_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Kulturelle und ökologische Entwicklung einiger ausgewählter polynesischer Inseln
 

 

Fallbeispiele

Polynesien hat (heute) knapp 40 Gesellschaften, mit - inklusive den Bevölkerungsgruppen in Mikronesien und Melanesien- etwa 450 lebendigen austronesischen Sprachen.
Die politischen Strukturen einzelner Inseln oder Inselgruppen können grob in "klein", "mittel" und "groß" unterteilt werden.
Klein: Bis zu etwa 2000 Einwohnern, zwei Hierarchieebenen (Stammesführer und Volk).
Mittel: Bis zu etwa 10 000 Einwohnern, typischerweise drei Hierarchieebenen (zentrales Oberhaupt über den einzelnen Stammes- oder Clan-Führern)
Groß: Bis zu über 100 000 Einwohnern, mit bis zu acht Hierarchiegraden (Hawai'i) (1).

Folgend werden einige Beispiele näher beschrieben.
Zur Erleichterung der räumlichen Zuordnung sind diese auf der schon bekannten Karte eingezeichnet.

         Ozeanien, mit den traditionellen kulturellen Regionen Polynesien, Melanesien und Mikronesien,
                                       mit Kennzeichnung der hier beschriebenen Fallbeispiele
  Quelle: Kirch 2000 (1)
  farbige Eintragungen durch G. Mair

 

 
                      Entwicklung auf Tikopia
Erläuterungen s. Text;         Quelle: Flenley, Bahn 2002 (2)

1. Tikopia
Tikopia ist eine 4,6 Quadratkilometer kleine Vulkaninsel mit einem zentralen Kratersee, die nördlich von Vanuatu liegt. Sie wurde etwa 900 v. u. Z. durch Lapita-Leute besiedelt, um 1200 drang von Osten eine polynesisch sprechende Bevölkerung ein, heute leben auf der Insel etwa 1500 Einwohner, also über 300 Personen je Quadratkilometer, in vier Clans.
Die Graphik rechts zeigt die Entwicklung einiger Parameter nach der Besiedelung. Wald wurde innerhalb von etwa 1000 Jahren nahezu vollständig abgeholzt ("Forest Resource"), gleichzeitig nahm der Holzkohleanteil im Boden zu, um nach Verbrauch der Holzressourcen wieder auf ein niedriges Niveau zurückzufallen ("Charcoal Influx"). Die Verbesserung der Landwirtschaftstechnik, hier dargestellt das Pflanzen von Nutzfrucht-Bäumen ("Tree Crops"), sicherte die Ernährung für eine steigende Bevölkerung, die die letzten 1000 Jahre mit Schwankungen konstant blieb ("Population").



 

 
                                          Kulturelle Sequenz von Tikopia
Erläuterungen s. Text;    Quelle: Kirch 2000 (1)
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Rechts eine weitere Darstellung der kulturellen und ökologischen Entwicklung. Man kann unter anderem ablesen:

  • Die eingeführten Ratte, diverse Schneckenspezies sowie Schwein, Hund und Huhn sind von Anfang an nachweisbar.
  • In den ersten 600 Jahren wurden Vögel, darunter Megapoden (huhnartige Inkubationsbrüter; sie vergraben ihre Eier und lassen sie von der Sonne ausbrüten) und Flora ausgerottet, und marine Fauna reduziert. Infolgedessen nahm die Fisch- und Schildkrötenausbeute ab.
  • Brandrodungs-Wanderfeldbau erreichte um 1000 ein Maximum, um dann rasch von permanenten Feldern abgelöst zu werden. Parallel nahm die Baumwirtschaft (für essbare Früchte, wie Kokosnuss, Brotfrucht) zu.
  • um 1600 wurden Hund und Schwein eliminiert.

Letzeres wird so interpretiert: Die Nahrungsmittel-Produktionskapazität der Insel war schon seit Jahrhunderten erreicht (durchschnittlich konstante Bevölkerung). Schweine und Hunde fraßen mehr wertvolle und knappe Wurzeln, Knollen und Früchte, als sie kalorisch als Mahlzeit wert waren (heute weiß man: Der Faktor beträgt etwa fünf).  Der Schutz von Nutzgärten vor Schweinen benötigte viel Holz, was auch knapp war. Mündliche Überlieferung belegt, dass die Eliminierung dieser Nutztiere ein willentlicher gesellschaftlicher Akt war - zusammen mit teilweise drastischen Methoden der Bevölkerungskontrolle, wie Abtreibung, Kindermord und Vertreibungen (2).

 
                        Entwicklung auf Mangaia
 Erläuterungen s. Text;         Quelle: Flenley, Bahn 2002 (2)
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2. Mangaia
Mangaia gehört zu den Cook-Inseln und hat 52 Quadratkilometer Fläche. Sie besteht aus einem zentralen Vulkan, der komplett von einem bis zu zwei Kilometer breiten Makatearing (teilweise Nadelkarst) umgeben ist. Bäche aus dem zentralen Bergland versickern dort ausnahmslos. Besiedelt sind die unteren, noch wasserführenden, Berghänge und -Täler innerhalb des Kalksteinringes.
Die Bevölkerung betrug in der Spitze 3000-4000 Personen, also etwa 140 Personen je Quadratkilometer, wenn man den unbewirtschaftbaren Makatearing abzieht. Zwei Prozent der Inselfläche sind durch Terrassen und Felder bewässerbar (Taroanbau), 18 % dienen dem Trockenfeldbau (Yams, Süßkartoffel) oder der Baumwirtschaft (Kokosnuss, Brotfrucht, tahitianische Kastanie).
Die Insel wurde kurz vor Beginn unserer Zeitrechnung besiedelt, Schwein, Hund, Huhn und Ratte wurden dabei eingeführt. In den folgenden vier Jahrhunderten wurde der Wald, wahrscheinlich durch Brandrodung / Wanderfeldbau halbiert (s. nebenstehende Graphik, "Forest Resource" [Waldbestand], "Charcoal" [Holzkohle]) und in farnbewachsenen, unfruchtbaren und erodierten Boden verwandelt ("soil erosion" [Erosion]).
Jagbare Tiere gingen auf dem Speiseplan zurück (Fische, Weichtiere) oder wurden ausgerottet: Um 1000 gab es noch 19 Landvogel- und 12 Seevogelarten, heute ist deren Zahl geviertelt bzw. halbiert (5 bzw. 6 Arten). 
Zumindest in den letzten Jahrhunderten war die Insel gesellschaftlich in sechs Distrikte unterteilt, entsprechend den Haupttälern. Diese unterstanden einem obersten Führer, der nicht durch Vererbung, sondern durch erfolgreiche Kriegführung und Menschenopfer an den Kriegs- und Ackerbaugott namens Rongo legitimiert war. Dieser wurde unterstützt durch drei Oberpriester.
Archäologische Funde wie zerlegte Skelette und geröstete Knochen zeigen, dass Menschenopfer und wahrscheinlich Kannibalismus in den letzten Jahrhunderten vor dem europäischen Kontakt zugenommen hatten.
Kulturell höhere Leistungen wie monumentale Tempel, Statuen oder megalithische Strukturen, wie sie andere Gesellschaften ähnlicher Größenordnung entwickelten (s. weiter unten), fehlen (1).
Bei Eintreffen der Europäer waren Schwein und Hund nicht mehr vorhanden (2)

Man interpretiert die gesellschaftliche Entwicklung dahingehend, dass bei Erreichen der Nahrungsmittel-Produktionskapazität der Insel sich als Ausweg die kriegerische Auseinandersetzung um die Ressourcen (die knappe Ackerfläche) entwickelte, da sich offenbar keine friedliche, gesellschaftlich anerkannte und wirksame Methode der Bevölkerungskontrolle finden ließ (1). Dies unterscheidet Mangaia vom ersten Beispiel, Tikopia.

 
                                                   Kulturelle Sequenz der Marquesas
  Erläuterungen s. Text;    Quelle: Kirch 2000 (1)
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3. Marquesas
Die Marquesa-Gruppe, nordöstlich der Gesellschaftsinseln gelegen, besteht aus sieben Vulkaninseln, deren größte 330 Quadratkilometer misst. Wegen des kalten Humboldtstroms gibt es keine Korallen, damit fällt eine Nahrungsquelle aus. Der Boden ist fruchtbar, jedoch kommen längere Perioden von Trockenheit vor.
Die ökologische Entwicklung folgte dem schon bekannten Muster (s. Abb. rechts): Nach der Besiedelung um Null unserer Zeitrechnung nahm der Nahrungsanteil an Vögeln und See-Säugetieren innerhalb einiger Jahrhunderte auf nahe Null ab, während die Landwirtschaft zunahm. Baumkultur und Schweinezucht waren bis etwa 1200 voll entwickelt. Hauptnahrungsmittel wurde die Brotfrucht, die fermentiert und in bis zu 200 Kubikmeter großen Speichern gelagert wurde. Dadurch konnte die Bevölkerung weiter steigen, was zu einem "Ausbruch" aus den Haupttälern und einer Besiedelung der Gesamtflächen führte ("Expansionsperiode" 1200-1600). Die Stämme, getrennt nach Tälern, beinhalteten drei Hierarchietypen, nämlich den erblichen Führer, die Priesterkaste und die Kriegerkaste. Auf keiner der Inseln gab es ein gemeinsames Oberhaupt.  
Im Gegensatz zu Mangaia entwickelte sich eine materiell höherentwickelte Kultur, mit Tempelstrukturen und Versammlungsplätzen.
Gleichzeitig mit der Bevölkerungsexplosion wurden Befestigungen gebaut, was auf zunehmende Gewalttätigkeiten schließen lässt.
In der sogenannten "klassischen Periode" (ab 1600) wurde trotz zunehmender Kriegführung (Kannibalismus wird angenommen) die materielle Kultur weiterentwickelt. Megalithische Gebäudestrukturen, anthropomorphe Abbildungen und Statuen sowie Knochenschmuck sind nachgewiesen. Die aufwändigeren zeremoniellen Plätze werden auch als Ausprägung der Machtrivalität der einzelnen Stämme gesehen, die die rituelle Bindung ihrer Mitglieder auch für den kriegerischen Einsatz gefördert haben mögen.
Dies unterscheidet die Marquesas vom zuvor beschriebenen Mangaia, das in seiner kriegerischen Phase keine höhere Materialkultur entwickelte.

4. Henderson
Henderson ist eine 37 Quadratkilometer große Makateainsel der Pitcairngruppe, die im östlichen Polynesien zwischen Mangareva und der Osterinsel liegt. Sie wurde gegen 900 besiedelt, um 1500 jedoch enden die Nachweise menschlicher Besiedelung (damit gehört sie, wie das benachbarte Pitcairn, zu den 12 sogenannten "Geheimnisinseln", die nur eine befristete Zeitspanne von Polynesiern bewohnt waren).
Die Insel hat aufgrund ihrer Geologie kein Oberflächensüßwasser und kaum Ackerboden. Es sind einige wenige Korallenriffe vorhanden. Ausgrabungen zeigen Fisch und Vögel als Nahrung (es waren 17 See- und 9 Landvogelarten vorhanden, wahrscheinlich in Millionenanzahl) (3). Die Bevölkerung betrug wahrscheinlich nur wenige Dutzend Menschen.
Bis etwa 1450 sind zahlreiche Handelswaren im Austausch zwischen Henderson, Pitcairn und Mangareva (400 km entfernt) nachgewiesen, wie Austernmuschelschalen für Fischhaken (aus Mangareva), Basalt für Keile und Ofensteine (aus Pitcairn und Mangareva) und vulkanisches Glas für Schneidwerkzeuge (aus Pitcairn). Danach stoppte der Handel; in den folgenden 50 Jahren sind auf Henderson Werkzeuge und Fischhaken aus lokalem Ersatzmaterial nachweisbar.
Dies wird so interpretiert, dass Henderson (und Pitcairn) nur mit externer materieller und möglicherweise demographischer (Heiratspartner) Unterstützung dauerhaft bewohnbar waren.
Warum brach der Austausch mit Mangareva um 1450 ab? Mangareva wurde komplett entwaldet; ethnographische Aufzeichnungen der archäologisch unzureichend untersuchten Insel legen nahe, dass eine hierarchisch bereits organisierte Gesellschaft in späterer Zeit durch Aufruhr, kriegerische Zustände und Zerfall geprägt wurde. Dies könnte zum Einstellen der Handels- und Austauschbeziehung mit Henderson und Pitcairn geführt haben. 
 

 
           Ahu Tongariki
Quelle: Wikimedia, Rivi 2006

5. Osterinsel
Die Osterinsel ist, wegen ihrer tonnenschweren Steinstatuen, die von den Europäern alle umgestürzt vorgefunden wurden (Details weiter unten), wahrscheinlich die bekannteste der polynesischen Inseln. Sie liegt am östlichen Rand Polynesiens, mit über 2000 km Abstand zu Pitcairn, und etwa 3600 km Abstand zu den Marquesas, von denen sie möglicherweise besiedelt wurde. Sie ist eine junge Insel mit drei Vulkanen, die ein Alter zwischen fünf- und dreihunderttausend Jahren haben, mit 160 Quadratkilometer Fläche, davon fast alles bewirtschaftbar. Man geht von einer Spitzenpopulation von 10 000 Menschen oder mehr aus (60 Personen pro Quadratkilometer).

Die weit entlegene Lage zeigt besonders deutlich den bereits beschriebenen "Inseleffekt" (s. Biodiversität): Auf der Osterinsel gab es keine einheimischen Wirbeltiere und heute nur 48 einheimische Pflanzenarten (darunter zwei Büsche und einen fast ausgestorbenen Kleinbaum [Sophora toromiro]). Selbst an Küstenfischen gibt es nur 126 Arten, gegen 450 vor Hawai'i oder über 1000 bei Fiji. 

 
                        Pollendiagramm des Ranu-Kau-Kratersumpfes (Osterinsel)
links "14-C B. P.": Zeit vor heute; obere gestrichelte Linie etwa 1000 u. Z., untere gestrichelte Linie etwa 700 u. Z.
linke vier Pollenspalten: Bäume - Palmen / Sophora / Asternart (?) / Triumfetta
rechte vier Pollenspalten: Niedrig wachsende Pflanzen - Süßgras / Farne / Sauergras / Knöterich (Halbstrauch)
ganz rechts: Verhältnis von Wald (schraffiert) zu Gras/Farn (weiß)
Quelle: Flenley, Bahn 2002 (2)
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       Datierte Holzkohlefunde auf der Osterinsel
schwarz: Rhizome
schraffiert: Stengel
weiß: Holz
kariert: unbekannt

Quelle: Flenley, Bahn 2002 (2)

Die Besiedelung erfolgte um 300 u. Z. Einiges deutet darauf hin, dass nur eine einzige Fahrt erfolgte, da erstens die üblichen Nutztiere Schwein und Hund nicht "ankamen" - bei mehreren Fahrten hätte man sie nachholen können - und zweitens in Sprache und Materialkultur (Fischhaken, Keile u. ä.) keine spätere Wechselwirkung mit "benachbarten" Regionen gefunden wurde.
Die anthropogene Veränderung der Landschaft und der lokalen Biosphäre nahm den üblichen Verlauf.
Vögel und Schildkröten waren anfangs Hauptnahrung (von 25 See- und 6 Landvogelarten hat nur eine Seevogelart überlebt). Die oben links im Detail dargestellte Pollenanalyse zeigt einen Rückgang der Bewaldung zwischen etwa 700 und 1000 auf nahezu Null. Einheimisch waren eine endemische Palme (Jubaea sp.), Toromiro, Hauhau (Triumfetta semitriloba, dessen innere Rinde zur Seilherstellung verwendet wurde), Papiermaulbeere (Broussonetia papyrifera, die Rinde diente der Stoffherstellung). Insgesamt wurden 13 Baum- und Straucharten nachgewiesen, wovon knapp der strauchartige Toromiro überlebt hat: Die Insel ist heute, abgesehen von exotischen Neupflanzungen, komplett baumlos.
Die Pollenanalyse half damit auch, eines der "Rätsel" der Osterinsel zu klären, wie nämlich die tonnenschweren Steinstatuen bewegt und aufgerichtet hätten werden können, ohne Holz und Seile.
Die Holzkohleanalyse (Graphik rechts oben) zeigt einen sprunghaften Wechsel von Holz zu Stengeln als Feuermaterial um etwa 1600 (2).
 

 
                                           Entwicklung auf der Osterinsel
Quelle: Flenley, Bahn 2002 (2)
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Wie verlief die kulturelle Entwicklung auf der Osterinsel? Es bildeten sich Clans, mit Abspaltungen im Verlauf des Bevölkerungswachstums, die in der Hochphase unter einem zentralen Oberhaupt vereint waren. Es wurden insgesamt über 300 rituelle Plattformen (Ahu) gebaut, die älteste wird auf 690 datiert. Der älteste Nachweis einer klassischen Statue (Moai), bereits mit einer Höhe von 5 m und einem Gewicht von 20 t, stammt aus dem 12. Jh., der jüngste (einer aufgestellten Statue) von etwa 1650. Insgesamt wurden über 800 Statuen gefunden, davon etwa die Hälfte noch unfertig im Steinbruch. Die größte errichtete wog 82 t. Auch die bedeutenderen Ahu waren mit tonnenschweren Steinfassaden gestaltet. Sie standen zumeist nah der Küste, mit den darauf errichteten Statuen landeinwärts blickend. Direkt benachbart, quasi unter dem Blick der Vorfahren, lagen die Häuser der Führungsschicht, dahinter die der Untertanen, bis hinauf in die weniger fruchtbaren Inlandregionen.

Die Probleme begannen, als die natürlichen Ressourcen, d. h. Holz und Seile für den Statuentransport und den Bootsbau, aber vor allem auch Nahrung knapp zu werden begann.
Das weniger fruchtbare Hochland wurde um 1100 besiedelt, ab 1300 mit gedüngten Steingärten (Steinwälle als Windschutz) und größeren Feldern bewirtschaftet, vor 1600 jedoch wieder aufgegeben. Delphine und Seeschildkröten als Nahrung verschwinden um 1500, ein Zeichen für den Verlust der Bootsbaufähigkeit (durch den Holzmangel). Hühner wurden - diebstahlsicher - in gedeckten Steinhäusern gehalten; 1722 sah James Cook keine Hühner mehr, d. h. an Landtieren stand nur noch die Ratte auf dem Speiseplan. Hunger zerstörte die sozialen Strukturen. Die Statuen, Symbole der Vorfahren und der Clanmacht, wurden etwa ab dem 18. Jh. umgestürzt (1838 wurden noch 4 Statuen als stehend berichtet). Ab 1650 nehmen die Hühnerknochen in den Abfallhäufen ab, dafür Menschenknochen (zerlegt, verkohlt und auch häufig von Jugendlichen, was für Kannibalismus spricht) zu. Obsidian, ein lokal verfügbares vulkanisches Glas, das sich gut zu scharfen Werkzeugen verarbeiten lässt, wurde ab dem 13. Jh. zu Dolchen und Speerspitzen verarbeitet. im 18. und 19. Jh. stellen diese die häufigsten gefundenen Artefakte dar. In schwer zugänglichen Gebieten sind Fluchthöhlen nachweisbar.
Mit dem kriegerischen Zerfall der gesellschaftlichen Ordnung wechselte auch der Glaube. Der Vorfahrenkult wurde aufgegeben (auch belegt durch das Umstürzen der Statuen), dafür bildete sich der Vogelmenschkult, der dem Schöpfer- und Fruchtbarkeitsgott Makemake huldigte. Junge Vertreter der einzelnen Clans konkurrierten einmal im Jahr um die Führerschaft, indem sie jedes Frühjahr zwei Kilometer zu einer vorgelagerten Insel schwimmen mußten, um dort das erste Ei der dort brütenden Rußseeschwalbe unversehrt wiederzubringen. Dieser Kult ist ab etwa 1750 nachweisbar. 
Die Bevölkerung fiel innerhalb von 100 Jahren um mehr als die Hälfte (s. Graphik rechts oben, "Population" (4)) (2).   

Die Osterinsel zeigt - wieder einmal - ein Entwicklungsmuster, das einzigartig ist. Ähnlich wie beim kleineren Mangaia fand ein Zusammenbruch der Bevölkerungszahl durch Nahrungsmangel statt. Im Unterschied zu diesem wurde eine herausragende Materialkultur gebildet. Offenbar organisierte sich die Gesellschaft so, dass über etwa 500 Jahre fast schon üppig zu nennende Ressourcen an Arbeitskraft bzw. Nahrung im Überschuss zur Verfügung standen, um für zeremonielle Plätze, Oberschichtbehausungen und Statuen das Material bergmännisch zu gewinnen, zu behauen, zu transportieren und aufzubauen. Ebenso bemerkenswert ist, dass in dieser kulturellen Hochphase auch, soweit die archäologischen Funde aussagekräftig sind, dauerhaft Frieden herrschte - eine Besonderheit für die polynesische Region. Das Überschreiten der nachhaltigen Nahrungs-Produktionskapazität, sprich die Überlastung der vorhandenen natürlichen Ressourcen, machte diese Erfolge allerdings innerhalb kurzer Zeit zunichte.   

 
                                                                Kulturelle Sequenz der Hawai'i-Inseln
  Erläuterungen s. Text;    Quelle: Kirch 2000 (1)
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6. Hawai'i
Hawai'i ist die nördlichste Inselgruppe Polynesiens, bestehend aus acht größeren Inseln (zwischen 16000 und 180 Quadratkilometern) und vielen kleineren - eine typische Hotspot-Inselkette.
Ihre Bevölkerung  bei Eintreffen der Europäer (und vor den Effekten eingeschleppter Krankheiten) war möglicherweise noch im Wachsen begriffen und betrug sicherlich über 250 000 Einwohner (15 Personen je Quadratkilometer), die größte Population aller ozeanischen Inselgruppen, inklusive sogar Neuseelands.
Die Besiedelung erfolgte um 300. Ab etwa 1100, in der sogenannten "Expansionsperiode" (s. Abb. rechts) wurden auch die trockeneren und unfruchtbareren Gebiete besiedelt, die Bevölkerung wuchs (s. Abb. rechts und rechts unten) entsprechend einer sogenannten "logistischen Funktion", d. h. zuerst exponentiell mit einer Verdoppelung rund alle 100 Jahre, um sich gegen 1750 dann einem Grenzwert zu nähern (genau genommen sank die Bevölkerung wieder, wobei unklar ist, ob dies wegen Ressourcenknappheit [Überschießen über den Grenzwert] oder durch eingeschleppte europäische Krankheiten erfolgte).

 
        Hawai'is Bevölkerungswachstum auf Basis der
                           datierten Wohnstätten

 Quelle: Kirch 2000 (1)
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In derselben Zeitphase wurde die Landwirtschaft intensiviert, durch Bewässerung, bauliche Systeme (Terrassen) und Fischteiche (auch im Meer, durch Errichtung von Steindämmen). Das politische System entwickelte sich, ausgehend vom üblichen Familienclansystem mit verwandtem (erstgeborenen) Oberhaupt zu einer Art Feudalsystem mit mehreren Hierarchieebenen. Die lokalen Chefs hatten keine Verwandtschaftsbeziehung mehr mit ihren Untertanen, sie unterstanden ebenfalls nicht mit ihnen verwandten oberen Führern. Das Land gehörte nicht mehr den Bauern, sondern der Elite; gegen Tribut wurde Schutz gewährt. Vor hohen Führern musste sich das Volk niederwerfen.
Die archäologisch nachweisbare Material-Kultur war ausgeprägt; von zahlreichen Tempelarealen verschiedener Rangordnung hatte der größte eine Fläche von über 12000 Quadratmetern.
Ab 1300 sind keine Fernbeziehungen mehr nachweisbar. Gleichzeitig nahmen kriegerische Handlungen zu.
Bemerkenswert ist, dass auf den entsprechend der Hotspot-Entstehung älteren Westinseln mit bereits gut entwickelter fruchtbarer Erde und dauerhaften Wasserläufen ein Fluss- und Schöpfergott-Kult herrschte, wohingegen auf den trockeneren, unfruchtbaren Ostinseln (Hawai'i und Maui) ein Kriegsgott mit Menschenopfern verehrt wurde. D. h. bei vorhandenen Naturressourcen wurde die Nahrung durch Landwirtschaft gewonnen, bei knappen Ressourcen kriegerisch durch Einfordern von Tributen. Im Lauf der Jahrhunderte unterwarfen die kriegerischen Einheiten die friedlichen. Um 1680 gab es noch vier selbständige "Reiche", 1778, bei James Cooks Besuch, noch zwei: Die beiden Ostinseln, die miteinander regelmäßig im Krieg lagen (1).
Historiker bezeichnen diese "Reiche" als "Ur-Staaten", entsprechend der Entwicklung z. B. im "Fruchtbaren Halbmond" (Sumer, Mesopotamien, Assyrien) vor Bildung der ersten Städte.        

7. Neuseeland
Neuseeland mit zwei Hauptinseln von gesamt 502 000 Quadratkilometer Fläche liegt in der gemäßigten Klimazone, d. h. es gibt dort ausgeprägte Jahreszeiten und teilweise Frost, und fällt damit ökologisch / klimatisch aus dem üblichen polynesischen Raster.
Die Insel wurde erst gegen 1000 oder auch später besiedelt. Die subtropische Agrarwirtschaft versagte, meist überlebte nur die kälteresistente Süßkartoffel. Die Bevölkerung (Maori) der Nordinsel betrug maximal um die 100 000 Einwohner (knapp eine Person je Quadratkilometer), die der etwas größeren und noch kälteren Südinsel sogar nur um 5000 Einwohner - diese kehrten mangels Landwirtschaft zum Jagen und Sammeln zurück (Feuer wurde eingesetzt, vermutlich als Jagdhilfsmittel, und die vorhandenen Großtiere, die Moas (flugunfähige Großvögel mit bis zu drei Metern Höhe) wurden innerhalb einiger Jahrhunderte ausgerottet (s. auch Artensterben - Geschichte und Trend).
Ab 1300 sind auf der Nordinsel befestigte Dörfer, wohl auch zum Schutz der Wintervorräte (Süßkartoffel) nachweisbar. Im 18. Jh. betrug deren Dichte in einem untersuchten Gebiet etwa ein Dorf je Quadratkilometer. Man kann vermuten, dass die maximale landwirtschaftliche Produktionskapazität erreicht war, was die - auch ethnographisch belegten - chronischen Überfälle der Maori erklären könnte.
Die sozialen Gruppen blieben stets klein (im Norden bis zu mehreren Hundert Personen). Temporär bildeten sich kriegerische Allianzen, es fand jedoch nie eine politisch weitergehende Einigung zu größeren Einheiten statt.
Die fremden klimatischen Gegebenheiten führten also, im Vergleich mit den tropischen und subtropischen Inseln, zu einem anderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ergebnis (1).





Quellenangaben und Anmerkungen
(1) P. Kirch, "On the Road of the Winds - An Archaeological History of the Pacific Islands before European Contact" (Berkeley: University of California Press, 2000)
(2) J. Flenley, P. Bahn, "The Enigmas of Easter Island" (Oxford: Oxford University Press, 2002)
(3) J. Diamond, "Collapse - How Societies Choose To Fail Or Survive" (London: Penguin Books, 2006 [Erstausgabe 2005])
(4) Mitte des 19. Jh. hatte die Osterinsel etwa 3000 Einwohner. 1862 entführten chilenische Sklavenhändler viele Menschen. Spätere Rückkehrer brachten die Pocken mit, der weitere zum Opfer fielen. 1872 betrug die Einwohnerzahl 110.