_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

Wie kann die Darstellung der Finanzkrise als Allmendeproblem beitragen, aus der Krise zu lernen? Wie ist die nächste Krise zu vermeiden?

 

Korrekturmaßnahmen
 

Aus der Geschichte der Krise
einer Liste der Akteure
und einer daraus abgeleiteten Liste der Ursachen
sollen Korrekturmaßnahmen abgeleitet werden.

Aus Allmende-Sichtweise sind zunächst das Ziel (maximaler Nutzen für die Gemeinschaft) und danach die möglichen Anreize zu ermitteln, die die egoistischen Interessen umleiten in für das Ziel wirksame Verhaltensmuster.

Als Beispiel zur Methodik sei das Allgemeingut "Verkehrssicherheit" herangezogen.
       Ziel: Möglichst wenige Verkehrsunfälle
Als Anreize sind möglich (in Klammern Beispiele):

  • Empfehlungen (Richtgeschwindigkeit 130 auf der Autobahn)
  • Kontrollen mit Strafen (Radarfallen)
  • Technische Hilfsmittel zur Schadensbegrenzung (Gurt, Airbag)
  • Kostenanreiz (hohe Hubraum/PS/CO2-Steuer, hoher Benzinpreis - billiger öffentlicher Verkehr)
  • Trennung von Risiken (kein Fußgänger auf der Autobahn)
  • technische Lösungen (Abregelung der Leistung sehr starker Motoren)
  • Verkehrsregeln (rechts vor links, Tempo 50 innerorts)
  • öffentliche Meinung (Rasen oder betrunken fahren ist schick oder verpönt)
  • Information der Verkehrsteilnehmer (Bremsweg verlängert sich quadratisch mit der Geschwindigkeit)
  • Verursacherprinzip (Unfallverursacher haftet)

 

Wie übersetzt sich dies für die Finanzwirtschaft?

Ziel: Die Finanzwirtschaft dient der Realwirtschaft, und hat keinen ungeplanten Einfluss auf Konjunkturzyklen - konkret, es treten keine spekulativen Blasen auf

Aus Sicht des oben genannten Zieles ist der Umsatz an Finanztransaktionen sicherlich um den Faktor 30 zu hoch (Ursache 3), ein erheblicher Teil davon sind Wetten im Millisekundenbereich (Ursache 4) mit bis zu Milliardenbeträgen um geringste Differenzen in Währungs- oder Warenpreisen. Dagegen hilft die

1. Finanztransaktionssteuer ("Kostenanreiz")

In der Realwirtschaft werden die meisten Umsätze mit Umsatz- oder Mehrwertsteuer (19% in Deutschland) belegt, Finanztransaktionen sind steuerfrei!
Eine Steuer von z. B. 0,1% würde alle Wetten auf Differenzen kleiner als diese Zahl automatisch unterbinden, und Wetten in der Größenordnung für den Kasinospieler sehr teuer machen, d. h. unattraktiv. Diese Steuer würde also selektiv eine Spezies der "schädlichen" (im Sinne der Zieldefinition) Transaktionen minimieren. Gleichzeitig ließe sich die Steuereinnahme z. B. für die Unterstützung von finanztechnisch "gemeinnützigen" Institutionen (Nationalbanken, europäischer Fonds, IWF (internationaler Währungsfonds) o.ä.) verwenden.

Die Finanztransaktionssteuer lässt sich global schwierig durchsetzen, da die Bankenlobby aus Eigennutz dagegen ist, und die führenden angelsächsischen Länder (USA und Großbritannien) einen erheblichen Teil ihres nationalen Einkommens daraus bestreiten (8 bzw. 30%). Es ist ggf. mit regionalen Ansätzen zu beginnen, und ein hoher politischer Druck zu erzeugen.
Stand Mai 2010:
Nach Forderungen von SPD und CSU übernahm die Bundesregierung das Anliegen und adressierte die G20-Gruppe.
Die neugewählte britische Regierungskoalition nahm die Einführung einer Transaktionssteuer in ihren Koalitionsvertrag auf.

Die Intransparenz des Finanzmarktes inklusive des Hochgeschwindigkeitsaspektes (Ursache 2, 5 und 6) benachteiligt den Konsumenten und die Steuerungsorgane (Staat, Zentralbanken) und nützt im wesentlichen wenigen Großbanken, die OTC- (over the counter) Geschäfte unter sich machen.
So wie bleihaltiges Benzin und cadmiumgelb-haltiges Kinderspielzeug verboten ist, genauso wie Schwarzarbeit, sollte hier eingegriffen werden durch eine

2. Regulierung ("Verkehrsregeln")

OTC-Geschäfte sollten kontrolliert werden, Transaktionen / Derivate, die keinen Nutzen für die Realwirtschaft haben, sollten verboten werden (alle mit Wettcharakter, wie z. B. hochfremdfinanzierte Geschäfte, hohe Hebelwirkung, Trendverstärkung wie z. B. ungedeckte Leerverkäufe usw.). Auch hier muss, wie bei (1), das Ziel sein, blasenbildende Mechanismen zu analysieren und deren Werkzeuge zu eliminieren, und letztlich, als ein Teilziel, den Umsatz der Finanzwirtschaft auf ein realwirtschaftsbezogenes Maß zu reduzieren.
Daneben ist der elektronische Handel so zu regulieren, dass den "Hochgeschwindigkeitspiraten", die den Realwirtschaftsteilnehmern in Mikrosekunden die Angebote wegschnappen, um sie weitere Mikrosekunden später teurer zu verkaufen, das Handwerk gelegt wird. Auch hier gilt, der Kampf der Großrechner ist kontraproduktiv für das oben definierte Ziel des Gemeinnutzens.

Stand Mai 2010:
Bafin (Bundesanstalt für Finanzaufsicht) verbot im nationalen Alleingang ungedeckte Leerverkäufe von Euro-Aktien und -Staatspapieren.
Bundesregierung plante einen Gesetzentwurf zum Anlegerschutz, der u.a. das Verbot ungedeckter Leerverkäufe beinhalten solle.
EU-Finanzminister beschlossen, dass sich Hedge-Fonds registrieren lassen und ihre Anlagestrategie offenlegen müssten. Gegen das Minderheitsvotum Großbritanniens werde es auch für Hedgefonds aus Drittstaaten hohe Hürden geben.
Der amerikanische Senat beschloss eine Gesetzesvorlage, dass Derivategeschäfte weitgehend über transparente Handelsplattformen und Clearing-Häuser abgewickelt werden sollten.

Ein extrem falscher - und teurer - Anreiz wurde gesetzt, indem Banken mit Steuergeldern aufgefangen wurden, d. h. Gewinne waren privatisiert, Verluste aber sozialisiert (Ursache 7). Während der Krise war die Rede von "systemrelevanten" Banken, d. h. hier bestand/besteht eine Monopolsituation. Diese ist, wie in der Realwirtschaft üblich, zu beheben durch eine

3. Bankenreorganisation ("Trennung von Risiken", "Verursacherprinzip")

Universalbanken sind zu trennen in Geschäftsbanken (für das Einlagen- und Kreditgeschäft) und Investmentbanken. Erstere haben eine zentrale Servicefunktion für die Gemeinschaft und sind risikoarm zu betreiben, letztere sind nicht systemrelevant, tragen ihr unternehmerisches Risiko, wie üblicherweise die Unternehmen der Realwirtschaft auch, völlig selbstständig und können daher auch pleitegehen.
Daneben ist die Mindesteigenkapitalquote zu erhöhen, um die Stabilität der Banken in Krisenzeiten zu verbessern.

Das Thema Bankenzerschlagung wurde während der akuten Finanzkrise (2008/2009) zwar diskutiert, verschwand dann aber wieder aus der öffentlichen und politischen Diskussion . Alternativ wurde über die Einrichtung von Bankenrettungsfonds nachgedacht, die durch diese selbst finanziert werden sollen. Das ist der schlechtere Weg, da das Verursacherprinzip nicht auf das Einzelinstitut gelten würde, d. h. jede einzelne Bank würde weiterhin hohe Risiken eingehen, und wenn der Fonds nicht reicht, landet das Problem doch wieder beim Steuerzahler.
Stand Mai 2010:
Die deutsche Regierung beschloss eine Bankenabgabe, die in einen "Bankenrettungsfonds" (für die nächste Krise) einfließen soll.
Der US-Senat brachte eine Finanzmarktreform ein, die die Aufspaltung und ggf. Liquidierung von Banken erlaubt (Schutz vor weiteren "bail-outs" durch den Steuerzahler), sowie höhere Eigenkapitalquoten für Banken mit über 250 Mrd. $ Bilanzsumme.
Im britischen Koalitionsvertrag (siehe 1) war auch das Thema "Aufteilung von Geschäftsbanken" enthalten.

Über 80% des Finanzmarktumsatzes stammt aus dem realwirtschafts-irrelevanten Wettbetrieb "Derivatehandel". Die dafür an Investmentbanker gezahlten hohen Boni sind ein doppelt falscher Anreiz (Ursache 7 und 3), da sie einerseits die Wettmentalität weiter fördern, andererseits das Verursacherprinzip wiederum durchbrochen ist, da im Verlustfall keine negative Verrechnung erfolgt, ja teilweise "Goldene Fallschirme" angeboten werden. Erforderlich ist eine

4. Korrektur des Bonussystems ("Verursacherprinzip", "technische Lösung", "öffentliche Meinung")

Für eine der Realwirtschaft schadenden Tätigkeit, die sich wie ein Krebsgeschwür (oder wie die altägyptische Plage des gern zitierten Heuschreckenschwarms) zu einem Vielfachen des globalen Güterumsatzes ausgebreitet hat, exorbitante Anreize, letztlich wiederum aus dem Vermögen der Gemeinschaft, zahlen zu lassen, ist eine gesellschaftliche Fehlleistung selbstzerstörerischen Charakters.
Als Korrekturmöglichkeiten bieten sich an:
Gesetzliche Vorschriften, die einen langfristigen Horizont fordern (persönliche Gewinn/Verlustbeteiligung über mehrere Jahre), sowie den Bruchteil des Gewinnes/Verlustes der Banken festlegen, der maximal für Boni/Mali verwendet werden darf.
"Gerettete" Banken haften für ihren Schaden nachträglich über einen längeren Zeitraum.
Eine erhöhte Besteuerung für Transaktionen mit Wettcharakter. Dies kann für den Bankengewinn oder für die Bonuszahlung gelten (vgl. "Schadstoffabgabe" aus der Umweltgesetzgebung).
Offenlegungsvorschriften der Boni gegenüber den Aktionären oder der Bankenaufsicht.
Über den Druck der öffentlichen Meinung Selbstverpflichtung der Banken, um ihr Image zu verbessern.

Die Gegner von Reformbemühungen werden häufig zitiert mit der Aussage, ohne wettbewerbsfähige Gehälter wären keine guten Mitarbeiter zu erhalten. Aus Allmendesicht hat die Berufsgruppe "Hochgeschwindigkeits- und Hebelwirkungs-Derivatespekulant" keine Daseinsberechtigung. Die Gemeinschaft wünscht sich - Vision - die Befreiung der Finanzmeere von den Piraten.
Konkreter gesprochen, sollte durch die oben genannten Korrekturmaßnahmen die Berufsgruppe zahlenmäßig im Lauf der Zeit abnehmen, und die "Spitzenspielerqualifikation" durch strengere Regeln im Spielkasino weniger gefordert sein, sodass deren "Einkauf" durch hohe Boni und Gehälter auch aus Sicht der Banken weniger dringlich werden sollte.
Stand Mai 2010:
Der IWF (Internationaler Währungsfonds) schlug eine Finanzaktivitätssteuer vor, die z. B. oberhalb einer Schwelle Gewinne und Gehälter von Bankinstituten belasten würde.
Die britische Regierung (s. 1) plante "robuste" Maßnahmen zur Bekämpfung von Bank-Boni in "unakzeptabler Höhe".

5. Problemverständnis und Motivation

Die aus dem Ruder gelaufene Entwicklung des Finanzwesens ist ein globales Allmendeproblem wie es vor 30 Jahren das Ozonloch war, und wie es heute der Klimawandel ist, von Themen wie Überbevölkerung oder Bewahrung des Weltfriedens gar nicht zu reden.
Mit der Lösung einher gehen dieselben Schwierigkeiten; die Wirkmechanismen müssen wissenschaftlich-kausal verstanden werden, Ziele müssen definiert werden, und, das ist bei Allmendeproblemen typischerweise das schwierigste, die verschiedenen Akteure, d. h. Kunden (Sparer, Schuldner) und Lieferanten (Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften), nationale Steuerorgane (Regierungen, Zentralbanken), regionale Einheiten (Länder, Ländergemeinschaften), internationale Organe (IWF, G20, Weltbank) müssen unter einen Hut gebracht werden.
Dies kann nur bei einem hohen, zeitlich nachhaltigen Bewußtseinsgrad aller Beteiligten, ausdrücklich inklusive der Öffentlichkeit, gelingen. Die Bürger, wir, sind die mehrheitlichen Nutzer der Allmende.

Mai 2010

Zum Nachwort

 

Welche Aktionen wurden weltweit tatsächlich realisiert?

Reale Korrekturmaßnahmen bis September 2010

 





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