_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Empire - Ressourcen der Macht: Werden und Vergehen der mächtigsten Staatsgebilde im historischen Zusammenhang
Teil 1

 

Die mächtigen Reiche dieser Erde - Schlüssel zur Macht (1)

 

Man kann sich die Frage stellen, warum China in den letzten Jahren so mächtig geworden ist (Nation mit den höchsten Währungsreserven, Exportweltmeister).
In der Geschichte rückwärts gehend, kann man auch fragen, warum am Ende des Kalten Krieges (1989) die Sowietunion und nicht die USA zerfallen sind, warum die USA nach dem 1. Weltkrieg das Britische Empire als mächtigstes Reich der Erde ablösten, warum die Indstrielle Revolution in Europa und nicht in China begann, warum  im Zeitalter der Entdeckungen die Spanier die Inka- und Aztekenreiche zerstörten und nicht umgekehrt usw.

Dieser Artikel gibt darauf keine fundierten Antworten!

Er versucht jedoch, Randbedingungen allgemeiner Gültigkeit zu identifizieren und zu beschreiben.   

Quelle: DTV-Atlas zur Weltgeschichte, S.16, 1970

 

(1) Die Karte oben zeigt, wie alles begann. Ab der Neusteinzeit entstanden unabhängig voneinander die ersten Großreiche. Für die eurasischen Reiche (von l. n. r.) Ägypten, Zweistromland (heutiger Irak), am Indus (Pakistan) und am Hoangho (Gelber Fluss, China) gibt es ab etwa 6000 v.u.Z. archäologische Belege, für die mittelamerikanischen (Mexiko) und südamerikanischen Reiche (Peru) ab ca. 2000 bzw. 1000 Jahren v.u.Z. Die Karte zeigt in grünbrauner Farbe die für Ackerbau geeigneten Klimazonen, nach dem Rückgang der letzten Eiszeit ca. 10 000 Jahre v.u.Z.

Die vier mit Abstand frühesten Hochkulturen liegen alle in Eurasien, und alle in Flusslandschaften. Die "Erfindung" des Ackerbaus setzte Ressourcen frei, die für weitere Aktivitäten und Innovationen genutzt wurden: Töpferei, Metallbearbeitung, Ziegelherstellung, Haus- und Städtebau, Erfindung der Schrift, Großplastiken.

Warum entwickelten sich die beiden amerikanischen Hochkulturen später und langsamer (Es wurde - außer dem Lama/Alpaka in Peru - kein Schlacht- oder Reittier domestiziert, kein Reis oder Weizen angebaut, kein Rad / Transportwagen erfunden)?

Eine gängige Theorie dazu lautet, dass die botanische und zoologische Biodiversität, die sich in Eurasien in klimatisch weitgehend verbundenen Großräumen rascher evolutionär entwickelt hatte, durch Selektion und Zucht, mit demselben Großraum-Argument, schneller nutzbar war. So existierten die Vorläufer von Schaf, Ziege, Kuh, Schwein oder Pferd nicht auf dem amerikanischen Kontinent.
Diese Theorie wird z.B. von Jared Diamond vertreten ("Guns, Germs and Steel: The Fate of Human Societies ", 1997, deutsch "Arm und Reich"). 

Die folgende Tabelle zeigt eine Auswahl bedeutsamer Reiche der Weltgeschichte mit Faktoren ihrer Stärke. Die Tabelle ist grob vereinfachend und erhebt nicht den Anspruch wissenschaftlichen Niveaus. Sie möchte ausschließlich Denkanstöße liefern. 
Im weiteren Text werden alle in der Tabelle genannten Beispiele ab dem Römischen Reich kurz erläutert.

(2) Für das Römische Empire stellen sich zwei Fragen: Warum kam es zustande, und warum ging das (Weströmische) Reich zugrunde?

Rom hatte, wie die griechischen Stadtstaaten, sein politisches System früh  - im Verhältnis zu seinen Nachbarn - auf eine breite Basis gestellt (Wechsel von Königtum zur Republik ca. 500 v.u.Z.). Im weiteren Verlauf fallen das ausgeprägte Rechtswesen auf, eine durchorganisierte Bürokratie (Beamten) und logistische Fähigkeiten (Straßenbau, Einrichtung eines Reichspostwesens, Wasserversorgung über Aquädukte). Auf dem Höhepunkt der Expansion beruhte das Staatseinkommen vor allem auf der Latifundienwirtschaft (landwirschaftliche Großbetriebe mit Sklaveneinsatz) und der "kolonialen" Ausbeutung (Sizilien, Nordafrika mit Ägypten, Frankreich, Britannien für Weizen, Olivenöl (Beleuchtung), Schwein, Rind. Die Goldgewinnung war verstaatlicht.

Es fällt auf, dass im Mittelmeerraum der damaligen Zeit zwei Staatsgebilde - Griechenland und Rom - das Rennen machten, die beide republikanische (um den Begriff "demokratisch" nicht überzustrapazieren, denn Frauen, Arme, Sklaven, Fremde waren in unterschiedlichem Maß vom politischen Leben ausgeschlossen) Strukturen bildeten, mit einer damit verbundenen Rechtssicherheit. Es sei daher die Hypothese gewagt, dass dies zu einer im Verhälntis zu den Nachbarn höheren Motivation und Effizienz führte, kriegerische und außenpolitische Ziele zu erreichen. 

Warum gelang es knapp 1000 Jahre später nicht, das Erreichte gegen die Germanen zu verteidigen?
Die Germanen bildeten über Jahrhunderte den nördlichen Nachbarn, kulturell und wirtschaftlich stets unterlegen, in der Waffentechnologie maximal gleichrangig. Ihr kriegerisches Nach-Süden-Drängen wurde durch das Eindringen hunnischer Reitervölker aus Innerasien in der sogenannten Völkerwanderung verstärkt, der Druck auf die nördlichen Reichsgrenzen nahm zu.
Andererseits waren Germanen längst ins Römische Reich integriert, insbesondere als Soldaten und Heerführer. In Feldzügen gemachte Sklaven steckten die Römer ins Heer (damit sie nicht selbst kämpfen mussten), die Germanen jedoch in die Landwirtschaft (damit sie Zeit zum Kämpfen hatten).

Auf der römischen Seite bestand der Wunsch, zu behalten, was man hatte, auf der germanischen Seite der Wunsch, die eigene Lage zu verbessern.
Das Römische Empire scheiterte am Mangel kollektiver Motivation und Risikowahrnehmung.  

  

(3) Islamische Reiche: Der Beginn ist mit Mohammed zu setzen, der als Religionsgründer sowie politischer und militärischer Führer wirkte. Der Machtbereich wurde innerhalb weniger Jahrhunderte ständig ausgedehnt, um 1000 wurde Nordindien erobert. In jener Zeit beruhte die islamische Zivilisation auf dem (Fern-)Handel, war kosmopolitisch, gebildet und tolerant (im Gegensatz zum damaligen Christentum). Im Umfeld Europas lag die geistige und kulturelle Führerschaft (Medizin, Mathematik, Geographie, Geschichte, Bildung) in Arabien. Kairo war um 1400 mit 600 000 Einwohnern größer als jede Stadt in Europa.
Die Reiche zeichneten sich durch wechselnde und häufig regionale Herrschaft aus. Die jüngsten Ausprägungen waren das Osmanische Reich im östlichen Mittelmeerraum und das Mogulreich in Indien.  

Quelle: J. Darwin, "After Tamerlane", 2008

Wie ist der Blitzstart zu erklären, und wie das Ende?

Die erste Teilfrage sei offengelassen, mit dem trivialen Hinweis, dass der Beginn der Expansion mit der Religionsgründung zusammenfiel: Hier könnte eine detaillierte historische Analyse einsetzen (Andere Religionsgründungen hatten keinen staatsbildenden Effekt). 
Die zweite Teilfrage ist einfacher zu beantworten: Das Osmanische und das Mogul-Reich wurden in der Phase der europäischen Kolonisation durch technologischen und wirtschaftlichen Rückstand zurückgedrängt (s. auch (9)).

 

(4) Mongolenreiche: Zwischen 1200 und 1400 errichteten die Mongolen das flächenmäßig größte Empire der Geschichte. Sie umfassten nur etwa
200 000 Menschen und lebten, steppenklima-bedingt, als Nomaden von Viehzucht und Jagd. Ihre militärische Stärke lag in der diszipliniert eingesetzten bogenbewaffneten Reiterarmee.

Warum gelang diese Expansion, und warum zerfiel die Herrschaft wieder nach relativ kurzen 200 Jahren?

Die zentralen Regionen Eurasiens erlaubten aus Klimagründen keine durch Ackerbau Überschüsse generierenden Hochkulturen. Diese befanden sich alle an den Randzonen, wo sich über die Jahrhunderte Wohlstand entwickelte. Dschingis Khan zentralisierte die Führung, gab damit der zum damaligen Zeitpunkt überlegenen Waffentechnik die strategische Einsetzbarkeit hinzu, und setzte zum eurasischen Beutezug an.

 

 

Die Mongolischen Reiche um das Jahr 1300
Quelle: Droysens Historischer Handatlas 1868

Aufgrund der riesigen Reichsgröße, den knappen Personalressourcen und der Nomadenkultur dürfte die dauerhafte und stabile Organisation das größte Problem gewesen sein. Einige Teilreiche lösten sich durch Assimilation auf, da die Herrscher einfach die "angenehmere" Kultur übernahmen.

Im Nahbereich des mongolischen Kerngebietes war der militärische Druck allerdings über einen viel längeren Zeitraum wirksam, so wurde z. B.das chinesische Reich 300 v.u.Z. bis 1500 regelmäßig abgeschirmt (Große Mauer). Später wurde die Reiterei durch die Entwicklung der Handfeuerwaffen wirkungslos.
 

(5) China von der Ming-Dynastie bis zur Abdankung des letzten Kaisers: Nach 100 Jahren Mongolenherrschaft knüpfte das Reich wieder an vorherige Traditionen an. Das Verwaltungswesen wurde verfeinert (literarische Beamtenprüfung), praktische Technologien wurden entwickelt oder verbessert (Porzellan, Landkarten, Akupunktur), Schießpulver und der magnetische Kompass waren als erstes bekannt. Im 15. Jht. wurden See-Expitionen nach Südostasien und über Indien bis nach Ostafrika durchgeführt. Im 18. Jht. erreichte das Chinesische Empire durch Kolonialkriege (Turkestan, Tibet, Burma) seine größte Ausdehnung.

Hier ist die Frage zu stellen, warum China, das im 15. Jht. technologisch und zivilisatorisch durchaus vergleichbar mit Europa gesehen werden kann, nicht den Entwicklungsschub des letzteren nahm.

Die Kenntnisse der Schiffahrt und Navigation wurden nicht genutzt für "die Eroberung der Welt", Schwarzpulver wurde nicht umgesetzt in die Erfindung der Feuerwaffen, technologische Kenntnisse mündeten in keine Industrielle Revolution. Kontakte mit der Außenwelt (Händler, Missionare, militärischer Druck aus Japan und Europa) wurden mit Abschottung beantwortet.
 

(6) Venedig (stellvertretend für weitere Stadtstaaten Norditaliens wie Florenz, Mailand oder Genua) bildete kein geographisches Empire im herkömmlichen Sinn, sondern steht für die Globalisierung des Handels. An geostrategisch günstiger Stelle am Schnittpunkt zwischen Europa einerseits und dem Osmanischen Reich, Indien und China andererseits gelang es weitgehend, Handelsmonopole über das Mittelmeer und die Seidenstraße für Gewürze, Seide, Elfenbein, Parfüm, Pelze und weitere Luxusgüter zu erlangen. Das Bankwesen wurde mit Einführung der doppelten Buchführung und des Wechsels weiterentwickelt. Kreditvergabe und Währungsgeschäfte wurden eine wesentliche Einnahmequelle.

Warum norditalienische Stadtstaaten, und warum gerade damals?

Ab dem 13. Jht waren in Europa die Städte, ermöglicht durch zunehmende Agrarüberschüsse, stark gewachsen, und mit ihnen die Arbeitsteilung in Gewerbe und Verwaltung. Der in ganz Eurasien zunehmende Reichtum vergrößerte den Weltmarkt von (Luxus-)Gütern und über deren Handelsfinanzierung wurde das Bankgewerbe zu einer machttragenden Ressource.
Dieser Paradigmenwechsel bezüglich der Macht ging einher mit weiteren Bewußtseinsänderungen (Renaissance der klassischen (vorchristlichen) Literatur, Neuerungen in Bildender Kunst, Architektur, Astronomie, Vorgriffe eines Unabhängigwerdens von der Katholischen Lehre).

Was geschah gleichzeitig an den anderen Wirtschaftszentren? Ob Bagdhad oder Isfahan, Delhi oder Agra, Nanking oder Peking nur aufgrund ihrer handelspolitisch weniger zentralen Lage den Paradigmenwechsel nicht wahrnahmen (Papiergeld, und damit der Kredit, waren in China schon um 1000 eingeführt), oder ob soziokulturelle Gründe die wichtigere Rolle spielten, sei hier als Frage formuliert.

Nach Verlagerung des europäisch-internationalen Handels auf den Atlantik (siehe (7)) verloren Florenz und Venedig rasch ihre Vormachtstellungen.     

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