_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

EU-Recht und deutsches Recht in Theorie und Praxis

 

Die Rechtslage zum Naturschutz

Mai 2024

1. Gesetze

Für die auf den vorausgehenden Seiten geschilderte Konfliktlage sind folgende Gesetze direkt relevant:

a) Bayerisches Waldgesetz (BayWaldG):
In Artikel 1 fordert es den Grundsatz "Wald vor Wild", ohne eine Untergrenze für die Wildpopulation zu nennen. Im selben Artikel fordert es ebenso, die biologische Vielfalt des Waldes zu erhalten und erforderlichenfalls zu erhöhen.
Ein strukturelles Problem besteht darin, dass das BayWaldG nur "Wald" oder "kein Wald" kennt - lichter Wald, Waldweide und Übergangsbereiche zu Offenland existieren quasi nicht.

b) Bayerisches Jagdgesetz (BayJG):
Dieses fordert in Artikel 1 "einen artenreichen und gesunden Wildbestand in einem ausgewogenen Verhältnis zu seinen natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten". Die „Richtlinie für die Hege und Bejagung des Schalenwildes in Bayern" schreibt hierzu: „Ein zur artgerechten Hege und Bejagung erforderlicher Mindestwildbestand darf im Interesse der Bestandserhaltung, bezogen auf das jeweilige Gesamtvorkommen, nicht unterschritten werden."
Hier ist eine Konfliktlinie zum BayWaldG zu erkennen.

c) Europäische Natura-2000-Gesetzgebung:
Das Bundesnaturschutzgesetz fordert in § 31 die Erfüllung zweier EU-Richtlinien zum Flora-Fauna-Habitatschutz (FFH) und zum Vogelschutz (SPA), namentlich Richtlinie 92/43/EWG und 2009/147/EG. Im Artikel 3 der ersteren steht die Verpflichtung, entsprechende Schutzgebiete festzulegen und "den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet [zu] gewährleisten."
Dieser Satz hat es in sich, denn er verpflichtet die Staaten nicht nur zu Bestandsschutz, sondern bei ungünstigem Erhaltungszustand zu Maßnahmen zur Verbesserung.
Der Konflikt zwischen dieser Verpflichtung und Aktionen zur Waldpflege betreffs des BayWaldG (Schutzwald, Wirtschaftswald) wurde weiter oben detailliert ausgeführt.

Eine weitere Rechtskomponente soll noch genannt werden, der Biotopschutz im
d) Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG):
In § 30 wird eine Reihe textlich beschriebener Biotope geschützt, plus "weitere von den Ländern gesetzlich geschützte Biotope". Für diese gilt: "Handlungen, die zu einer Zerstörung oder einer sonstigen erheblichen Beeinträchtigung (...) führen können, sind verboten".
Dies ist der sogenannte Bestandsschutz, der schwächer ist als die europäische Verpflichtung der Herstellung eines günstigen Erhaltungszustandes.


2. Konflikt Waldschutz - Biotopschutz (nach BNatSchG)

 
                                      Gesetzlich geschützte Biotope und Schutzwaldsanierung
Die Grafik ist eine Überlagerung zweier Karten
schraffiert: SPA-Gebiet; violett: Biotope; orange: Schutzwaldsanierungsflächen; schwarze Ovale: Fünf Beispielareale für Überlappungen (siehe Text und Anmerkung 1)
Quelle: Bayernatlas (für Biotope) (1), SPA-Managementplan 2023 (2); Bildmontage durch Autor






























Die obenstehende Karte zeigt (violett) die gesetzlich geschützten Biotope. Der Ortskenner sieht eine gewisse Häufung in den Höhenlagen: Blaubergkette links unten, Risserkogelgebiet links oben, Schinder Mitte unten, Rotwandgebiet rechts. Orange gekennzeichnet sind die schon aus "Lichte Flächen oder Sanierung" bekannten Schutzwald-Sanierungsflächen. 
Fünf Gebiete mit Überlappungen wurden markiert. Recherchiert man die betroffenen Biotopflächen, findet man Charakterisierungen wie Fels mit Vegetation, alpine Rasen, Schuttfluren, Latschengebüsche, alpine Zwergstrauchheiden sowie Almweidefläche, Alpenmagerweiden, artenreiches Extensivgrünland (1).
Nicht überraschend sind diese Überlappungen häufig in der Nähe der Baumgrenze, wo einerseits schützenswerte Biotope liegen und andererseits offenbar Schutzwaldpflanzungsbedarf gesehen wird - der bereits beschriebene Konflikt der (bayerischen) Schutzwaldsanierung mit dem (europäischen) Raufußhuhnschutz findet sich also wieder im Konflikt mit allgemeinem (deutschen) Biotopschutz.
Hierzu wären nach Ansicht des Autors Verträglichkeitsprüfungen gemäß BNatSchG erforderlich, was bei der Natura-2000-Managementplanerstellung jedoch überhaupt keine Erwähnung fand.

Grenzbereiche zwischen Wald und Offenland sind generell Orte mit erhöhter Biodiversität und ein Gütemerkmal der Natura-2000-Gebiete in den Bergen. Neben den Raufußhühnern sind sie für viele Pflanzen, Insekten und weitere Vogelarten unabdingbar und wertvoll.


3.  Konflikt Schutzwald - Jagd sowie Schutzwald - Habitatschutz (nach EU-Recht)

Der auf den vorangegangenen Seiten dargestellte Zielkonflikt zwischen Schutzwaldsanierung, Jagdmethoden und Naturschutzrecht wurde im Managementplan (2) deutlich angesprochen. Allerdings wurde die "Einleitung und Sicherung der Verjüngung von Waldbeständen ..." und die "ordnungsgemäße Jagdausübung" als prinzipiell unkritisch genannt. Einschränkend wurden Maßnahmen auf lichten, halboffenen und offenen Lebensräumen als konfliktträchtig anerkannt. Sofern eine Maßnahme zu einer erheblichen Beeinträchtigung (z. B. der betroffenen Offenland-Vogelarten) führen können, sei eine Verträglichkeitsprüfung erforderlich.
"Ordnungsgemäße Jagdausübung" ist nach geltendem bayerischen Recht auch die ganzjährige Jagd in den Schonzeitaufhebungsgebieten - dies wurde im Text des Managementplans nirgends als möglicher Konfliktfall erwähnt.

Die Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal (SGT, ein regionaler anerkannter Umweltverband) hatte in einer Stellungnahme zum Managementplanentwurf nach diesem Rechtskonflikt gefragt. Die Antwort lautete, dass die Staatswaldbewirtschaftung kein "Projekt" im Sinn des EU-Rechtes sei und daher keine Verträglichkeitsprüfung erforderlich sei. Analoges gelte für ganzjährige Jagd.
Der Verein "Wildes Bayern e. V.", ein Verein zum Schutz der Wildtiere, hatte 2019 zu diesem Thema geklagt; 2021 landete der Fall beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, die Revision lag Anfang 2024 beim Bundesverwaltungsgericht.


4. Tourismus

Eine weitere Sammlung von Konflikten besteht zwischen Naturschutz und Tourismus. Dies ist insbesondere bedrohlich, da nicht nur die Anzahl der "Erholungssuchenden" zunimmt, sondern auch deren Reichweite und Mittel. Das E-Bike ermöglicht ein tieferes Eindringen; Skitouren- und Schneeschuhgeher, Wanderer und Gleitschirmflieger werden immer mehr und "Events" wie nächtliche Begehungen werden zunehmend angeboten.

Die EU-Rechtslage im FFH/SPA-Gebiet ist dergestalt, dass die Schutzziele für die Staaten und ihre Organe (hier also z. B. die Bayerische Forstverwaltung) bindend ist, nicht jedoch für den einzelnen Bürger (Privatwaldbesitzer, privater Jäger, Almbetreiber, Tourist). Bezüglich der zweiten Gruppe spricht ein Management-Maßnahmenplan also nur Empfehlungen aus.
Diese wurden im vorliegenden Managementplan (3) reichlich gegeben, hier eine kurze beispielhafte Liste:

  • Besucherlenkung
  • Ausweisung von Schutzgebieten zur Vermeidung von Störungen etwa in der Brut- und Aufzuchtzeit
  • Aufklärung mit verstärkten Kontrollen; bei mangelnder Wirksamkeit Einrichtung rechtlich hinterlegter Ruhezonen
  • Nennung kritischer Aktivitäten: Schneeschuh-/Skitour, Biwakieren, nächtliche Touren, Jagd, Drohnenflug, Gleitschirmflug, Hubschrauberflug
  • Löschung sensibler Wanderwege aus Karten und Onlineportalen

 
Die Realisierung müsse lokal erfolgen, beispielsweise über das Landratsamt.

Kommentar des Autors: Aufgrund des zunehmenden Nutzungsdrucks scheint eine klarere Vorgabe von Regeln, deren Kontrolle und Sanktionierung erforderlich. Dies ist beim Straßenverkehr üblich - man denke an Geschwindigkeitskontrollen - und wird auch in Naturschutzgebieten (NSG) stärker realisiert. Ein Natura-2000-Gebiet ist demgegenüber in der Öffentlichkeit nahezu unsichtbar.
So ist selbst im Landschaftsschutzgebiet (LSG) "Tegernseer Tal und Umgebung" (ein LSG verkörpert einen schwächeren Naturschutz als ein NSG), das dem Natura-2000-Schutzgebiet direkt benachbart ist, ein Verbot für die Störung "der Natur durch Lärm und Licht" und für wildes Lagern oder Zelten ausgesprochen. Das weiter oben genannte Wildschutzgebiet Rotwand war ein wichtiger und richtiger Schritt, dort zeigte sich jedoch umgehend das Problem der Umsetzung: Skitourengeher hielten sich nur mangelhaft an das Betretungsverbot.

Wenn wir dem Artenschwund im Bergland entgegentreten wollen, brauchen wir in Bezug auf die Nutzung des Berglandes - durch Forsten, Jagd, Almbetriebe und Touristen - auf Bundes-, Landes- und regionaler Ebene tatsächlich teilweise zusätzliche Regeln (und deren sanktionsbewehrte Durchsetzung). Auch die Straßenverkehrsregeln oder die Verkehrsampel wurden erst erfunden, als es "zu viele" Autos gab!
Wir benötigen weniger schöne Worte und mehr Taten!




Quellen und Anmerkungen
(1) Bayernatlas, abgerufen 30.5.24. Gebiet 1 (bei Risserkogel) Lahnerkopf/Lahnerschneid Südseite, Biotopfläche (BF) Nr. A 83366-0142-001, A 8336-0140-001 (Alm); Gebiet 2 (bei Schinder) Rotkogel NW-Hang, Laubbergel Nordabhang, BF Nr. A 8337-0236-001; Gebiet 3 (östlich der Halserspitz) Schattlahnerkopf, BF Nr. A 8436-0043-001; Gebiet 4 (östlich der Rotwand) Steilenberg, BF Nr. A 8337-0076-001, A 8337-0079-001 (Alm); Gebiet 5 (südlich der Rotwand) Auerberg West- und Südabhang, BF Nr. A 8337-0084-001, A 8337-0218-002, A 8337-0092-001
(2) Managementplan Teil II- Fachgrundlagen für das SPA-Gebiet "Mangfallgebirge", Entwurf, Bayerische Forstverwaltung, 2023
(3)  Managementplan Teil I- Maßnahmen für das SPA-Gebiet "Mangfallgebirge", Entwurf, Bayerische Forstverwaltung, 2023





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