_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Klimaschutzgesetz 2019

 

Sternstunde der Gewaltenteilung

Mai 2021

Das Bundes-Klimaschutzgesetz von 2019 hatte die Reduktion der Treibhausgasemissionen für die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Sonstiges bis 2030 festgelegt. Die Minderung sollte 2030 55 % bezogen auf 1990 betragen, gesamt von 813 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten im Jahr 2020 auf 543 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2030.

Im April 2021 kippte das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 2656/18) diese Zielgrößen mit der Entscheidung:

"§ 3 Absatz 1 Satz 2 und § 4 Absatz 1 Satz 3 Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 (Bundesgesetzblatt I Seite 2513) in Verbindung mit Anlage 2 sind mit den Grundrechten unvereinbar, soweit eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Maßgabe der Gründe genügende Regelung über die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 fehlt."

Die einstimmig gefasste Entscheidung der Richter wird wie folgt begründet:

  • Art. 20a des Grundgesetzes (GG) "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere…" schließt den Klimaschutz mit ein.

  • Der Weltklimarat IPCC hat ein Treibhausgasbudget berechnet, das noch ausgestoßen werden darf, bevor die 1,5-Grad-Marke überschritten wird, die allgemein als globales Ziel gilt, um größere Schäden und Kippeffekte zu vermeiden. Der (deutsche) Sachverständigenrat für Umweltfragen hat daraus ein Restbudget für Deutschland von etwa 6,7 Mrd. Tonnen abgeleitet.

  • Dieses Restbudget wäre mit den Zahlen des Klimaschutzgesetzes im Jahr 2030 ungefähr verbraucht, und um die globalen Ziele zu erreichen, müsste im Jahr 2031 quasi übergangslos Klimaneutralität erreicht werden – ein Ding der Unmöglichkeit.

  • Dadurch werden nach Art 20a GG unzulässigerweise nachfolgende Generationen (ab 2031) benachteiligt gegenüber den heute (vor 2030) Lebenden.

Auf juristendeutsch heißt das so:
 
"Die Entscheidung des Gesetzgebers [die oben genannten Emissionen bis 2030] zuzulassen, entfaltet eingriffsähnliche Vorwirkung auf die durch das Grundgesetz umfassend geschützte Freiheit der Beschwerdeführenden [… und] sind jedoch insoweit verfassungswidrig, als sie unverhältnismäßige Gefahren der Beeinträchtigung künftiger grundrechtlicher Freiheit begründen."

  • Der Gesetzgeber wird daher aufgefordert, bis Ende 2022 die Minderungsziele unter Berücksichtigung des oben Gesagten zu aktualisieren und über das Jahr 2031 hinaus zu regeln (bis zur Klimaneutralität).

Dazu noch ein Zitat:

"Nur so kann ein Planungshorizont entstehen, vor dem Anreiz und Druck erwachsen, die erforderlichen, teils langwierigen Entwicklungen in großer Breite in Gang zu setzen."

Auf die vorweggenommene mögliche Kritik, dass Deutschland mit rund 2 % des globalen Treibhausgasausstoßes den Klimawandel allein nicht stoppen könne, lautet die Antwort:

"Gerade weil der Staat das ihm in Art. 20a GG auferlegte Klimaschutzgebot nur in internationalem Zusammenwirken erfolgreich umsetzen kann, darf er für andere Staaten keine Anreize setzen, dieses Zusammenwirken zu unterlaufen. Er soll durch sein eigenes Handeln auch internationales Vertrauen stärken, dass Klimaschutz, insbesondere eine Umsetzung vertraglich vereinbarter Klimaschutzziele, auch mit Blick auf grundrechtliche Freiheiten zu lebenswerten Bedingungen gelingen kann."

 

Das Bundesverfassungsgericht hat naturwissenschaftlich einfache Zusammenhänge auf das im nationalen Rahmen maximale Niveau juristischer und politischer Bedeutung gehoben, eine herausragende Entscheidung.
Zudem ist festzustellen, dass dies nur möglich war, da Deutschland eine funktionierende Gewaltenteilung hat – ein Zustand, der keine Selbstverständlichkeit ist.

Natürlich kann man sich die Frage stellen, warum die Bundesregierung mit der Legislative nicht selbst auf diese naturwissenschaftlich triviale Entscheidung gekommen ist. Dafür kann man sicherlich einige Gründe finden – es gibt kein Land und keine internationale Organisation, in denen der Klimaschutz vollumfänglich gut funktioniert –, deshalb ist es umso erfreulicher, dass die Jurisdiktion hier einen wichtigen Baustein geliefert hat.