_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Basiszahlen der Treibhausgasentwicklung, externe Kosten, technologische Antworten

 

Energiewende: Technologie für ein globales Ziel


Dezember 2012


1. Zeitliche Entwicklung des Gehaltes der Atmosphäre an CO2, dem wichtigsten Treibhausgas

 
   Quelle: IPCC Third Assessment Report, Climate Change 2001; dort: Synthesis Report - Summary for
 Policymakers

Der CO2-Gehalt der Atmosphäre betrug in vorindustriellen Zeiten um 290 ppm und stieg seither in einer bisher exponentiellen Kurve auf 390 ppm an (Stand 2010). Die Projektionen, siehe Graphik rechts, führen auf bis zu 1000 ppm im Jahr 2100. Die unterschiedlichen Szenarien, die hier nicht im einzelnen betrachtet werden, stellen gegenüber der obersten (rot gepunkteten) Kurve (Standardszenario bezüglich Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum) unterschiedliche "Bremsmanöver" hinsichtlich des fossilen Energieverbrauches dar.
Das Szenario B1 (grün) erzeugt, siehe Graphiken unten, einen atmosphärischen CO2-Gehalt von etwa 550 ppm, einen Temperaturanstieg von knapp 3oC, und benötigte ein Emissionsmaximum um 2030 bei 11 Gt Kohlenstoff (40 Gt CO2) pro Jahr, mit folgender Halbierung innerhalb 50 Jahren.

Das 2oC-Szenario, oben nicht dargestellt, unten in gelb, führte zu 450 ppm CO2-Gehalt der Atmosphäre, und bedingte ein Emissionsmaximum um 2020 bei knapp 10 Gt Kohlenstoff (35 Gt CO2) pro Jahr, mit folgender Drittelung innerhalb 50 Jahren. 

 
  Quelle: IPCC Third Assessment Report, Climate Change 2001; dort: Synthesis Report - Summary for Policymakers



 
                                  Emissionen von Treibhausgasen 2004
                   links: Unterschiedliche Gase als CO2-Äquivalente dargestellt
                   rechts: Emissionen nach Sektoren
Waldwirtschaft (Forestry) inklusive Abholzung
Quelle: IPCC, "Fourth Assessment Report: Climate Change 2007"; AR4 Synthesis Report, Chapter 2.1 "Emissions of long-lived GHGs"


2. Globale Treibhausgasemissionen

Im Jahr 2004 wurden weltweit 49 Gt CO2-Äquivalente an Treibhausgasen emittiert. 78 % davon (38 Gt) waren CO2, davon 30 Gt aus fossilen Brennstoffen und 8 Gt aus Abholzung und Verbrennung von Wald und Torf.

Die Graphik rechts zeigt dies in Prozentzahlen (linkes Diagramm). Im rechten Diagramm kann man ablesen, dass Energieversorgung vor Industrie, Waldwirtschaft, Ackerbau und Transport, in dieser Reihenfolge, der größte Verursacher ist.
CO2 aus Waldwirtschaft und Ackerbau (17 % der Gesamtsumme, linkes Diagramm) ist als Bilanzdifferenz zwischen Verbrennen/Zersetzen und Nachwachsen von Biomasse zu verstehen.

3. Trend der CO2-Entwicklung nach
    Sektoren


Die Graphik rechts zeigt die globalen Kohlendioxid-Emissionen der letzten 35 Jahre.
Man erkennt, dass die Erzeugung von Elektrizität die höchsten Steigerungsraten hat und absolut das meiste CO2 erzeugt.
Unter den weiteren dargestellten Kategorien kann man
- Wärmebedarf
- Verkehr
- Abholzung
als die großen Verursacher identifizieren.

Energiewendestrategien fokussieren sich deshalb auf Strom, Wärme und Verkehr. In tropischen Ländern ist je nach wirtschaftlichem Entwicklungsstand die Verringerung der Abholzung das wichtigste Ziel.

 
                  Zunahme der globalen CO2-Emissionen nach Sektoren in Gt CO2 / Jahr
  (1) Entwaldung (Deforestation) inklusive Feuerholz, mit ca. 10 % Anteil
  (2) Sonstige (Other): Nichtenergetische Nutzung, Zementherstellung, Abfackeln von Öl und Gas
  (3) Internationaler Transport: Mit Flug- und Schiffsverkehr

   Quelle: M. Sterner, 2009 (1)




4. Externe Kosten der fossilen Verbrennung

 
   Quelle: Krewitt 2008,
  "Die heimlichen ('externen') Kosten der Stromerzeugung - Umweltschäden in Euro und Cent"

Die "heimlichen" Kosten von CO2- und Schadstoffausstoß sind nicht eindeutig zu ermitteln. Sie unterliegen der Unsicherheit der Datenlage (Prognoseproblem) sowie der Unsicherheit der monetären Bewertung (Maßstabsproblem).
Verschiedene, sich ergänzende Methoden werden angewendet.

Versicherungsmathematischer Ansatz: Risikohöhe x Risikowahrscheinlichkeit x Kosten pro Ereignis = Durchschnittskosten
(Beispiel aus der Kernenergie: Kernschmelze x soundsoviele Fälle pro Jahrzehnt x geschätzter Kosten = Versicherungsbeitrag für ein Kernkraftwerk). Im Klimabereich sind alle drei Faktoren mit großen Unsicherheiten behaftet.
Diskontierung: Finanzmathematisch bedeutet dies die Abzinsung zukünftiger Kosten auf heute
(Wegen des Vorhandenseins von Zinsen muss für einen aufgenommenen Kredit insgesamt und später mehr zurückgezahlt werden). Im Zusammenhang mit dem Klimawandel bedeutet dies, festzulegen, ob ein Problem durch "Liegenlassen" schlimmer wird (Beispiel: Ausgebrochenes Feuer in einem Haus) oder jederzeit zu unveränderten Kosten behoben werden kann (Beispiel: Reparatur einer Hausfassade).
Die Wahl einer hohen Diskontrate erzeugt Szenarien, die zeitnahe Aktion fördern, da die (Folge-)Kosten sonst jedes Jahr steigen.
Zeithorizont: Werden Effekte berücksichtigt, die 2030, 2050, 2100, 2200 auftreten? Selbst der "Basiseffekt" Temperaturanstieg wird sich über Jahrzehnte verändern, ohne dass man bereits Großereignisse wie Abschmelzen des Grönlandeises, Kippen eines Monsuns oder des Golfstroms einbeziehen müsste.
Soziale Wichtung ("Equity Weighting"): Die sozialen Kosten eines Ereignisses, z. B. einer Dürre, sind in einem Entwicklungsland höher als in einem Industrieland. Hier verhungern Menschen, dort steigen die Lebensmittelpreise geringfügig. Monetär ausgedrückt: Ein zusätzlicher Euro zur Problemlösung bedeutet für eine arme Person mehr als für eine reiche Person. Die Einführung einer sozialen Wichtung, die die Problemwirkung auf (alle) Menschen berücksichtigt, erhöht die externen Kosten, teilweise erheblich.

Risiken

Die Risikomatrix rechts zeigt ein Beispiel des Vorgehens. Es wird unterschieden zwischen Bewertungsmethode (linke Spalte) und Marktnähe (oberste Zeile). (Die folgend genannten Beispiele entsprechen nicht immer dem englischen Text)

"Projection" (Projektion, d. h. lineares Hochrechnen von Kosten):
Marktbeispiele: Küstenschutz, Landverlust, Heiz-/Kühlenergie durch Temperaturerhöhung
Marktferne Beispiele: Hitzestress, Atemwegserkrankungen/Todesfälle durch Hitze/Smog/Feinstaub

"Bounded Risk" (begrenztes Risiko, inklusive abzählbarer Einzelfälle):
Marktbeispiele: Erntesteigerung oder Verlust, Wassermangel, Niederschlagszunahme, Häufung von Extremereignissen, wie Dürre, Überflutung, Stürme
Marktferne Beispiele: Änderung von Ökosystemen, Abnahme der Biodiversität, Ausbreitung von Schädlingen (z.B. Malaria), Hungersnot, Gesundheitsschäden, Verlust von Leben, soziale Veränderungen (z.B.Wanderungsbewegungen)

"System change and surprise" (Systemwandel und Überraschung): Marktbeispiele: signifikanter Landverlust (durch Eisschmelze)
Marktferne Beispiele: Hochgradige soziale Effekte, regionaler Zusammenbruch, irreversible klimatische Verluste (z.B. Ausbleiben von Monsunmechanismen oder Verlust des Golfstroms), großes Artensterben
 
   Quelle: Krewitt 2008, "Die heimlichen ('externen') Kosten der Stromerzeugung
             - Umweltschäden in Euro und Cent"

  dort: "Risikomatrix nach Downing und Watkiss (2003)"

 
Literatur zu externen Kosten:
2004 wurde im Auftrag der DEFRA (UK Department for Environment, Food and Rural Affairs,  britisches Umwelt- und Agrarministerium) eine Sammelstudie veröffentlicht "The marginal damage costs of carbon dioxide emissions: an assessment of the uncertaincies", R. Tol, 2004. die 103 Einzelschätzungen verglich. Die betrachteten Werte streuten weit zwischen etwa 6 und 1000 €/t CO2. Der Autor kam zu der Schlussfolgerung, dass die realen Kosten im Bereich von 150 €/t CO2 oder niedriger liegen sollten. 
2006 wurde im Auftrag der britischen Regierung von N. Stern (Wirtschaftsprofessor), die Studie "Stern Review on the Economics of Climate Change" (deutsche Zusammenfassung) veröffentlicht. Er schätzte die Folgekosten bei Nichthandeln auf 5 bis 20 % des globalen BSP (Bruttosozialprodukt) ein. Die Vermeidungskosten bei raschem Handeln innerhalb der nächsten 20 Jahre bezifferte er auf 1 % des BSP.
Der Vorlesungsvortrag von Krewitt, 2008, "Die heimlichen ('externen') Kosten der Stromerzeugung - Umweltschäden in Euro und Cent" bietet eine anschauliche Einführung.

Wie die Gesellschaften und ihre Mitglieder diese externen Kosten bewerten, ist, wie oben dargestellt, nicht nur eine Frage der angewandten Mathematik, sondern auch eine Frage der räumlichen, zeitlichen und vergleichenden Bewertung: Wieviel ist z. B. dem Deutschen ein Wirbelsturm mehr in Amerika heute, eine Hungersnot in Asien morgen, überschwemmte Küstenregionen in Indien übermorgen und ein kaum abschätzbarer Eingriff in die Biodiversität unseres Planeten wert im Vergleich zu seinem 15-l-Haus, 8-l-Auto, hohen Fleischkonsum und jährlichen Flug nach Mallorca?




Literatur
(1) M. Sterner, PhD-Thesis, "Bioenergie and renewable power methane in integrated 100 % renewable energy systems - limiting global warming by transforming energy systems" (Kassel, Kassel university press GmbH, 2009)
veröffentlicht in: J. Schmid (Hrsg.), "Erneuerbare Energien und Energieeffizienz", Institut für solare Energieversorgungstechnik (Kassel), Bd. 14, 2009