_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Korrektur eines Marktversagens: Paradigmenwechsel in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik

 

Wirtschaftliche Umsetzung veränderter Ökosystem-Bewertungen


Die Umsetzung dieses gesellschaftlichen Wertewandels vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen:

  • (Nichtmonetäre) Meinungsbilder in der Öffentlichkeit verändern sich.
    Beispiel: Umweltschutzorganisationen erhalten höhere Aufmerksamkeit in der Diskussion und in der Presse.
  • Das Marktverhalten der Konsumenten ändert sich.
    Beispiele: Die Branchen "Bio"-Nahrung und Ökotourismus wachsen.
  • Die entsprechende Datenerfassung wird erweitert und findet Eingang in die politische und wirtschaftliche Bewertung.
    Beispiele: Zählen von Populationen, z. B. in Fischfanggebieten oder von gefährdeten Arten; Satellitenbasierte globale Erfassung der Flächenänderung von Urwäldern oder Feuchtgebieten in regionaler Auflösung.
  • Die Gesetzgebung berücksichtigt den Wertewandel.
    Beispiele: Regeln für Wasser- und Luftverschmutzung werden festgelegt bzw. verschärft; Naturschutzgebiete werden eingerichtet bzw. systematischer erhalten.
  • Pflege / Erhalt von Ökosystemen wird auf freiwilliger oder verpflichtender Basis entlohnt, z. B. durch Subventionierung bisher kostenfreier Dienstleistungen für Natur und Gesellschaft. Bestehende Subventionen, die dem widersprechen, werden aufgehoben.
    Beispiel: Teile des EU-Agrarbudgets.
  • Marktmechanismen werden geschaffen zur Internalisierung von Kosten.
    Beispiel: Emissionshandel in der EU.

Zitat: "Climate change presents a unique challenge for economics: it is the greatest and
widest-ranging market failure ever seen." (Stern 2006, (1))
"Klimawandel ist eine einzigartige Herausforderung für Ökonomen: Er ist das größte und weitreichendste Marktversagen aller Zeiten."
Diese Aussage des ehemaligen Weltbankökonomen und Wirtschaftsberaters der britischen Regierung Nickolas Stern kann sicherlich neben der Klimaregulierung auf viele weitere Ökosystemdienstleistungen verallgemeinert werden.

Eine Politik, die dieses Marktversagen korrigieren will, hat typische Widerstände zu überwinden:
1. Profiteure des Status Quo sind gegen den Wandel.
2. Der Nutzen einer Regeländerung mag erst mit erheblicher Verzögerung eintreten.
3. Positive Beispiele sind hilfreich, um (Konsum-)Gewohnheiten und Lebensstil zu ändern (2).

Zitat: "Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun." (Goethe, (3))


Es folgen Beispiele aus der praktischen Umsetzung.

1. Globale Konventionen und Projekte

  • Konventionen: Beispielhaft seien genannt das Washingtoner Artenschutzabkommen 1973 (CITES), das den internationalen Handel mit bedrohten Arten von Flora und Fauna einschränkt, mit 175 Vertragsstaaten, sowie die Biodiversitätskonvention ("Erdgipfel" der UN in Rio de Janeiro) 1993 mit 193 Vertragsstaaten.
  • Schaffung von (teilweise subventionierten) Märkten: Waldschutz: Die UN installierte 2008 das bis 2015 laufende Programm "REDD" ("Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradations", "Reduzierung von Emissionen aus Entwaldung und Waldverfall") dem 49 Partnerländer angehören. Das kumulierte Gesamtbudget betrug 170 Mio. US-Dollar, im wesentlichen von europäischen Ländern aufgebracht, mit einem Löwenanteil von Norwegen (Stand 2013) (4).
    Auf der UN-Klimakonferenz in Cancun (Mexiko) 2010 begannen die Verhandlungen über das Nachfolgeprogramm "REDD+". Als Ziele wurden festgelegt, den menschlichen Druck auf die Wälder zu verringern und "Treiber der Entwaldung" zu bekämpfen. Dies beträfe insbesondere auch die Konsummuster der Industrieländer. Der Schutz der lokalen Bevölkerung müsse Hand in Hand gehen mit dem Erhalt der Biodiversität und der Naturwälder.
    Die politische Weiterentwicklung im Rahmen der UN gestaltete sich als schwierig. Einer zwischenzeitlichen "REDD+-Partnerschaft" gehören inzwischen 75 Länder an (Stand 2012) (5).
    Der finanzielle Aufwand für eine Halbierung der Waldverlustrate bis 2030  wird mit 40 Mrd. US-Dollar jährlich abgeschätzt (6).

2. Anpassung vorhandener Subventionen

  • Weltweit werden jährlich für die Subventionierung von Energie rund 500 Mrd. US-Dollar ausgegeben (Stand 2009), für Transport 238-306 Mrd. (2005), für Landwirtschaft 261 Mrd. (nur OECD, 2007), für Fischerei 15-35 Mrd. US-Dollar (2009). Viele Subventionen unterstützen direkt den Verkaufspreis der angebotenen Ware oder Dienstleistung, fördern damit das Wachstum und damit häufig den Verbrauch nicht oder unter Wert verpreister ökologischer Ressourcen. Ein Umsteuern auf die Vergütung von erbrachten Leistungen für den Erhalt der Ökosysteme ist erforderlich (14).
    Beispielsweise dienen vom Agrarbudget der EU (ca. 55 Mrd. Euro, Planstand 2015) grob zwei Mrd. Euro (10) für den Erhalt der Habitate und der Biodiversität im ländlichen Raum (s. auch Landwirtschaft mit hohem Naturwert). Das Zahlenverhältnis - 53 zu 2 - spiegelt die Geschichte der GAP (gemeinsame Agrarpolitik) wieder (anfangs diente sie dem Arbeitsplatzschutz der europäischen Landwirte gegen billige Importe) sowie das Machtverhältnis der Lobbygruppen: Die Agrarlobby wünscht die direkte Mengenförderung, die Umweltlobby eine Förderung nachhaltiger Maßnahmen zugunsten von Gesellschaft und Umwelt. In der Agrarreform für den Zeitraum 2014-2020 wurde um diese Positionen heftig gerungen. Formal wurde ein "greening" von 30 % der Direktzahlungen beschlossen. Details finden Sie in der Zusammenfassung der Europäischen Kommission. 
    Von den globalen Fischerei-Subventionen sind über 70 % direkt und fördern damit die Überkapazität und die Überfischung, und gut 20 % dienen dem Erhalt und Nachwachsen der Fischbestände.

3. Einführung der Bezahlung von Dienstleistungen zum Erhalt von Ökosystemen

  • Costa Rica führte 1997 ein freiwilliges Waldschutzprogramm ein. Für den Erhalt von Wald werden dem Eigentümer 64 US-Dollar / Hektar*Jahr gezahlt, für die Wiederaufforstung über 10 Jahre 816 US-Dollar / Hektar. 2005 waren 4600 Quadratkilometer (10 % der Waldfläche) einbezogen, bei jährlichen Kosten von etwa 28 Mio. US-Dollar / Jahr. Finanziert wurde das Programm u. a. durch die Benzinsteuer und internationale Fonds (z. B. durch die Weltbank und die größte deutsche Förderbank KfW) (10).
  • Im Wolong-Naturschutzgebiet in China, einem der größten Rückzugsregionen für den gefährdeten Riesenpanda, zahlt die Verwaltung 450 US-Dollar / Hektar an Haushalte, die Ackerland aufforsten und den Wald acht Jahre lang erhalten (2).

4. Einführung von verpflichtenden oder freiwilligen Märkten  

  • 2005 wurde in der EU der verpflichtende Emissionshandel eingeführt, der mit über 10 000 Stromerzeugern und energieintensiven Anlagen etwa die Hälfte der CO2-Emissionen erfasst. In mehrjährigen Spannen wird das Volumen festgelegt, 2013 betrug es 2,0 Mrd. Tonnen CO2, mit einer jährlich geplanten Verminderung um 1,74 %. Wegen des Preisverfalls auf bis zu unter fünf Euro / Tonne wurde in Erwägung gezogen, die Anzahl stärker zu reduzieren (Stand 2013, (9)). Eine Wirksamkeit bezüglich der wirtschaftlich motivierten Emissionsminderung wird bei deutlich über 10 Euro / Tonne angenommen.
  • Für Konsumenten, die nachhaltig bewirtschaftetes Holz kaufen wollen, wurden entsprechende Zertifizierungen geschaffen. Die größten sind PEFC (Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes, ein Dachverband) sowie FSC (Forest Stewardship Council (11)), deren zertifizierte Flächen von 0,5 Mio. Quadratkilometer im Jahr 2000 auf 3,2 Mio. Quadratkilometer im Jahr 2009 stiegen (8 % der globalen Waldfläche, s. Wald als Kohlenstoffspeicher). Der Umsatz von FSC allein mit etwa einem Drittel der zertifizierten Fläche wird auf 20 Mrd. US-Dollar jährlich angegeben (10); dies sind knapp 10 % des Weltexportumsatzes mit Holzprodukten von 249 Mrd. US-Dollar / Jahr (15). Die Qualifizierung für FSC basiert auf "Zehn Regeln für verantwortliches Waldmanagement".  Dieser Markt lebt von der Akzeptanz der Konsumenten.
  •  
                                                 FSC-zertifizierte Waldfläche, nach Regionen
      Farben: Prozentsatz der zertifizierten Fläche pro bewirtschafteter Waldfläche in dieser Region
      dunkelgrün: > 75% bis blassgrün < 1 %
      Quelle: FSC 2013 (11)

5. Vorreiterfunktion öffentlicher Verbraucher

  • Die "food for life"-Partnerschaft in Großbritannien, ein Netzwerk von Schulen und Gemeinden, fördert die nachhaltige und gesunde Bereitstellung von Schüleressen. 2014 waren 4500 Schulen beteiligt. Kriterien sind u. a. die frische Herstellung aus unverarbeiteten Nahrungsmitteln, Saisonalität der Komponenten und ihr Ursprung aus ökologischem Landbau (12). Interessierte Schulen beteiligen sich in einem Zertifizierungsverfahren (13).

6. Wirtschaftliche Entscheidungen unter Berücksichtigung des monetären Wertes von Ökosystemdienstleistungen

  • In den Catskill-Mountains, Staat New York, USA, ersparte die Restauration und der dauerhafte Erhalt eines Wassereinzugsgebiet den Bau einer zusätzlichen Wasseraufbereitungsanlage, mit einem Drittel der Kosten (7).
  • Nach der Flut am Yangtse 1998 investierte China bisher 40 Mrd. US-Dollar in ein "Hanglagenkonversionsprogramm", durch Kauf und Aufforstung landwirtschaftlich genutzer Flächen im Wassereinzugsgebiet des Yangtse (7). 2006 waren 90 000 Quadratkilometer konvertiert, 2010 146 000 Quadratkilometer (2).
  • Ein Überflutungsgebiet des Yamuna-Flusses von 3250 Hektar, oberhalb Delhi, Indien, stand zur Bebauung an. Eine Abschätzung der Ökosystemdienstleistungen Wasserversorgung, Futter, Fischfang und Erholung ergab 840 US-Dollar / Hektar*Jahr, höher als der geschätzte Erlös aus der Erschließung. Sie wurde gestoppt (2).
  • In Vietnam wurden 12 000 Hektar Mangroven gepflanzt und erhalten, für Kosten von 1,1 Mio. US-Dollar / Jahr. Die Ersparnis für nicht notwendigen Deichbau und -Unterhalt wurde mit 7,3 Mio. US-Dollar / Jahr angegeben (2).
  • Japan ist zu zwei Dritteln von Wald bedeckt. Dessen Ökosystemdienstleistungen werden auf 620 Mrd. US-Dollar / Jahr geschätzt, davon 40 % Erosionsverhinderung und 20 % Wasserreinigung. Wegen jahrzehntelanger Konkurrenz gegen billigere Importe verfiel die lokale Holzindustrie und mit ihr nicht mehr gepflegte Waldgebiete. Um einen aktiven Waldschutz zu finanzieren, wurde eine jährliche "Waldsteuer" von 5-10 US-Dollar / Person und 100-800 US-Dollar / Unternehmen eingezogen. Nach einer mehrjährigen Einführungsphase nahmen 2009 30 von 47 Präfekturen teil (10).
  • Die Wasserreinigungsleistung des 40 Quadratkilometer großen Nakivubo-Sumpfes oberhalb Kampala, Uganda, wurde per Alternativkostenrechnung auf zwei Mio. US-Dollar / Jahr geschätzt. Der Erhalt kostete 0,24 Mio. US-Dollar / Jahr. Diese Daten führten zu der Entscheidung, das Land nicht zu bebauen (8).

7. Stärkung des Verursacher- bzw. Nutzerprinzipes für bisher kostenfreie Ökosystemdienstleistungen

  • In einigen Bundesländern Deutschlands muss bei Grundwasserverbrauch ein Wasserentnahmeentgelt ("Wasserpfennig") bezahlt werden, in der Höhe von 0,5 bis 5 Eurocent / Kubikmeter. Die Einnahmen werden teilweise zur Reduzierung des Nitrateintrags durch die Landwirtschaft verwendet. 2002 liefen 435 Projekte mit 33 000 Landwirten auf 8500 Quadratkilometern (fünf Prozent der Landesfläche). Die Vermeidung des Stickstoffeintrags sei kostengünstiger als die nachträgliche Wasseraufbereitung (10).

8. Rechtsprechung unter finanzieller Berücksichtigung ökologischer Werte

  • Ein Jäger in South Dakota, USA, der einen streng geschützten Schreikranich (Grus americana) erschossen hatte, wurde neben dem Jagdscheinentzug zu einer Strafe von 85 000 US-Dollar verurteilt. Von der weltweit seltensten der 15 Kranicharten gab es in den vierziger Jahren weniger als 20 Vögel in freier Wildbahn, und sie wurde mit einem "millionenschweren Rettungsprogramm" der USA mit Kanada (wo seine Brutgebiete liegen, während er in Texas überwintert) vor dem Aussterben bewahrt. Heute gibt es dank Aufzuchtprogrammen wieder über 400 freilebende Tiere. Der Betrag der Strafe entspricht etwa den Aufzuchtkosten für einen Vogel (16).


Zitat: "The welfare of a nation can scarcely be inferred from a measurement of national income."
"Der Wohlstand eines Landes kann kaum aus einer Messung des Nationaleinkommens abgeleitet werden."

Zitat: "Distinctions must be kept in mind between quantity and quality of growth, between its costs and return, and between the short and the long term. Goals for more growth should specify more growth of what and for what."
"Beim Wachstum muss man unterscheiden zwischen Quantität und Qualität, zwischen seinen Kosten und Nutzen, und zwischen kurz- und langfristigen Effekten. Ziele für mehr Wachstum sollten spezifizieren: Mehr Wachstum wovon und für wen."

Diese Worte aus den Jahren 1934 und 1962 stammen von Simon Kuznets, dem Hauptbegründer des Begriffs "Bruttosozialprodukt" und Träger des Wirtschaftsnobelpreises 1971 (17).

 
x Nepal 1993





Quellenangaben und Anmerkungen

(1) N. Stern, "Stern Review on the Economics of Climate Change", HM Treasury, 2006
(2) TEEB, "The Economics of Ecosystems and Biodiversity; National and International Policy-Making", 2010, Kap. 10
(3) J. W. v. Goethe, "Wilhelm Meisters Wanderjahre", 1821
(4) UN-Development Group, abgerufen 1.2.14
(5) WWF, abgerufen 1.2.14
(6) UN-REDD Programme, dort: "UN-REDD Policy Brief", abgerufen 6.2.14
(7) TEEB wie (2), Kap. 1
(8) TEEB, "The Economics of Ecosystems and Biodiversity for Water and Wetlands", 2013
(9) Wikipedia
(10) TEEB wie (2), Kap. 5
(11) FSC (Forest Stewardship Council, Rat für verantwortliche Waldverwaltung)
(12) "food for life"
(13) "food for live" Cateringstandards der britischen "Soil Association", einem "Bio-"Landwirtschaftsverband (organic farming)
(14) TEEB wie (2), Kap. 6
(15) faostat, Stand 2011, abgerufen 7.2.14
(16) FAZ, "85 000 Dollar für den Tod eines seltenen Vogels", 15.3.13
(17) TEEB wie (2), Kap. 3