_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Empire - Ressourcen der Macht: Werden und Vergehen der mächtigsten Staatsgebilde im historischen Zusammenhang
Teil 2

 

Die mächtigen Reiche dieser Erde - Schlüssel zur Macht (2)

 

(7) Portugal und Spanien stehen für das Zeitalter der Entdeckungen. Aus zentralistisch verwalteten katholischen Monarchien heraus wurde, begünstigt durch die Schlüssellage zwischen Atlantik und Mittelmeer, die Technologie der Seefahrt vorangetrieben, um "auf Umwegen" (Die Kugelgestalt der Erde war inzwischen reetabliert) am Fernosthandel zu partizipieren. Afrika wurde umsegelt, Indien und Südostasien erreicht, ebenso Mittel- und Südamerika mit Azteken- und Inkareich. Der europäische Kolonialismus beruhte auf Enteignung. 80% des geschürften Silbers kam aus den Amerikas und finanzierte wesentlich die beiden Reiche.

 

Die Entdeckung Amerikas
Quelle: DTV-Atlas zur Weltgeschichte, 1970

Quelle: J. Darwin, "After Tamerlane", 2008

Die Karte oben zeigt die wichtigsten portugiesischen Handelsstützpunkte im 16. Jht.

 
Die blitzartige Unterwerfung der mittelamerikanischen Hochkulturen war auf eine Verkettung mehrerer Umstände zurückzuführen: Militärische Überlegenheit, Überraschungseffekt in Bezug auf die Aggressionsziele, strikt zentralistische Gegnerstruktur (die durch "Enthauptung" gelähmt werden konnte), Einschleppen von für die Einheimischen tödlichen Krankheiten (die Bevölkerung Mexikos fiel innerhalb von 100 Jahren von zwölf auf eine Million).

Die eigentliche Frage, die sich stellt, warum fuhren keine arabischen oder chinesischen Schiffe nach Amerika? 

Wie weiter oben beschrieben, war die Küsten- und küstennahe Schiffahrt im arabischen (Indisches Meer) und im chinesischen Bereich entwickelt. Es mag unterstellt werden, dass die Kenntnis über die Handelsströme (und deren Profitchancen) ebenfalls allen verfügbar gewesen war. Die herausragende Eigenschaft war ein mit Aggressivität und Wagemut gepaartes Unternehmertum, auch Forscher- und Entdeckerfreude. Als Unterscheidungskriterien für deren Auslösung bleiben nur soziokulturelle Unterschiede (Glaube, Gesellschaftsformen, gesellschaftliche Werte, Staatsorganisation).
 

(8) Von europäischen Ländern, zu Beginn von Großbritannien, später Frankreich und Deutschem Reich, ging die sogenannte Industrielle Revolution aus. Basierend auf zunehmenden Kenntnissen der Naturwissenschaft und Technik wurde mit Hilfe der Dampfmaschine die Energieversorgung vom knappen Holz auf die reichlich vorhandene Kohle umgestellt, welche über den neuen Kokshochofen auch Eisenherstellung in großem Rahmen ermöglichte. Die mechanische Spinnmaschine und der mechanische Webstuhl verbilligten die Baumwollverarbeitung soweit, dass Indien für Kleidung vom Export- zum Importland wurde, England erreichte diesbezüglich Anfang des 19. Jhts. einen Exportüberschuss von über 100%. Aus der Dampfmaschine wurden Eisenbahn und Dampfschiff, welche es erstmals erlaubten, große Warenmengen zu bewegen. Auf die Einführung des elektrischen Stroms folgte der Telegraf, der die Datenübermittlung revolutionierte.
Ein Industrieproletariat entstand, wodurch die sozialen Ungleichheiten verstärkt wurden.

Warum war Großbritannien der Startpunkt der technologischen Umwälzungen?

Großbritannien war bereits eines der mächtigsten und reichsten Länder des damaligen Europas (s. auch (9)). Die Verwaltung war relativ demokratisch und stabil. Die reformierte Glaubensform förderte den wirtschaftlichen Einsatz zum Eigennutzen, kapitalistisches Denken war ausgeprägt (1776 erschien Adam Smiths "Wealth of Nations", ein Fachwerk zur Volkswirtschaftslehre, in dem der Wert der Arbeitsteilung, des freien Marktes, von Zinsen u.ä. erörtert werden). Die nötigen Rohstoffe Eisenerz und Kohle waren vorhanden.

Als unterscheidenden Parametersatz im Vergleich mit Nachbarländern (Frankreich, Spanien, Niederlande, Deutsches Reich, Russland) lassen sich fassen: Wirtschaftliche Führerschaft, demokratische Strukturen, Protestantische Arbeitsethik, Rohstoffe.
Als weitere notwendige und evtl. gegenüber den übrigen Machtzentren (Osmanisches Reich, Indien, China) verstärkt ausgeprägte Voraussetzungen lassen sich nennen: Individualismus, Privateigentum, Rechtssicherheit.

 

(9) Das Britische Empire vergrößerte selbstverstärkend den durch die industrielle Revolution erreichten wirtschaftlichen Vorsprung Großbritanniens und führte innerhalb von 100 Jahren zum größten Reich der Geschichte.  

Das britische Empire bis 1914; Quelle: DTV-Atlas zur Weltgeschichte, 1969

 

Das Britische Empire, das stellvertretend für die historische Phase der (ersten) globalen Kolonialisierung stehen kann (weitere Teilnehmer waren Frankreich, Russland, Spanien, Protugal, Niederlande, Deutschland, USA, Japan) umfasste, siehe Karte oben, knapp ein Viertel der Weltbevölkerung.

Es basierte auf

-der maritimen Überlegenheit (Stahlschlachtschiffe, Artillerie, Positionsbestimmung [die Schiffsuhr, erforderlich zur Bestimmung des Längengrades, wurde vom schottischen Uhrenbauer Harrison 1761 auf eine Ungenauigkeit von weniger als eine Sekunde pro Tag verbessert]),

- der wirtschaftlichen Überlegenheit bei der Herstellung der wichtigsten Konsumgüter wie Textilien (mechanische Spinnmaschine, mechanischer Webstuhl), wodurch sich der Gewinn vom Baumwoll-Rohstofferzeuger Indien auf den Weiterverarbeiter England verlagerte (1830 waren 50% des britischen Exports Baumwollwaren),

- der enteignenden Kolonisierung (Sklavenhandel [Höhepunkt ca. 1780, Verbot in Großbritannien 1807; Schätzungen nennen 11 Millionen afrikanische Sklaven innerhalb der europäischen Kolonialzeit], Sklavenarbeit [Zuckerrohrplantagen in der Karibik]),

- den Quasi-Handelsmonopolen (Beherrschung wichtiger Seerouten, Suezkanal [1869 eröffnet, 1888 unter britischer Kontrolle], Eisenbahnlinien zur Marktöffnung [Indien, Afrika], Zollmonopole in Hafenstädten [Beispiel Opiumkriege gegen China: 1842 wurde die Öffnung fünf chinesicher Häfen für den profitablen Export britischen Opiums aus Indien diktiert]

- und dem Kapitalexport (der Einnahmenüberschuss wurde gewinnbringend global reinvestiert [bis 1914 kam mehr als 50% des europäischen Kapitalexportes aus Großbritannien]).

Die Frage, warum gerade Großbritannien die Rolle zufiel, als erstes einem globalen Empire nahe zu kommen, erscheint einfach zu beantworten.

Diese Nation besaß Ende des 18. Jhts. mit den Werkzeugen der Industriellen Revolution den Schlüssel zur Macht.
Die Realisierung dieser Macht führte zu mehreren Umwälzungen im 19. Jht.: Die Ungleichverteilung der Einkommen nahm global zu, der technologische und wirtschaftliche Abstand zu den anderen Machtzentren vergrößerte sich (mit der Ausnahme USA, siehe (10)), der Handel von Massengütern und von Finanzdienstleistungen wurde globalisiert, "Herrschaftswissen" (militärische und wirtschaftliche Informationen) gelangte per Telegraph in Sekundenschnelle um die Erde.
Der "Schlüssel zur Macht" verlor seine Wirkung durch selbstzerstörerischen Mißbrauch (die oben genannten Ressourcen Globalisierung und (Waffen-)technologie führten zu Kriegen zunehmender Zerstörungskraft, die im 1. Weltkrieg gipfelten), durch kulturelle oder nationale Widerstandsbewegungen (Indien, Kanada, afrikanische Staaten, Irland) und durch wirtschaftliche Aufholprozesse (Deutschland, Frankreich, Japan).
1931 löste sich der Machtverbund des Britischen Empires auf zum losen Staatenverbund "Commonwealth of Nations".

 

(10) USA: Die ehemals britische Kolonie eroberte, teilweise im Windschatten der europäischen Machtverhältnisse, im 18. und 19. Jht. mit der südlichen Hälfte des nordamerikanischen Kontinents ein eigenes Kolonialreich, dessen unterlegene Ureinwohner durch Waffengewalt und Einwanderungsdruck reduziert und zurückgedrängt wurden. Die riesigen fruchtbaren Landressourcen (Baumwolle, Weizen), Bodenschätze (Kohle, Öl), die geopolitisch abgelegene Lage, die im 20. Jht. eine Kriegführung im eigenen Land vermeiden half, und das soziokulturelle Erbe der britischen Mutternation ermöglichten die Übernahme des "Schlüssels zur Macht" - die Weiterentwicklung der Industrialisierung und des Welthandels in Waren und Kapital.
Die USA wurden führend in der Mechanisierung der Landwirtschaft, der Arbeitsteilung und Fließbandfertigung (Kraftfahrzeugherstellung, Schlachthöfe), der Waffentechnik (Nuklearwaffen), der Informationstechnologie.

 

Nach Ende des 1. Weltkrieges, 1918, kamen 40% der globalen Industrieproduktion aus den USA, sie waren die reichste Nation und Hauptgläubiger der Welt.

Ihr Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg von 91 Mrd. US-Dollar im Jahr 1930 auf 14 000 Mrd. US-Dollar im Jahr 2009 (Graphik rechts), ein Anteil von 24 % des Welt-BIP. Der Bruchteil der Finanzdienstleistungen am BIP stieg auf ca. 20 %.

Die USA im 20. Jht. können stellvertretend für den Begriff des Wirtschaftsimperialismus stehen -
das erste Empire ohne geographische Eroberungen.

 

Quelle: "Proportionen der Weltbevölkerung", Nach
Angaben des US - Bureau of Economic Analysis


(11) Nach den eher bürgerlichen Revolutionen Europas im 18. und 19. Jht. führte die zunehmende Ungleichverteilung der Einkommen, sei es durch fehlende Landreformen oder durch die Proletarisierung der Industriearbeiter, in mehreren Regionen der Erde fast gleichzeitig zu gesellschaftlichen Umwälzungen: In Indien (gewaltlose Unabhängigkeitsbewegung Ghandis), Russland und China (kommunistische Revolutionen).
Das russische Reich, das im 18. und 19. Jht., ähnlich wie die USA, ihr kontinentales Hinterland erobert, und einigermaßen im Industrialisierungswettlauf mitgehalten hatte, wandelte sich zur Sowjetunion, die mit dem Ausbau der Schwerindustrie, der Technologie von Langstreckenraketen und Nuklearwaffen, und vor allem auch mit der gegen den als amoralisch empfundenen Kapitalismus gerichteten kommunistischen Idee ihre Position als neue Macht errang.

 

Quelle: "Bündnisssysteme 1965", DTV-Atlas zur Weltgeschichte, 1969
Die Karte zeigt rot/orange die "kommunistischen Staaten", hell-/dunkelblau die "westlichen Staaten", jeweils ca. 1/4 der Weltbevölkerung

 

Der Wettstreit der Bewaffnung, der Rüstungswettlauf, der ein bisher unvorstellbares Vernichtungspotenzial aufhäufte (nach bereits begonnener Abrüstung existieren heute noch ca. 25 000 Atomsprengköpfe) und nur knapp am Dritten Weltkrieg vorbeiführte (Kubakrise 1962), endete 1991 mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Sowietunion, deren Verwaltungssystem (zentral gesteuerte Wirtschaftspläne, kein Privateigentum, geringe Rechtssicherheit) sich als deutlich unterlegen herausgestellt hatte.

Die Existenz der zwei Supermächte hatte auf einem militärischen Patt und einem Wettstreit von Ideologien beruht, welche 40 Jahre lang den "Schlüssel zur Macht" darstellten.

Dieser Wettstreit der Ideologien sollte bald in seine nächste Phase treten (Siehe auch (12)).

Weiter





nächste Seite : Empire 3
vorherige Seite: Empire