_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Beispiel für ein europäisches Schutzgebiet

 

Natura-2000-Schutzgebiet Mangfallgebirge

März 2024

Das FFH (Flora-Fauna-Habitat)- und SPA (Vogelschutz)- Gebiet "Mangfallgebirge" (1) liegt in den oberbayerischen Voralpen südlich des Tegernsees und erstreckt sich von dort bis an die österreichische Grenze. Es umfasst (von West nach Ost) die Blaubergkette, Risserkogel, Schinder, Stolzenberg, Rotwand und Aiplspitz mit den dazwischen liegenden Tälern. Die Gesamtfläche von 159 Quadratkilometern (15 900 ha) umfasst knapp drei Viertel (11 500 ha, 72 %) Wald, das restliche gute Viertel besteht aus Gehölz (darunter etwa der Latschengürtel oberhalb der Baumgrenze), Almen und Rasen sowie Übergangsflächen (zum Beispiel offene Flächen mit geringem Baumbewuchs) zu etwa gleichen Teilen und einem geringen Anteil an Fels (2 %).
Die Karte unten zeigt die Lage.

 
                                  FFH-Gebiet Mangfallgebirge mit Waldkennzeichnung
grün: Staatswald; orange/gelb: Groß-/Kleinprivatwald
schraffiert: Bodenschutzwald; gepunktet: Lawinenschutzwald
Quelle: Managementplan 2023 (2)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Waldanteil

Die Farbkennzeichnung stammt von der bayerischen Forstverwaltung und nicht von der (genaueren) Habitaterfassung im Rahmen der Erstellung des Managementplans. Sie lässt unschwer erkennen, dass deutlich mehr als drei Viertel als Wald markiert sind. Die Waldfläche ist zu hoch, da auch Fels oder unbewachsene Flächen mit inbegriffen sind (siehe z. B. Foto unten).
Auf der Karte ist auch der sogenannte Schutzwald markiert, nahezu die gesamte Waldfläche. Die genauere Habitaterfassung ergibt 10 000 ha Schutzwald, 87 % des vermessenen Waldbestandes.
Schutzwald ist gemäß dem bayerischen Waldgesetz über die Funktionen vor allem des Lawinen- und Murenschutzes, der Wasserrückhaltung und der Erosionsverhinderung definiert.

oben: Blaubergkette; der obere Wandbereich, erkennbar nahezu baumfrei, ist auf der Karte als Wald gekennzeichnet
unten: Lichter Wald im Bereich des Schildensteins 
oben: Blauberggrat; Mischung von Offenland, Latschen und Wald
unten: Almweide nördlich des Schinders
Quelle aller Bilder: Mair 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Schutzgüter

Nach deutschem Recht sind 52 Biotoptypen auf knapp 5300 ha Fläche (33 % des Gesamtgebietes) geschützt, sowie 36 Arten; streng geschützt sind zwei Pflanzen, darunter der Europäische Frauenschuh, sechs Fledermausarten, 19 Vögel, darunter Steinadler, Birkhuhn und Auerhuhn, sowie einige Reptilien, Amphibien und Insekten.
Nach europäischem Recht sind Schutzgebiete erforderlich für  fünf Tier- und drei Pflanzenarten (Anhang II der FFH-Richtlinie), sowie für 16 Vogelarten (Anhang I der Vogelschutzrichtlinie), darunter auch die drei oben genannten. Der Steinadler ist extrem selten, Auerhuhn und Birkhuhn sind vom Aussterben bedroht (Rote Liste Deutschland). Die Anforderungen für diese drei Arten soll exemplarisch dargestellt werden.

Lebensräume
Der Steinadler jagt meist oberhalb der Waldgrenze, er brütet in Felswänden oder auch Baumhorsten. Das Hauptbeutetier ist die Gams (Nahrungsanteil > 50 % für die Aufzucht), sodann Schneehase, Rotfuchs, Murmeltiere, aber auch kleine Tiere bis zu Eidechse und Schneemaus. Zumindest Jungtiere ernähren sich auch von Fallwild.
Er ist gefährdet durch Störungen im Horstbereich oder durch Überflug, sowie möglicherweise durch Nahrungsmangel im Winter / in der Aufzuchtzeit. Im Schutzgebiet liegen zwei Brutreviere, vier weitere haben ihre Schwerpunkte außerhalb. Die Reproduktionszahl ist für einen Populationserhalt nicht ausreichend.
Das Auerhuhn benötigt mehrere 100 ha große störungsarme Waldgebiete mit einem hohen Nadelbaumanteil und lichten Strukturen, sowie Beerensträucher als Sommernahrung.
Gefährdet ist es durch Fragmentierung seiner Lebensräume und durch den Verlust lichter Strukturen etwa durch dichte Aufforstung. Die Zunahme des Tourismus führt im Winter zu energiezehrenden Fluchtaktionen und im Frühsommer zur Nestaufgabe. 
Das Birkhuhn lebt an der oberen Waldgrenze, in den Randzonen lichter Baumbestände und im Latschengürtel; Almflächen  und schütter bestockte Hanglagen gehören dazu. Im Mangfallgebirge sind Höhenlagen oberhalb 1300 m typisch. Die Gesamtzahl wurde auf rund 200 Tiere geschätzt. Dies sind rund 10 % des bayerischen Bestandes; das Mangfallgebirge ist damit von herausragender Bedeutung für die Art in Bayern.
Wie beim Auerhuhn liegt die Hauptgefährdung in der Verschlechterung und Verkleinerung der Lebensräume, darunter Aufforstung, dauerhafte Aufgabe oder Intensivierung der Almbewirtschaftung. Der Bestand pro geeigneter Fläche ist niedrig und hat in den vergangenen Jahre abgenommen.

Gebietsbezogene Gefährdungen
Der Managementplan listet vorhandene Beeinträchtigungen auf (2):

  • Mangel an Alt- und Totholzbeständen. Dies ist der auf maximale Holzausbeute ausgerichteten Bewirtschaftung zu verdanken.
  • Defizit an Laubgehölzen, darunter Altbestände. Als Hauptursache wird die künstliche Einbringung der Fichte in der Vergangenheit genannt.
  • Rückgang lichter Waldbestände. Diese sind relevant für Birk- und Auerhuhn (s. o.) sowie Zitronenzeisig, einige Spechtarten und den Berglaubsänger. Als Grund wird - trivialerweise - die Aufforstung angegeben, auch die Naturverjüngung trage auf natürliche Weise zur Entwicklung eines (dichten) Jungwaldes bei.
  • Defizit an mehrschichtigen Beständen. Als Ursache werden geschlossene fichtendominierte Bestände sowie hoher Wildverbiss genannt.
  • Nutzungsaufgabe von Almen oder im Gegenteil deren zu intensive Nutzung
  • Störungen durch Tourismus


Es fällt auf, dass die ersten vier Faktoren mit der in den vergangenen vielen Jahrzehnten intensivierten Waldwirtschaft, konkret der Aufforstung reiner Fichtenwälder, zusammenhängt. Diese erzeugte häufig Kohorten gleichalter Bäume, die in höherem Alter durch dichte Beschattung die natürliche Sukzession behindert. Eine Gleichzeitigkeit von Jungaufwuchs, ausgewachsenen Bäumen und Verfall (Alt- und Totholz) wurde systematisch vermieden.

Man erkennt unschwer einen Konflikt zwischen kurzfristig gewinnmaximierter Waldwirtschaft und einer - im Sinn der Natura-2000-Gesetzgebung - nachhaltigen Wald- bzw. Landschaftsentwicklung. Der Wald unterliegt schon lange nicht mehr dem natürlichen mehrere hundert Jahre langen Zyklus von Keimwachstum auf der Lichtung - Jungholz - erwachsener schattiger Wald - absterbender Wald mit hohem Lichteintrag, bei einem der biologischen Verrottungsgeschwindigkeit entsprechenden Totholzanteil. 
Es gibt noch einen parallelen Konflikt, betreffend den "Schutzwald". Dies soll auf der folgenden Seite erläutert werden.



Quellenangaben und Anmerkungen
(1) FFH- und SPA-Gebiet haben geringfügig unterschiedliche Grenzen
(2)  Managementplan Teil II - Fachgrundlagen für das FFH-Gebiet "Mangfallgebirge", Entwurf, Bayerische Forstverwaltung, 2023