_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Globale CO2-Bilanz von Stahl

 

Stahl und seine Ökobilanz

Januar 2022

Zur Risikobewertung des globalen CO2-Ausstoßes ist es zweckmäßig, größte Emittenten zu ermitteln. So werden etwa die private Hausenergie mit 40%, Beton mit 8% (siehe Beton) oder das Fliegen mit 3% (5% inklusive indirekter Klimanebenwirkungen, siehe IPCC 2021 / Zahlen heute) bewertet.
Wie Beton ist auch Eisen bzw. Stahl ein Massenprodukt der Industrie, das mit hohem Energieaufwand hergestellt wird. Eine Quelle (1) ordnet der Stahlerzeugung 10% des globalen CO2-Ausstoßes zu, entsprechend 2 t CO2 je t Stahl (2). Eine weitere Quelle (3) nennt für das Jahr 2012 diesselben Zahlen (10% von Gesamt-CO2, 2 t CO2 je t Stahl).
In diesem Artikel soll die Größenordnung dieser Aussagen überprüft werden.

Stahl ist eine Eisenlegierung mit weniger als 2% Kohlenstoffgehalt (bei höherem Gehalt ist es sprödes, nichtschmiedbares Gusseisen), die weitere Zusatzstoffe wie Mangan enthält. Es gibt viele verschiedene Varianten.
Entdeckt wurde die Herstellung von Eisen aus Eisenerzen entsprechend den vorliegenden archäologischen Funden vor mindestens 3800 Jahren in Indien. Der Prozess wurde über den Nahen Osten in die verschiedenen Kulturräume Westeuropas vermittelt, wo die sogenannte Eisenzeit je nach Region rund 1000 bis 500 v.u.Z. einsetzte (4).
Heute wird die Vorstufe Roheisen zum größeren Teil aus oxidischen Eisenerzen, die Hämatit (Fe2O3) oder Magnetit (Fe3O4) enthalten, durch Reduktion mit Kohlenstoff in sogenannten Hochöfen gewonnen, zum kleineren Teil durch das Wiederaufschmelzen von Eisenschrott.

2020 wurden weltweit 1880 Mio. t Rohstahl hergestellt, mit einer Steigerung innerhalb der letzten 20 Jahre um durchschnittlich rund 4% pro Jahr. Davon produzierte China 57%, dahinter folgte mit weitem Abstand Indien mit 5,3%. Die Herstellung erfolgte zu 73% durch Reduktion aus Eisenerzen (meist mit Kohlenstoff), zu 26% aus Eisenschrott (meist mit Hilfe von Stromheizung) (5).
Wie hoch ist der Pro-Kopf-Verbrauch?
Im globalen Durchschnitt betrug er 2020 228 kg pro Person und Jahr. Der sogenannte "echte" Pro-Kopf-Verbrauch - dabei wird aus einem Land exportierter Stahl aus dessen nationaler Bilanz herausgenommen - betrug beispielsweise für Südkorea 750, für China 540, für USA 260 und für Deutschland 230 kg pro Jahr (5).
Wofür wird Stahl verwendet? In Deutschland etwa gehen über 60% in die Branchen Bau und Automobil, es folgen Metallwaren, Maschinenbau und Rohre mit grob je 10% (6).
Global wurden 2019 2340 Mio. t Eisenerz gefördert (5). Dies entspricht bei einem geschätzten durchschnittlichen Eisenanteil von 62% (s. weiter unten) 1450 Mio. t Roheisen. Das sind etwa 77% der oben genannten Stahl-Produktionsmenge - der Rest kommt aus wiederverwertetem Eisenschrott, wie oben beschrieben.     

Wieviel Kohlendioxid wird bei der Produktion von einer Tonne Eisen aus Eisenerz frei?
Grob vereinfachend läuft der Prozess folgendermaßen ab: Im Hochofen treten Temperaturen bis über 1600 oC auf. Dazu wird beispielsweise Koks mit Luft umgesetzt. Er verbrennt unvollständig zu Kohlenmonoxid, und erzeugt die notwendige Hitze. Das Kohlenmonoxid reduziert das Eisenoxid zu Eisen, wobei CO2 entsteht. Damit gilt etwa folgende Gleichung: Fe2O3 + 3 CO --> 2 Fe + 3 CO2. Daraus folgt ein spezifischer chemischer CO2-Bedarf von 1,18 t CO2 / t Fe. Diese Rechnung ist sehr pauschal (7), zeigt jedoch die Größenordnung. 

Für  Deutschland liegt eine Gesamtbilanzierung des Energieverbrauchs bzw. der CO2-Erzeugung vor (8). Die Studie nennt für eine Produktion von 42 Mio. t Stahl (70% aus Eisenerz, 30% aus Schrott) einen Energieverbrauch von 167 TWh (9), wobei 80% auf Kohle entfallen, 13% auf Gas und 7% auf Netzstrom (acht weitere Prozent Strom werden aus der im Prozess anfallenden Restenergie selbst erzeugt). Der entsprechende CO2-Ausstoß wird mit 59 Mio t angegeben (10).
Daraus berechnet sich ein spezifischer Treibhausgasausstoß für den Gesamtprozess von 1,4 t CO2 / t Fe. Dieser Wert wird auch von der Internationalen Energieagentur genannt (11).
Rechnet man diesen spezifischen Wert auf die Weltproduktion von Stahl im Jahr 2020 hoch, erhält man 2640 Mio t CO2-Ausstoß für die globale Stahlproduktion, was einen Anteil an den gesamten CO2-Emissionen (12) von 6,2% ergibt.

Dies entspricht nur rund zwei Dritteln des eingangs genannten Wertes von 10% des Welt-CO2-Ausstoßes.

Für eine Stahl-Gesamtbilanz fehlen allerdings diverse Schritte wie die Gewinnung aus der Eisenerzmine mit Zerkleinerung, Gesteinstrennung und folgender Sinterung des Feinmaterials, der Transport des Eisenerzes, die Herstellung des im Hochofen eingesetzten Kokses, der durch Erhitzung von Kohle gewonnen wird, und nach der Stahlherstellung die Weiterverarbeitung zu den Endprodukten wie Automobilkarosserien oder Armiereisen.

Zur Energiebilanz des Bergbaus wurden zwei Angaben gefunden. Zum einen gibt Rio Tinto, einer der größten Eisenerzproduzenten, seine Klimagasemissionen mit 3,0 Mio t CO2 im Jahr 2020 an, gegenüber einer Eisenerzproduktion von 331 Mio t im selben Jahr (13). Das ergibt 0,01 t CO2 / t Erz. Nimmt man den Eisengehalt des Erzes mit 62% an und rechnet noch ein Drittel Gangart (verunreinigendes Nebengestein) dazu (14), kommt man grob auf 0,02 t CO2 / t Eisen.
Zum anderen  nennt BHP, ein weiterer großer Erzförderer, die Zahl von 15,8 Mio t CO2 für die Summe aller seiner Produkte, die allerdings neben Eisenerz u.a. auch Kupfer- und Nickelerze beinhaltet (15). Dies führt zu 0,06 t CO2 / t Erz. Da die aufwändigeren Kupfer- und Nickelprodukte mit eingeschlossen sind, ist die Zahl als Obergrenze zu werten.

Eine Studie eines Fraunhofer-Institutes schätzt Energiebedarfe für einige dieser Schritte ab: Danach werden für die Sinterung des gemahlenen und aufkonzentrierten Eisenerzes in der Mine weitere 11%, für die Koksherstellung weitere 5% und für die Formprozesse nach der Stahlherstellung durchschnittlich weitere 12% an Energiebedarf (bezogen auf den Hochofenprozess) angegeben (16). Addiert man die Summe (28%) auf den Hochofenwert von 1,4 t CO2 / t Eisen, ergibt sich ein Wert von etwa 1,8 t CO2 / t Eisen für den Gesamtprozess (ohne Fracht).

Dieser Wert ist nun hinreichend nah an den eingangs zitierten 2 t CO2 / t Eisen, insbesondere wenn man hypothetisch annimmt, dass der größte Stahlhersteller China teilweise noch schlechtere Ausbeuten und Prozess-Energieeffizienzen habe könnte.

Damit ist auch die Angabe, dass die Stahlherstellung 10% des globalen CO2-Ausstoßes verantwortet, auf 20% genau belegt.
In Deutschland werden 35% des Stahls im Bau (Gebäude, Straßen, Schienen, Tunnels, Brücken) eingesetzt (6). Nimmt man diese Zahl hilfsweise für die Welt an, so kann man formulieren, dass zum dort verwendeten Beton (8% des globalen CO2-Ausstoßes) noch rund weitere 3% hinzuzurechnen sind, die vom verwendeten Stahl stammen. Dies ordnet dem Baugewerbe also 11% des Welt-CO2-Ausstoßes zu.

Im Sinn der eingangs als Motiv für diese Seite genannten Priorisierung von Treibhausgasemissionen kann abschließend also gesagt werden, dass neben den "bekannten" Faktoren wie Hausenergien, Verkehr und Fleischkonsum auch die bauliche Infrastruktur einen erheblichen Anteil hat - was beim Nachdenken über eine nachhaltige Klimaschutzpolitik als Baustein demnach miteingeschlossen werden sollte.    



Quellenangaben und Anmerkungen
(1) Oersted - Energiewinde, energiewinde.oersted.de, "Das Klimaproblem von Stahl und Zement", 2019
(2) FAZ vom 4.1.22, "Wie Stahl grüner werden soll"
(3) Energieforschung, energieforschung.at, "NEOStahl – Neue Energieoptimierungsverfahren und –Modelle in der Prozessautomation zur CO2-Reduktion in der Stahlindustrie, ca. 2012
(4) worldsteel association, worldsteel.org, "The white book of Steel", 2012
(5) worldsteel association, worldsteel.org, "World Steel in Figures", 2020
(6) Wirtschaftsvereinigung Stahl, stahl-online.de,  "Fakten zur Stahlindustrie in Deutschland", 2021
(7) Das Atomgewicht von Eisen (Fe) beträgt 55,8, das Molgewicht von CO2 44. Das Gewichtsverhältnis CO2 / Fe auf der rechten Seite der Formel beträgt also 132 : 111,6 = 1,18. In dieser vereinfachten Rechnung beträgt der chemische CO2-Bedarf also 1,18 t CO2 / t Fe. Die Realität ist allerdings komplizierter. So wird ein Teil des Eisenoxids auch direkt durch Kohlenstoff reduziert, was zu einem spezifisch geringeren CO2-Ausstoß führt. Die obige grobe Beispielrechnung beinhaltet über die nicht bilanzierte Vorreaktion 2 C + O2 --> 2 CO teilweise die notwendige thermische Energie für das Aufheizen. Zudem wird ein Teil des CO oben im Hochofen als sogenanntes Gichtgas abgezogen, das durch weitere Umsetzung mit Sauerstoff zu CO2 nochmals Wärme erzeugt. Die Abwärme wird technisch oder auch zur Erzeugung von Strom benutzt. Die bilanzielle Unterscheidung zwischen thermisch benötigter Energie und chemisch benötigtem Kohlenstoff ist also nicht ganz einfach.
(8) Navigant, "Energiewende in der Industrie - Branchensteckbrief der Eisen- und Stahlindustrie", Bericht an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, J. Schlemme et al., 2019
(8) TWh: Terawattstunden, 109 Kilowattstunden
(10) Die Angaben entsprechen 0,35 kg CO2 / kWh; eine plausible Zahl für im Wesentlichen eine Verbrennung von viel Kohle und wenig Gas, plus ein kleiner Anteil an Strom.
(12) Internationale Energieagentur, iea.org, dort "Technologies" / "Iron and Steel". Wert für 2020
(12) 42,6 Gt CO2 wurden im Jahr 2019 emittiert (36,7 Gt CO2 fossil plus 5,9 Gt CO2 aus Landnutzungsänderung; siehe Beton, dort Anmerkung 4). Gt: Gigatonnen, 109 Tonnen
(13) Rio Tinto, riotinto.com, "Climate Change Report 2020"
(14) Die beiden wichtigsten Eisenerze Hämatit (Fe2O3) und Magnetit (Fe3O4) enthalten in Reinform 69,9% bzw. 72,3% Eisen. In der Realität haben hochwertige Eisenerze mehr als 64%, minderwertige weniger als 60% Eisenanteil.  Hier wurde mit einem Durchschnitt von 62% gerechnet. Dazu wurde grob geschätzt ein Gewichtsdrittel Gangart addiert. Diese Schätzung ist abgeleitet aus der Tatsache, dass bei der Stahlherstellung im Hochofen heute rund ein Drittel Schlacke anfällt, das sind Verunreinigungen, die hauptsächlich aus Aluminosilikaten bestehen. Nebenbei war dieser Anteil vor wenigen Jahrzehnten mit rund 1 t Schlacke je 1 t Eisen noch erheblich höher. 
(15) BHP, bhp.com, "Climate Change Report 2020"
(16) Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, isi.fraunhofer.de, Hrsg. T. Fleiter et al.,  "Energieverbrauch und CO2-Emissionen industrieller Prozesstechnologien - Einsparpotenziale, Hemmnisse und Instrumente", 2013.
Der angegebene Wert für die Sinterung widerspricht den Energieverbrauchsangaben der beiden zitierten Minenbetreiber, die deutlich niedriger liegen.