heutige freie Kapazität gut verdreifacht), die jeweils 20 Tage von Coronapatienten belegt sind, können täglich 1000 Patienten neu aufgenommen werden. Die entspricht einer täglichen Zahl an Neuerkrankungen (bei als konstant angenommenen Identifizierungsgrad) von rund 10 000 bis 20 000 Fällen. Das Ziel der Politik wird es also sein, durch soziale Zwangsmaßnahmen die Verbreitungsgeschwindigkeit soweit abzusenken, dass diese Neuerkrankungszahl sicher und dauerhaft unterschritten bleibt.
Dies wiederum hat zur Folge, dass eine Durchseuchung viele Jahre dauern würde.
3. Kurzfristige gesellschaftliche und wirtschaftliche Konsequenzen
Mit kurzfristig ist hier die Phase vor Impfung und Medikamenten gemeint, also die Größenordnung von einem Jahr. Danach wird sich die medizinische Lage für diesen Virus entspannen.
Global:
Personen- und Warenströme werden unterbrochen bzw. eingeschränkt. Es wird eine globale Wirtschaftskrise erwartet.
National:
Der Durchseuchungsgrad wird unterschiedlich schnell steigen. Am raschesten möglicherweise in armen Ländern (deren Gesundheitssystem und deren Staatskontrolle schwächer ist). Sofern sie eine junge Bevölkerung haben, wie z. B. viele Länder in Afrika, wird die Seuche auch geringer wahrgenommen werden als in Bevölkerungen mit hohem Anteil an Älteren.
Länder, die die Ansteckungsquote kontrolliert niedrig halten können, sehen sich vor dem Problem, wie monatelang Kindergärten, Schulen, Universitäten, Restaurants, Geschäfte, Hotels, Betriebe gebremst oder geschlossen gehalten werden sollen.
4. Langfristige gesellschaftliche und politische Konsequenzen
Nationalismus:
Innerhalb weniger Wochen haben die Nationalstaaten zu einer quasi natürlichen Stärke zurückgefunden, indem sie z. B. durch Grenzschließungen und Vorgabe von "Abstandsregeln" aus Selbstschutz vor ihrer eigenen Haustür kehrten - ohne dass dies emotional aufgeladene Debatten ausgelöst hätte. Dieser Effekt fand teilweise auch auf subnationaler Ebene statt, so haben beispielsweise Kalifornien in USA oder Bayern in Deutschland oder einzelne Stadtbezirke in Berlin eigene Regeln herausgegeben, da sie, unter gegebenem hohen Zeitdruck, nicht auf Regeln "von oben" warten wollten.
Die Position von Nationalstaaten wird - sowohl global als auch innerhalb der EU - im öffentlichen Diskurs gestärkt hervorgehen, und Auseinandersetzungen des Typs "Solidarität oder nationalegoistisches Handeln" werden entspannter als heute geführt werden können. Nach Meinung des Autors wird dies zu einer Stärkung der EU führen, nicht zu einer Schwächung. Dasselbe könnte auch für globale Diskussionen z. B. um Klimaschutz eintreten.
Globalisierung:
Die auftretenden Schwächen durch Unterbrechung transnationaler Lieferketten dürfte dazu führen, dass die Diskussion um die Stärkung regionaler Erzeugung vertieft wird, die bei Schlüsseltechnologien wie Automatisierung, Informationstechnologie, Pharma und auch Landwirtschaft ja bereits geführt wird, teilweise auch unter dem Aspekt der Sicherheit (Spionage, Manipulation der öffentlichen Meinung). Der in den nuller Jahren nahezu blinde Glaube an die nachteilsfreie Maximierung der Globalisierung dürfte weiter zurückgehen - auch zu Gunsten der globalen Verteilungsgerechtigkeit ("Erhalt lokaler Märkte in ärmeren Ländern"), des Umweltschutzes ("indonesisches Palmöl für den Konsum der Ersten Welt") und eines gesunden wirtschaftlichen Abstandes zu Ländern entgegengesetzter politischer Systeme (z. B. China).
Informationstechnologie:
Die Notwendigkeiten der kurzfristigen (ein Jahr) Reaktion werden zu einem Schub sowohl für elektronische Lernsysteme (Schule, Studium) führen, als auch für Konferenzschaltungen (Industrie, Gewerbe, Verwaltung).
Die Zahl der Geschäftsflüge könnte bleibend deutlich fallen, da Videokonferenzen dramatisch billiger sind und Flugverkehr in Zusammenhang mit dem Klimaschutz weiterhin und steigend unter Kritik stehen wird. Die Wirtschaft wird sich schnell umgewöhnt haben.
Gesellschaftlicher Wandel:
Die industrialisierten Gesellschaften, die direkt oder indirekt (durch globalen Handel) am meisten zum Klimawandel und zum Artensterben beitragen, tun sich schwer, ihre Verantwortung entschlossen zu übernehmen - im Gegenteil, mehrheitlich herrscht ein egoismuszentriertes Denken. Mehr kaufen, mehr Urlaub, mehr Fliegen - nach mir die Sintflut.
Nun herrscht Quarantäne: Das alles geht auf einmal nicht mehr, und jeder muss sich notgedrungen auf andere Werte besinnen. Die Tatsache, dass vieles "Selbstverständliche" eben doch nicht selbstverständlich ist, wird zwangsweise bewusst.
Vielleicht setzt dies bei einem Teil der Menschen ein gesellschaftliches Umdenken in Kraft, das die Solidarität mit anderen, mit der Zukunft und mit den anderen Spezies des Planeten mit einschließt.