Strukturen von Aktionssituationen
Institutionen
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Stellen wir uns als Beispiel einer Institution einen Fußballverein vor. Im Rahmen der Außenwelt (s. Graphik oben, linker Teil) benötigt er materielle Gegebenheiten (ein Spielfeld, Trainingsräume), weist spezifische Eigenschaften auf (man spielt Fußball und nicht Schach, das Training ist dienstags und donnerstags) und hat Regeln (die Vereinsregeln und die Spielregeln; mehr zur Definition von Regeln weiter unten).
Vor diesem Hintergrund stehen sogenannte "Aktionsräume" (obige Graphik, rechter Teil). Nur die Mitglieder des Vereins sind Teilnehmer dieser Institution, dürfen trainieren und spielen. Sie haben verschiedene Positionen - im Verein z. B. Vorstand oder Mitglied, auf dem Spielfeld z. B. Stürmer oder Verteidiger. Der Spieler auf dem Feld entscheidet über Aktionen und führt sie durch (z. B. Ballpassagen). Er benutzt hierfür die Information über die Stellung der gegnerischen und eigenen Spieler. Er hat eine teilweise Kontrolle über seine Aktionen (z. B. kann er nur mittelbar beeinflussen, ob ein gespielter Pass in den gegnerischen Strafraum auch verwandelt wird). Das Ergebnis ist das Torverhältnis, das als Bewertung in eine Ligatabelle eingeht.
Die gestrichtelten Pfeile deuten die Aufarbeitung eines Spielablaufes an; Taktik, Training oder Besetzung der Positionen auf dem Feld werden ggf. optimiert.
Welches sind die mentalen Bausteine, die zu Aktionsentscheidungen führen?
Elinor Ostrom unterscheidet zwischen Strategien, Normen und Regeln.
Sie weist darauf hin, dass alle drei auf Sprache beruhen, und den damit einhergehenden Kommunikationsproblemen unterliegen: Rauschen, Missverständnis, Veränderung von Bedeutungen im Lauf der Zeit. Sie sind wie alle Sprachinhalte Träger der kulturellen Evolution (s. auch "Meme").
Als sprachliche Objekte lassen sie sich grammatikalisch definieren.
Die Strategie besteht aus den Elementen: [Wer] [tut etwas] [wenn].
Beispiel: [Der Schachspieler mit den weißen Figuren] [zieht den weißen Bauern auf F5] [wenn er am Zug ist und damit den schwarzen König mattsetzt].
Eine Strategie ist ein kompletter Satz von Handlungsanweisungen für alle situationsmöglichen Fälle.
Die Verfolgung oder Nichtverfolgung einer Strategie ist wertfrei.
Die Norm hat zusätzlich einen Anweisungsbestandteil: [Wer] [muss/soll/darf/darf nicht] [etwas tun] [wenn].
Beispiel: [Du] [sollst nicht] [lügen] [unter allen Umständen].
Das Befolgen oder Brechen von Normen ist mit Wertungen versehen.
Die Regel beinhaltet weiterhin eine Sanktion: [Wer] [muss/soll/darf/darf nicht] [etwas tun] [wenn] [sonst passiert].
Beispiel: [Jeder Autofahrer] [muss] [langsamer als 50 km/h fahren] [wenn er innerorts fährt] [sonst riskiert er einen Strafzettel].
Die Regel beinhaltet eine externe Konsequenz (Strafe oder Belohnung). Ob und wie häufig diese Konsequenz tatsächlich erfolgt, ist Bestandteil der detaillierten Analyse einer Institution.
Elinor Ostrom untersuchte im Lauf ihres wissenschaftlichen Lebens in Detail- und Metaanalysen Hunderte von Fallbeispielen funktionierender und gescheiterter Institutionen, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf dem Allmendebereich. Die Unübersichtlichkeit und Komplexität der Fälle und den Mangel durchgängiger Bewertungs-Maßstäbe konstatierend empfiehlt sie als Beschreibungsmethode, die jeweils vorhandenen Regeln nach übergeordneten Kriterien zu identifizieren und zu bewerten. Die Kriterien entsprechen den Elementen des Aktionsraumes, siehe Abb. unten (Regeltypen in blau).
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Betrachten wir wieder den Fußballverein als Beispiel.
Grenzregeln legen die Mitglieder fest: Wer darf in den Fußballclub aufgenommen werden (Altersgrenze, Mitgliedsbeitrag; ggf. Zustimmung des Vorstandes erforderlich). Positionsregeln legen fest, wieviele Vorstände und Trainer es gibt, und wie diese ausgewählt werden. Informationsregeln legen z. B. fest, dass jedes Mitglied eine Satzung erhält und Trainingszeiten am Schwarzen Brett hängen. Kontrollregeln können sich auf die einzelne Person, aber auch auf eine Aggregation von Personen beziehen. So mag beispielsweise festgelegt sein, dass alle Trainer im Team gemeinsam die Trainingszeiten festlegen. Eine Auswahlregel mag lauten, dass ein Teilnehmer in der Position des Spielers mindestens zweimal wöchentlich trainieren muss, um für Ligaspiele aufgestellt zu werden. Eine Zielregel wäre die Festlegung, dass Spieler entsprechend ihrer Trainingsleistung eingesetzt werden.
Eine Extremsituation ist der Nullzustand - keine Regel existiert.
Dann kann jeder (Grenzregel) alles (Positionsregel) tun (Auswahlregel), ohne äußere Kontrolle (Kontrollregel), kann Information beliebig suchen und kommunizieren (Informationsregel), wobei er jedes materiell mögliche Ergebnis (Zielregel) beliebig bewerten (Bewertungsregel) und anstreben kann, was ihm physisch möglich ist (Zielregel).
Dies ist eine Art Naturzustand für Lebewesen ohne soziale Komponente (genaugenommen für eingeschlechtliche Lebewesen, da es sonst mehr als eine Position gibt [weiblich, männlich, ggf. Nachwuchs]).
Am Beispiel des Fußballvereins fiel bereits auf, dass mehr als eine Ebene existiert: Die des Fußballspieles selbst mit seinen Regeln, und die des Vereins mit den Vereinsregeln (und weiter den nationalen Verbänden und dem internationalen Verband FIFA, der die Spielregeln definiert). Ostrom unterscheidet drei wesentliche Ebenen (s. Abb rechts):
1. Die Einzelebene, d. h. das Spielfeld oder der Vereinsalltag, in dem jeder seine persönlichen Entscheidungen fällt und agiert.
2. Die Gemeinschaftsebene, auf der die Einzelregeln festgelegt werden. Im Fall des Clubs wären dies die Mitgliederversammlungen bzw. Vorstandstreffen.
3. Die Verfassungsebene, auf der die Gemeinschaftsregeln festgelegt werden. Für den Verein wäre dies die Gründungssitzung (1).
Insbesondere im Fall unterschiedlicher Interessen, d. h. z. B. bei sozialen Dilemma-Situationen, darunter den Allmende-Situationen, stellt sich die Frage, wie die Veränderung vom Nullzustand (keine Institution, keine Normen und Regeln) zu einer funktionierenden Selbstverwaltung geschieht.
Ostrom formuliert das so (2):
- Das Dilemma der Institution:
Wie schaffen es die Akteure, eine Institution ins Leben zu rufen und den äußeren Einflüssen entsprechend anzupassen, d. h. ständig zu optimieren, wenn sie widerstreitende interessen haben?
- Das Dilemma des Commitments:
Was veranlasst die Akteure, Regeln dauerhaft einzuhalten, auch sofern diese ihren kurzfristigen Interessen widersprechen?
- Das Dilemma der Kontrolle:
Wie schaffen es die Akteure, sich gegenseitig zu kontrollieren, wenn doch der Akt der Kontrolle häufig negativ auf den Kontrolleur zurückfällt, der Nutzen der Kontrolle aber allen zu Gute kommt?
Quellenangaben
(1) E. Ostrom, "Understanding Institutional Diversity" (Princeton: Princeton University Press, 2005)
Abbildungen frei übernommen
(2) E. Ostrom, "Governing the Commons - The Evolution of Institutions for Collective Action" (Cambridge: Cambridge University Press, 1990); s. auch Buchtipps