_ "Dilemma - Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen"

__ Zweite Auflage; G.Mair, Novum Verlag, 2023

EU-Wahlanalyse 2014: "EU-Skeptiker" auf dem Vormarsch - ist das die korrekte Interpretation der Ergebnisse?

 

Wahl zum Europäischen Parlament 2014

 

                                                Wahlergebnis der EU-Parlamentswahlen 2014 mit 2009
vorläufiges Wahlergebnis: Die endgültigen Zahlen sind geringfügig unterschiedlich
Quelle: FAZ 2014 (1)


Am 25.5.2014 fand die in Fünfjahresabständen fällige Wahl zum Europäischen Parlament statt. 
Die immer noch stärkste Fraktion, die Europäische Volkspartei (EVP), verlor über 7 Prozentpunkte (siehe Graphik oben).
"An den linken und rechten Rändern bilden sich dagegen starke Pole im Meinungsbild, in einigen Fällen sogar die stärksten Parteien. In der EU... nimmt... die Zahl der Wähler zu, die die Einigung, den Euro oder die EU-Mitgliedschaft ihres Landes grundsätzlich in Frage stellen. Rund 19 % der Stimmen sind auf euroskeptische, rechtsradikale und andere nichtetablierte Parteien entfallen." So die Presse (2).

Im Folgenden soll eine Analyse versucht werden, die Entwicklung der "EU-Skeptiker" von der letzten Wahl 2009 zu der aktuellen Wahl zu quantifizieren, um Schwerpunkte nach EU-Fraktionen, EU-Parteien, Nationen und nationalen Parteien zu identifizieren.

Beim Sichten der Daten, wie Parteiprogrammen und Presseveröffentlichungen, sowie in der Diskussion mit Freunden wurde mir immer klarer, dass eine solche Analyse absolut nichttrivial ist, denn sie setzt insbesondere voraus, zu wissen bzw. festzulegen, was "EU-skeptisch" eigentlich bedeutet. Entstanden mag der Begriff möglicherweise sein als negative Belegung von Abweichlern, gesehen aus der Position der seit Jahren die EU-Politik gestaltenden großen oder klassischen Parteien (für eine absolute Mehrheit reichte bisher eine "große Koalition" aus Volkspartei und Sozialisten). Heute stellt eine zunehmende Zahl von Wählern die Frage, ob nicht vielleicht gerade diese etablierten Parteien es sind, die einen Irrweg gehen, und die Zukunft Europas besser in den Händen (eines Teils) der sogenannten "EU-Skeptiker" liegt!
Mir fiel auch auf, dass je nach politischer Position Begriffe wie "links"/"rechts", "populistisch", "radikal" unterschiedlich verwendet werden; insbesondere die letzteren beiden werden (auch) als abwertende Kampfbegriffe gegenüber dem jeweiligen politischen Gegner benutzt.
Um für den Leser der folgenden Analyse, die diese Begriffe zwangsläufig benutzt, eine gewisse Transparenz zu schaffen, habe ich mich entschlossen, "Bierdeckel-Definitionen" zu entwickeln, um mehrdeutige und missverständliche Begriffe nicht unreflektiert wiedergeben zu müssen.



  •  "Links": Die Partei hat ein Gerechtigkeitsziel: Gleiche Rechte für alle, insbesondere die Armen bzw. Unterdrückten. Schutz der Umwelt kann, aber muss nicht, darunter fallen, sofern sie als "unterdrückt" gesehen wird. Typischer blinder Fleck: Soziale Schwarzfahrer unter den Armen und Schwachen.
  • "Rechts": Die Partei hat ein Gerechtigkeitsziel: Rechte und Pflichen entsprechen sich, Leistung muss sich lohnen. Schutz der Umwelt kann, aber muss nicht darunter fallen, sofern sie als wesentlich zur Erbringung von (nachhaltiger Wirtschafts-) Leistung gesehen wird. Typischer blinder Fleck: Soziale Schwarzfahrer unter den Mächtigen und Reichen.
  • "Liberal": Die Partei hat ein Optimierungsziel: Wenn der Staat möglichst wenig und jeder Bürger möglichst viel zu sagen hat, wird es allen am besten gehen. Typischer blinder Fleck: Ungleichverteilung der Chancen - Beispiel: Spekulanten.
  • "Populistisch": Jetzt wird es schwieriger! Die politischen Gegner verstehen darunter, abwertend, eine Partei, die das Volk unter Vorspiegelung falscher Tatsachen manipuliert.
    Ich möchte dagegen als Denkmodell gern zwei Extreme aufspannen: Erstens, die "Elitepartei". Sie findet die politisch beste Lösung durch fachlich fundiertes Nachdenken einer Elite und überzeugt ihre Wähler davon. Zweitens, die "Massenpartei". Sie sucht die Meinung der Wähler zu ergründen und richtet ihre Politik danach aus. Sowohl das fachlich fundierte Nachdenken als auch die Meinung der Wähler sind wertefrei anzunehmen, d. h. sie können beide Egoismen befördern (Klientelpolitik), ungerecht sein usw.
    Meiner Meinung nach liegt die "populistische" Partei deutlich näher am zweiten als am ersten Extrem. Der Vorteil mag eine größere Bürgernähe und der Nachteil ein Mangel an fachkundigen Standpunkten sein.
    Man könnte auch das Gegensatzpaar "rationale Argumente " - "emotionale Argumente" heranziehen. Die "Elitepartei" erarbeitet rationale Politiklinien und benutzt Emotionen (mit), um die Wähler zu überzeugen. Die "Massenpartei" spricht die emotionalen Themen direkt an und verstärkt sie in der Öffentlichkeit, um daraus ihre Politik abzuleiten.
    Typischerweise leicht emotional zu besetzende Themen sind:
    • Nationale / kulturelle Identität --> Immigrationspolitik, Integration, Sicherheit (Rechtspopulismus)
    • Gerechtigkeit --> Soziale Gerechtigkeit, Antikapitalismus (Linkspopulismus)
  • "Radikal": Die Partei hat ein Statusziel: Eine Volksgruppe, eine Nation, eine Klasse ist überlegen und soll die Macht übernehmen. Typischer blinder Fleck: Die Rechte der Anderen.

Nun kommt eine für diese Analyse entscheidende Frage: Was ist "EU-skeptisch" im Sinne der aktuellen Presseberichterstattung und was ist dessen Gegenteil? Dies zu beantworten, ist fast nicht möglich, ohne politisch Stellung zu beziehen, was ich an dieser Stelle ausdrücklich vermeiden wollte.
Man sollte sich auf jeden Fall davon lösen, in den "EU-Skeptikern" die Ablehner einer "europäischen Idee" zu sehen, und in den "etablierten Fraktionen", wie sie in der unten folgenden Tabelle genannt werden, die Befürworter einer "europäischen Idee". Denn was die "europäische Idee" der europäischen Bürger eigentlich ist, ist genau Gegenstand der aktuellen politischen Auseinandersetzung.
Ich versuche trotzdem eine Definition:

  • "Etablierte Fraktion oder Partei":
    • Sie war die vergangenen Jahrzehnte am Aufbau der europäischen Institutionen beteiligt und hat dazu ein positives Verhältnis.
    • Sie glaubt an ein "weiter so", was die zunehmende Machtverlagerung von den Nationen nach Brüssel betrifft. Eine zunehmende politische Zentralisierung wird die heutigen Probleme lösen.
    • Sie hält den Euro in seiner heutigen Form und Teilnehmerzahl für ein tragfähiges und nützliches Konzept. Eine weitere Übertragung von Kompetenzen an die EZB und rigidere Regeln zur wirtschaftlichen Anpassung der Länder untereinander ("Austeritätspolitik") wird die heutigen Probleme lösen.
    • Sie hält die Brüsseler und Frankfurter (EZB) Entscheidungsprozesse für in zufriedenstellender Weise transparent und demokratisch kontrolliert.
    • Sie glaubt, dass ein "Vereinigtes Europa" der politische und wirtschaftliche Akteur sein sollte, wenn Europa auf der Weltbühne erfolgreich sein will.
  • "EU-kritische Fraktion oder Partei":
    • Sie beobachtet ein Zunehmen negativer Effekte des bisherigen EU-Kurses.
    • Sie glaubt an die Notwendigkeit eines Kurswechsels, bis hin zu einer Rückverlagerung von Kompetenzen an die Nationen (Stärkung des Subsidiaritätsprinzips).
      oder / und: 
    • Sie hält den Euro in seiner heutigen Form für ein gescheitertes Experiment, das Europa wirtschaftlich und politisch schadet. Die Rückkehr wirtschaftlich divergenter Länder zu eigenen Währungen wird die heutigen Probleme lösen.
      oder / und:
    • Sie diagnostiziert in Brüssel und Frankfurt (EZB) demokratische Kontrolldefizite, die institutionell zu korrigieren sind.
      oder / und:
    • Sie glaubt, dass in Europa die Nationen die politischen und kulturellen Akteure sind, sein wollen und sein werden, wenn Europa auf der Weltbühne erfolgreich sein soll.
      oder / und:
    • Die (nationale) Partei nimmt die EU als gegeben und möchte einfach austreten.
      oder / und:
    • Die (nationale) Partei nimmt den Euro als gegeben und möchte einfach austreten.



Die folgende Tabelle liefert eine Auswertung der Wahlergebnisse entsprechend diesen Kriterien.

  (1) Geordnet nach Anzahl der Sitze im Europäischen Parlament
(2)
Fraktionen: Europäische Linke / Nordische Grüne Linke (GUE/NGL), Sozialisten u. Sozialdemokraten (S&D), Grüne / Freie europäische Allianz (Grüne/EFA), Liberale und
Demokraten für Europa (ALDE), Europäische Volkspartei (Christdemokraten) (EVP)

Ausnahmen siehe (3c) und (6)
(3) (a)
Fraktion Konservative u. Reformisten (ECR):Conservatives (Großbritannien), PiS (Polen), ODS (Tschechien) und 5 weitere (mit je 1 Sitz) 
(b) Fraktion Europa der Freiheit und Demokratie (EFD): UKIP (Großbritannien), Lega Nord (Italien), Dänische Volkspartei, TT (Litauen), Finnenpartei und eine weitere (mit 1 Sitz)
(c)
Die europäische Partei EFA (Europäische Allianz für Freiheit), obwohl in der Fraktion Grüne/EFA, wurde ausnahmsweise zur Spalte "EU-Kritische" zugeschlagen.        
Darunter fallen 2009 7 Sitze, 2014 8 Sitze, aus den Parteien: PNC (Korsika, Frankreich), Schottische Nationalpartei (Großbritannien), Plaid (Wales, Großbritannien), Aralar (Baskenland, Spanien), NVA (Flandern, Belgien), Für Menschenrechte in einem vereinten Litauen.
(d) Sonstige "EU-kritische" Parteien, zwischen völliger Ablehnung und Änderungs-Programmen hinsichtlich politischer und wirtschaftlicher Integration, demokratischer Prozesse u.a.

                                                         Wahlanalyse der EU-Wahl 2014

(zu 3d) Darunter wurden folgende Parteien identifiziert:
AfD (Deutschland), Front National (Frankreich), Bewegung 5 Sterne (Italien), Podemos (Spanien), Kongress der Neuen Rechten (KNP, Polen), Partei für die Freiheit (PVV) (Niederlande), Syriza (Griechenland, s. (6)), FPÖ (Österreich)
(4)
alle weiteren Parteien ohne Fraktionszugehörigkeit (Stand 30.5.14, vor neuen Fraktionsvereinbarungen).
D
arunter fallen u.a.: Rechtsextreme, wie NPD (Deutschland), Goldene Morgenröte (Griechenland), Jobbik (Ungarn); Einthemenparteien zu Umwelt, Familie, Bauernstand, regionalem Separatismus u.a.; inhaltsarme Protestparteien wie die Satirepartei "Die Partei" (Deutschland)
(5)
Die Linkspartei Syriza (Griechenland), obwohl in der Fraktion GUE/NGL, wurde ausnahmsweise der Spalte "EU-Kritische" zugeschlagen
(6)
Prozentzahlen 2009 bezogen auf 766 Sitze
Quelle: Eigene Auswertung nach Zahlen aus dem Europäischen Parlament 2014 (3)


Die Liste der 28 Mitgliedsländer ist nach Anzahl der Sitze im Parlament geordnet.
Die "etablierten Fraktionen" reichen im Sitzverteilungsfächer (siehe Graphik ganz oben) von den  Linken bis zur Volkspartei, mit zwei Ausnahmen. Dies ist erstens die europäische Partei EFA mit 8 Sitzen, Fraktionsmitglied der Grünen, die aus im Wesentlichen aus separatistischen Parteien besteht (die die Unabhängigkeit von z. B. Flandern, Korsika oder dem Baskenland fordern). Es wird unterstellt, dass diese eine stärkere Abgabe von Kompetenzen an Europa nicht wünschen, da sie ja im Gegenteil mehr Kompetenzen von ihrer eigenen Nation fordern (s. Fußnote 3c). Die zweite Ausnahme ist die Linkspartei Syriza (Griechenland), die Mitglied in der Fraktion der Linken ist. Sie fordert eine Abkehr von der Austeritätspolitik und gehört damit zu den Kritikern des heutigen Euro-Systems (s. Fußnote 6).
Die "etablierten Fraktionen" erreichten 73,4 % der Sitze.

Als "EU-kritisch" wurden zwei Fraktionen identifiziert, nämlich die "Konservativen und Reformisten" (ECR) unter der Führung der britischen Konservativen Partei (Regierungspartei unter Premierminister Cameron), die die EU als rein ökonomisches Projekt sieht, das Großbritannien keinen Nutzen bringt, und der polnischen PiS, die den Austritt aus der EU fordert (zusammen 38 von 46 Sitzen) (s. Fußnote 3a);
sodann die Fraktion "Europa der Freiheit und Demokratie" (EFD) unter Führung der britischen UKIP, die den Austritt fordert (24 von 38 Sitzen), mit der italienischen Lega Nord, die den "Europäischen Superstaat" ablehnt (5 Sitze), der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, die u. a. wegen der Integrationspolitik die EU ablehnt (4 Sitze), der zentralisierungskritischen Finnen Partei (2 Sitze) und anderen (Fußnote 3b).
An bisher nicht in Fraktionen (außer Syriza und EFA) organisierten Parteien wurden den "EU-Kritischen" zugeordnet (s. Fußnote 3d):
- AfD (Deutschland), die die Schuldenunion und den Euro in der jetzigen Form ablehnt,
- der Front National (Frankreich), rechtspopulistisch bis rechtsextrem, der gegen den Euro, gegen offene Märkte und gegen offene Grenzen ist,
- die Protestpartei Bewegung 5 Sterne (Italien), deren Vorsitzender die Rückkehr zum Lire mit einer Abwertung fordert,
- die linke Podemos (Spanien), welche die Abschaffung des Lissabon-Vertrages und eine Schuldenunion zur Wirtschaftsförderung fordert,
- Kongress der Neuen Rechten (Polen), die den Austritt verlangt,
- die rechtspopulistische Partei für die Freiheit (Niederlande), die die Verringerung von EU-Kompetenzen und z. B. die Abschaffung des EU-Parlamentes fordert,
- die linke Syriza (Griechenland), die für ein Ende der Austeritätspolitik eintritt,
- die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs, die eine Renationalisierung von Kompetenzen und drastische Budgetreduzierungen fordert,
- und die bereits genannte europäische Partei EFA aus Regionalgruppenvertretern.
Diese "EU-Kritischen" erreichten 21,7 % der Sitze, fast doppelt so viele wie 2009 (13,2 %) (s. Tabelle, blau gekennzeichnet).

De mittlere Teil der Tabelle zeigt den Rang der jeweiligen "EU-kritischen" Partei innerhalb der nationalen Wahlergebnisse. In sechs (von 28) Ländern erhielt die "EU-kritische" Partei die meisten Stimmen (gelb unterlegt), in sechs weiteren belegte sie Platz zwei oder drei (mit einer Doppelbesetzung in Großbritannien, wo eine absolute Mehrheit von 64 % "EU-kritischen" Sitzen erreicht wurde).
Diese 11 Länder lassen sich mehreren Gruppen zuordnen, teilweise überlappend:

  • Euro
    Länder mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und durch den Euro blockierten Abwertungsbedarf:
    Griechenland, Italien, Frankreich (beginnende Symptome)
  • Euro
    Euro-Geberländer:
    Frankreich, Niederlande, Belgien, Finnland
  • Identität / Integration
    Länder, die mit der Einwanderungs- und Integrationspolitik unzufrieden sind:
    Frankreich, Niederlande, Großbritannien, Österreich, Dänemark
  • Souveränität /Zentralisierung
    Länder, die den nationalen Souveränitätsverlust ablehnen:
    Frankreich, Polen, Österreich, Dänemark, Finnland
  • Wirtschaft
    Länder, die der EU Mittelverwendung ohne ökonomischen Nutzen vorwerfen:
    Großbritannien, Italien, Österreich

Länder mit unklarer Datenlage wurden nicht genannt.


Im rechten Teil der Tabelle sind die sonstigen Parteien aufgeführt, die keiner Fraktion angehören. Sie umfassen als rechtsextrem klassifizierte Parteien (NPD (Deutschland), Goldene Morgenröte (Griechenland), Jobbik (Ungarn)), Einthemenparteien z. B. zu Umwelt, Familie, Bauernstand, sodann inhaltsarme Protestparteien wie die satirische "Die Partei" (Deutschland) u. a.
Die nichtorganisierten Klein- und Extremparteien erreichten 4,9 % der Sitze.



Die oben getroffenen Zuordnungen unterliegen naturgemäß einer gewissen Subjektivität und sind sicherlich auch nicht vollständig. Um eine gewisse Nachvollziehbarkeit zu ermöglichen, folgen für ausgewählte Fraktionen und Parteien Zitate aus deren Veröffentlichungen oder Presseaussagen, die zu der entsprechenden Einteilung geführt haben (Übersetzungen durch G. Mair).

Fraktion ECR (Konservative und Reformisten) (britische Konservative Partei, polnische PiS u. a.; die Fraktion wurde erst 2009 gegründet)
Euro, Zentralisierung
"Das Euro-Realismus-Konzept unterscheidet die ECR-Agenda von den anderen politischen Gruppen. Wir glauben an eine neue Richtung für die EU, die die Organisation nicht zerstört und Kooperation nicht untergräbt.
Im Gegenteil, wir möchten die EU wegsteuern vom ideologischen Marsch in Richtung auf einen europäischen Superstaat und hin zu einer flexibleren Organisation, die die Völker aller seiner Mitgliedsstaten anhört und respektiert." (4)
Wirtschaft
"Die Staatsschuldenkrise der Eurozone hat die europäische Wirtschaft stark geschädigt und erhebliche Härten für Millionen Bürger verursacht. Deshalb braucht die EU ein Programm, das ökonomisches Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit priorisiert." "Zum wiederholten Mal bestehen wir darauf, dass das Prinzip des europäischen Mehrwerts der Fokus aller Ausgaben sein sollte, und dass diese auch durch die Prinzipien der Effizienz, der Effektivität und des Kosten-Nutzen-Verhältnisses geleitet sein sollen, unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips." (5)
EU-Budget
Die ECR
will das EU-Budget verringern und nicht zum Erhalt des Status quo, sondern zur Modernisierung verwenden; das CAP-Budget (Budget der gemeinsamen Agrarpolitik) soll ausschließlich zur Nahrungsmittelversorgung und für Biodiversität und Klimawandel ausgegeben werden; die EU soll keine Steuern einführen (Finanztransaktionssteuer, Mehrwertsteuer, Flugsteuer); der Budgetplan soll von einem sieben- auf einen fünfjährigen Rhythmus umgestellt werden, damit er, parallel zum Wahlrhythmus, besser demokratisch kontrolliert werden kann; die öffentliche Kontrolle der Ausgaben soll verstärkt werden (6)

Fraktion EFD (Europa der Freiheit und Demokratie) (britische UKIP, italienische Lega Nord, Dänische Volkspartei u. a.; die Fraktion wurde erst 2009 gegründet)
Zentralisierung
"Die Gruppe... lehnt die Bürokratisierung Europas und die Schaffung eines einzigen zentralisierten europäischen Superstaates ab." (7)
Demokratie
"In der Überzeugung, dass die legitime Demokratieebene bei den Nationen, ihren Regionen und Parlamenten liegt, da es so etwas wie ein einziges europäisches Volk nicht gibt, ist die Gruppe gegen weitere europäische Integration (Verträge und Politik), welche das aktuelle Demokratiedefizit und die zentralistische politische Struktur der EU verschlimmern würde." (7)
Identität / Integration
"Die Völker und Länder Europas haben das Recht, ihre Grenzen zu schützen und ihre eigenen historischen, traditionellen, religiösen und kulturellen Werte zu stärken. Die Gruppe lehnt Fremdenfeindlichkeit, Antisemitsmus und andere Formen der Diskriminierung ab." (7)
Wem zu Nutzen
Die EFD opponiert gegen TTIP (Transatlantik-Handels-und Investitionspartnerschaft, Freihandelsabkommen zwischen EU und USA, über das gerade verhandelt und in der Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert wird), da es undemokratisch sei und kleinen und mittleren Unternehmen sowie dem Bürger schade. (8)
Euro
Ein von EFD eingeladener Finanzwissenschaftler der Sorbonne (Frankreich) trug zur Eurokrise vor: "Ohne die Möglichkeit der Abwertung werden die Ökonomien nicht aufhören auseinanderzudriften". Er empfiehlt den geordneten Ausstieg vor einem Crash und sagt dazu: "Je weniger Kooperation es beim Ausstieg aus dem Euro geben wird, desto mehr Probleme werden zu lösen sein, und desto mehr Bankenverluste und potenzielle Konflikte zwischen Ländern wird dies erzeugen." (9) 

Europäische Partei EFA (Freie Europäische Allianz) (Volksgruppen vertretende Parteien aus Flandern, Schottland, Wales, Litauen)
Identität / Wem zu Nutzen
EFA wurde gegründet von "einer Gruppe demokratischer, nationalistischer und regionalistischer Parteien"..."als Antwort auf die fortlaufenden Schwierigkeiten, die staatenlose Nationen, Minoritäten und Regionen Europas haben, gehört zu werden." (10)

Fraktion GUE/NGL (Europäische Linke / Nordische Grüne Linke)
Finanzwirtschaft
Diese Fraktion wurde den "etablierten Parteien" zugeordnet, obwohl sie zum Thema Finanzen sagt:
"Der Sparkurs ist zerstörerisch! [Er] spielt weiterhin den Reichen und Mächtigen in die Hände... Die Sparmaßnahmen, die in den am schwersten von der Krise betroffenen EU-Ländern mit undemokratischen Mitteln durchgesetzt werden, sind Ausdruck des Scheiterns der neoliberalen Architektur der EU... Sie stellen eine politische Entscheidung dar, mit der die Interessen einiger Menschen über die der anderen gestellt werden." (11)
Ich habe mich für diese Zuordnung entschieden, da die Kritik der GUE/NGL das finanzwirtschaftliche System als solches betrifft; zum Euro oder der Rolle der EU in der Finanz- und Wirtschaftskrise wird nichts gesagt. Liest man das Zitat als Kritik am Banken- und Finanzsystem ("Neoliberalismus"), trifft diese auf nationaler als auch EU-Ebene zu, ist mithin keine spezifisch "EU-kritische" Position.

Es folgen nationale Parteien, in der Reihenfolge der Länder laut Tabelle. 

AfD (Alternative für Deutschland)
(Kommentar: (12))
Euro
"Mit der 'Eurorettung' wächst – ohne demokratische Kontrolle – die Machtfülle europäischer Institutionen. Die AfD will keine EU der geretteten Banken, der verzweifelten Jugendarbeitslosen und der Minimalrenten für die Alten!"
"Die EU wird durch den Einheitseuro gefährdet." "Die AfD fordert eine Auflösung, zumindest aber eine vollständige währungspolitische Neuordnung des Euro-Währungsgebietes." (13)
Zentralisierung
"Die AfD fordert eine Abkehr von der Politik des Zentralismus hin zu einer Aufgabenerledigung möglichst nah am Bürger. Das Subsidiaritätsprinzip muss wieder zur Geltung kommen." (13)
Identität / Demokratie
Trotz eines Bekenntnisses zum Freihandel lehnt die AfD die TTIP-Verhandlungen ab, da es "jedoch auf eine Verwässerung des Verbraucherschutzes, des Umweltschutzes, der Rechtssicherheit, der Sozialstandards und der Kulturpolitik [zielt]. Zudem darf das Abkommen eine weitere Ausgestaltung dieser Bereiche durch die demokratisch legitimierten Gesetzgeber in den Mitgliedsstaaten und in der EU nicht ausschließen." (13)

Front National (Frankreich)
Euro
"Die Krise des Euro hat heute richtig begonnen. Sie hat den Beinahe-Zusammenbruch von Griechenland, Irland und Portugal provoziert, sie bedroht ernsthaft Italien, Spanien und Belgien. Die Unmöglichkeit der Abwertung verdammt die Völker dazu, sich Austeritätsplänen zu unterwerfen, die die Krise nur verschlimmern. Dies ist eine tödliche Falle für Frankreich, das seinerseits in das Karussell Austerität-Rezession gerät." (16)
"Der Euro und die Öffnung der Grenzen für eine unlautere Konkurrenz haben Millionen industrielle Arbeitsplätze zerstört, insbesondere in Frankreich."
"Frankreich muss, gemeinsam mit seinen europäischen Partnern, die Rückkehr zu den nationalen Währungen vorbereiten, die eine wettbewerbsermöglichende Abwertung erlauben wird." (14)
Identität / Integration
Frankreich ist gestraft durch die totale Öffnung der Grenzen gemäß dem Schengen-Abkommen, in Bezug auf seine Demographie (die keine massive Immigration rechtfertigt) und in Bezug auf seine Sozialsysteme (die wie eine Saugpumpe wirken)." (13) 
[Wir fordern] die Rücknahme des Schengen-Abkommens über den freien Personenverkehr [innerhalb der EU]: Frankreich wird die Kontrolle über seine Grenzen wieder übernehmen." (15)

UKIP (Großbritannien)
Wem zu Nutzen
"UKIP wurde 1993 gegründet, um für den Austritt Großbritanniens aus der EU zu werben. ...weil sie undemokratisch, teuer, überheblich ist - und wir sind immer noch nicht gefragt worden, ob wir Mitglied sein wollen." (17)
Zentralisierung
Die EU kontrolliert Immigration, Wirtschaft und Beschäftigung, Finanzdienstleistungen, Fischerei, Landwirtschaft, Energie und Handel. Nun möchte sie Recht und Ordnung, Außenpolitik und Steuern kontrollieren. Nur außerhalb der EU können wir beginnen, die Probleme unseres eigenen Landes zu lösen." (18)
Integration
"[wir wollen] die Kontrolle über unsere Grenzen und die Immigration wiedergewinnen..." (18)

Conservatives (Großbritannien)
Wem zu Nutzen / Zentralisierung / Euro
"Europa muss sich wandeln. Großbritanniens Verhältnis zur EU funktioniert nicht. Es braucht eine grundlegende Veränderung. Die Konservativen haben bereits zum Wandel beigetragen durch: 1. Reduzierung des Budgets - Kostenreduzierung für unser Land; 2. Vetoisierung eines neuen EU-Vertrages - Verhinderung von noch mehr Macht für Brüssel; 3. Weigerung, den Euro zu "retten" - britisches Steuergeld gespart."
"Unser Plan ist klar: Wir werden für Großbritannien in der EU besser verhandeln und den Briten bis 2017 ein Ja-Nein-Referendum geben." (19) 

Bewegung 5 Sterne (Italien)
Euro
Der Parteichef Grillo sagte 2012: " Italien muss die Möglichkeit seines Austritts aus dem Euro überlegen, das Thema darf nicht mehr tabu sein." Mit dem Euro-Austritt könne Italien zurück zur Lira und die Währung bis zu 50 Prozent abwerten. "Dies wird zwar nicht alle Wirtschaftsprobleme des Landes lösen, unsere Waren im Ausland werden jedoch konkurrenzfähiger werden." (20)

Podemos (Spanien)
Euro
Die Europäische Zentralbank soll demokratischer gestaltet werden, ihre Geldpolitik dem Beschäftigungswachstum verschreiben, unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen und sich an den sozialen Kosten der Staaten entsprechend ihren Bedürfnissen beteiligen. (21)
Wirtschaft / Demokratie
Der Vertrag von Lissabon soll aufgehoben werden, da öffentliche Dienstleistungen nicht der Wirtschaft und dem Wettbewerb unterliegen sollen und Europa heute neoliberal und antidemokratisch sei. Eine konstituierende Versammlung soll eine Neugründung der EU herbeiführen. (21)

PVV (Partei für die Freiheit, Niederlande)
Wem zu Nutzen / Euro
2009 forderte die PVV die Abschaffung des EU-Parlamentes und der EU-Kommission. (22)
2012 forderte sie den Austritt aus Euro und EU. (23)

Syriza (Griechenland)
Wirtschaft / Euro
"Die Botschaft lautet, dass die katastrophale Austeritätspolitik beendet werden muss." (24)

Dänische Volkspartei
Zentralisierung / Identität
"Die Dänische Volkspartei wünscht eine freundschaftliche und dynamische Zusammenarbeit mit allen demokratischen und freiheitsliebenden Nationen der Welt; wir können jedoch nicht akzeptieren, dass Dänemark Teile seiner Souveränität aufgibt. Demzufolge ist die Dänische Volkspartei erklärter Gegner der Europäischen Union." (25)

Die Finnen
Zentralisierung / Vereinigtes Europa
"Die EU sollte kein Bundesstaat werden. Die reichen und unterschiedlichen europäischen Traditionen lassen sich nicht in eine willkürliche Form der Harmonisierung pressen. Gerade die Natur der verschiedenen nationalen Kulturen verbietet eine gewaltsame Integration - bei unterschiedlicher Wirtschaft, Sprache, Kultur, Geschichte. Jedoch besteht aller Grund, Handelsbarrieren abzubauen und neue Regulierungen zu minimieren." (26)
Euro / Wirtschaft
"Zahlungstransfers zwischen Mitgliedsstaaten sollten nicht ansteigen, im Gegenteil, sie sollten abnehmen."
"Die Finnen Partei akzeptiert die finnische Mitgliedschaft in der Eurogruppe als gegeben - eine Situation, die sich jedoch ändern könnte." (26)

 

.
Ergänzung nach Bildung der neuen Fraktionen (Juni 2014)

Einige alte Parteien haben ihren Status gewechselt: Die Lega Nord (Italien, 5 Sitze) trat aus der EFD aus und ist nun ohne Fraktionszugehörigkeit. Die NVA (Flaams Belang, Belgien, 4 Sitze) wechselte von den Grünen zur ECR. Die Dänische Volkspartei (4 Sitze) und die Finnenpartei (2 Sitze) wechselten von EFD zu ECR.
Einige neue Parteien sind bestehenden Fraktionen beigetreten, z. B. Bewegung 5 Sterne (Italien, 17 Sitze) zur EFD, und AfD (Deutschland, 7 Sitze) zur ECR. 
Dem rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Front National (Frankreich, 23 Sitze) gelang es nicht, eine eigene Fraktion zu gründen, an der auch Lega Nord (Italien, 5 Sitze), Die Partei der Freiheit (Niederlande, 4 Sitze), FPÖ (Österreich, 4 Sitze) und NVA (Belgien, 4 Sitze) hätten teilnehmen sollen (27). Das Europarecht schreibt vor, dass eine Fraktion aus Parteien mindestens sieben Länder bestehen muss. 

Die in der Analysetabelle so genannten 21,7 % "EU-Kritiker" setzen sich somit zusammen aus 15,7 % in Fraktionen (ECR und EFD) organisierter Parteien (118 Sitze, plus 40 % gegen 2009) sowie 6,0 % fraktionsloser Parteien (45 Sitze, plus 246 % gegen 2009, mehr als eine Verdreifachung). Die letztere Gruppe ist in großer Mehrheit weit rechts angesiedelt.

Weitere 4,9 % "sonstige" Parteien sind nicht in Fraktionen organisiert (s. Analysetabelle).

 





Interpretation

Was bedeutet dieses Wahlergebnis nun? Der politisch neutrale Leser, aber auch der Leser mit einer politischen Präferenz, wird sicherlich aus der Liste der "EU-skeptischen" Argumente und Forderungen einige oder viele als positiv oder gar notwendig für die Verbesserung des "Projektes Europa" identifiziert haben. Wofür stehen dann eigentlich die "etablierten Parteien"? Für die Verschlechterung des "Projektes Europa"?

In der Liste der "EU-skeptischen" Forderungen kommt auch mehrfach der schlichte Wunsch nach Austritt vor. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass die EU keine unveränderbare Gegebenheit ist, die man nur befürworten oder ablehnen kann, sondern eine lebende Institution, die sich durch Handlungen der Akteure stets verändert.
In einem demokratischen System ist die Frage nach Zielen, Mitteln und deren Bewertung dem öffentlichen Diskurs unterworfen, es gibt keine Deutungshoheit für die Entscheidung, was "gut" und was "schlecht" sei für die Entwicklung der EU.   

Mit dieser Aussage fällt die oben getroffene - quasi traditionelle - Einteilung in "EU-Skeptiker" und "Etablierte" als inhaltslos in sich zusammen.

Was folgt daraus? Ich möchte mich der Frage auf zwei Weisen nähern, beide haben Bezug zur Allmendetheorie (Details zu verwendeten Begriffen wie Institution, Akteur, Strategie, Norm, Regel siehe Allmendeproblem).
Die EU ist eine Institution der beteiligten Nationalstaaten, die als solche die "soziale-Dilemma-Situation" hervorruft: Rational-egoistisches Verhalten der Akteure (Nationen) erzeugt ein schlechteres Ergebnis für alle, als wenn sie für ein gemeinsames Ziel kooperieren würden. Institutionen können aufgrund dieser Verhaltensmuster erfolgreich sein, weniger erfolgreich sein oder auseinanderbrechen.

1. Gedankengang: Der Mensch neigt bei der Problemlösung, auch in sozialen-Dilemma-Situationen, zu einfachen Lösungsalgorithmen; der einfachste lautet, wenn etwas einmal gut funktioniert hat, wiederholt man es.
Dies erklärt spontan die quasi automatische Fixierung auf immer mehr politische Machtkonzentration in der EU, denn der Weg der Zentralisierung war seit 1956 (Gründung der EWG) bis 2008 (Beginn der Finanzkrise) offenkundig stets gewollt und erfolgreich und deshalb richtig. Geradlinige Strategien führen aber immer zu desaströsen Ergebnissen: Steuern immer weiter erhöhen, Steuern immer weiter senken, Grenzen immer weiter öffnen, Grenzen immer weiter schließen, immer schnelleres Wirtschaftswachstum, immer schnellere Wirtschaftsschrumpfung, immer mehr globale Landwirtschaftsfläche, immer weniger globale Landwirtschaftsfläche - man kann sich jeweils das Ende leicht ausmalen; insofern ist die einfache Problemlösungsstrategie "Weiter so" für die EU rechtzeitig, z. B. heute, zu hinterfragen

2. Gedankengang: Man kann die oben referierten politischen Meinungen spiegeln an der Allmendetheorie. Elinor Ostrom hat einfache Checklisten für erfolgreiche diesbezügliche Institutionen entwickelt (s. Allmenderegeln; Zitate hieraus folgend in blau).
Erstes Beispiel: "Klare Grenzen gegen Nichtberechtigte": Diese Regel hat den Hintergrund, erstens Missbrauch durch Dritte zu verhindern (im Fall der EU z. B. den sogenannten "Sozialtourismus", aber auch die "Abzockerei" der Finanzbranche: Beide Gruppen haben erfolgreiche egoistische Strategien erarbeitet, die den Normen der Institution widersprechen: ein sogenanntes Schwarzfahrerproblem) und zweitens die Normen der Institution aufrecht erhalten zu können. Als Normen werden im Zusammenhang der "soziale-Dilemma-Theorie" ethische und soziale Werte verstanden, die die Mehrzahl der Akteure teilen, die ohne Sanktion wirken (z. B. die Norm "Du sollst nicht lügen") und die das Verhalten der Akteure stark beeinflussen. Dies betrifft auch das Thema Integration. "Die meisten Akteure teilen Normen und soziales Verhalten, welche als Vertrauensbasis genutzt werden können". Die Allmendetheorie sagt aus, dass es erfolgsentscheidend ist, diesen Themenkomplex wirksam zu gestalten.
Zweites Beispiel: "Nutzer haben ein gemeinsames Verständnis über die Funktion der Ressource und ihrer eigenen und gemeinsamen Aktionen": Dies gilt für die Ressource Euro heute nicht mehr. Nachdem er wohl gegründet wurde mit dem gemeinsamen Verständnis, finanzielle Transaktionen zu vereinfachen und damit die europäische Wirtschaft zu fördern, ist heute dreierlei passiert.
Erstens hat sich die Maastricht-Regel "No Bailout" (keine Finanzhilfe zwischen den Staaten) als Norm herausgestellt (Regeln ziehen Sanktionen nach sich, Normen nicht), die viele Akteure nicht mehr teilen. "Kontrolle der Einhaltung der Regeln; die Kontrolleure sind den Nutzern verantwortlich" und "Abgestufte Sanktionen bei Regelverstößen, die Sanktionierer sind den Nutzern verantwortlich": Beides trifft nur gering zu.
Zweitens sind in dem aus mehreren Ebenen gestaffelten System von Institutionen (Bürger / Organisationen / Nation / Brüssel) die Interessen divergiert: Vom heutigen Euro profitiert der Schuldner, aber nicht der Sparer; der deutsche Arbeitsuchende, aber nicht der spanische Arbeitslose (Bürgerebene); Banken und die deutsche Exportwirtschaft, aber nicht die Wirtschaft Italiens (Organisationenebene); der deutsche Staatshaushalt, aber nicht der griechische (Nationenebene). Zukünftige nationale Profiteure und Verlierer betreffs der Schuldenstände und Bürgschaften wären ebenfalls einzubeziehen. 
Drittens, "Korruption und andere Formen opportunistischen Verhaltens" gelten als Bedrohungskomponente für Institutionen. Das Bankenwesen hat sich in den letzten 30 Jahren durch "rational-egoistisches" Verhalten unter Duldung der Gesellschaft zu einer Bereicherungsmaschine entwickelt (drastische Steigerung des Lohn/Bonus-Niveaus gegenüber anderen Branchen, Vereinnahmung von Gewinnen, aber Abgabe von Verlusten auf die Steuerzahler) und macht in der Eurokrise opportunistische Gewinne (indem sie die quasi zinslose Geldschwemme der EZB teurer weiterverleiht).
Auch hier legt die Allmendetheorie deutlich nahe, dass es auf die Dauer erfolgskritisch sein wird, diese Probleme zu lösen.
(Drei kritische Fachmeinungen finden Sie unter "Euro oder Europa?".)
Drittes Beispiel:  Ein von den betrachteten Parteien ebenfalls oft genanntes Thema betrifft die Frage nach mehr oder weniger Zentralisierung, nach der Sinnhaftigkeit eines "europäischen Bundesstaates". Die Allmendetheorie bietet hierzu aus den Faktoren, die die Bildung einer Allmende-Institution fördern, folgendes an: "Die Ressource lässt eine mögliche Verbesserung durch organisierte Nutzung erwarten"; "Der Ertrag der Ressource ist vorhersehbar"; "Die Ressource ist bezüglich ihrer Grenzen und ihrer Funktionalität überschaubar".
Die Komplexität eines "Superstaates" würde sicherlich (weiter) zunehmen, die Überschaubarkeit, demokratische Kontrolle und Änderungsfähigkeit weiter abnehmen bzw. schwieriger werden. Es ist also eigentlich nur die einfache Frage zu stellen: Ist ein gemeinsamer Nutzen vorhersehbar zu erkennen, und wiegt dieser höher als die mit der zunehmenden Komplexität verbundenen Nachteile?     
Die Beantwortung dieser Frage liegt in der Verantwortung der Akteure, d. h. der Bürger und Regierungen der beteiligten Nationen. "Brüssel" ist ein institutionelles Projekt der europäischen Nationen, und nicht umgekehrt.            




Quellenangaben und Kommentare
Da links zu Parteien möglicherweise schnell veralten, sind als PDF hinterlegte Quellen als solche gekennzeichnet.
(1) FAZ vom 26.5.14, "Volksparteien ohne Mehrheit"
(2) Internetversion von (1): faznet vom 26.5.14 "Volksparteien in Bedrängnis" (PDF)
(3) Europäisches Parlament / Ergebnisse der Europawahl 2014, abgerufen 2.6.14
(4) ECR, "About us" / dort "Eurorealism", abgerufen 4.6.14
(5) ECR, "Commission Work Programme 2014" (PDF), 1. Seite "Key Priorities"
(6) ECR, Media / Publications, dort "2014-2020 Multiannual Financial Framework", abgerufen 4.6.14
(7) EFD, "About us" / dort "Statutes", S. 3 "Political Platform" (PDF), 2014
(8) EFD, "Newsroom" / "Studies", dort "Objective Research on the Transatlantic and Investment Partnership", 8.4.14
(9) EFD, "Newsroom" / "Studies", dort 25.10.(2012) "Hearing on the TSCG and the Euro-Crisis", Textfassung "Où va l'euro?", M. Murer 2012
(10) EFA, "What's EFA and History"; auf der Internetseite der Partei findet sich kein Programm (Stand 4.6.14).
(11) GUE/NGL "Policy" / "Publications" (abgerufen 4.6.14), "Who we are - what we work for" (deutsch) (PDF)
(12) Kommentar: Die AfD kommt, zumindest in ihrer Gründungsphase, der "Elitepartei" sehr nahe. Von den sieben aktuellen EU-Abgeordneten sind vier Experten in Wirtschaftsfragen: 1) B. Lucke, VWL-Professor, 2007 Gründer des "Plenum der Ökonomen", dem über 300 VWL-Dozenten beitraten (Stand 2011), und das zu "volkswirtschaftlichen Ausnahmesituationen herausragender nationaler Bedeutung" Aussagen machen soll; 2012 Mitgründer der eurokritischen Bürgerinitiative "Bündnis Bürgerwille", weiterentwickelt zur "Wahlalternative 2013". 2) J. Starbatty, emeritierter VWL-Professor, der 2011 Verfassungsbeschwerde gegen den Euro-Rettungsschirm eingelegt hatte (erfolglos). 3) O. Henkel, vier Jahre Leiter der Leibnitz-Gemeinschaft, die anwendungsorientierte Grundlagenforschung zu gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragestellungen durchführt. 4) B. Kölmel, Referatsleiter des Rechnungshofes von Baden-Württemberg.
(13) AfD, "Programm zur Europawahl 2014, Kurzfassung" (PDF)
(14) Front National, "Le Projet du Front National" (abgerufen 4.6.14), "Europe" (PDF)
(15) wie (13), dort "Immigration" (PDF) (2014)
(16) wie (13), dort "Euro" (PDF) (2014)
(17) UKIP, "About" (abgerufen 4.6.14), "About" (PDF)
(18) UKIP, "Issues" (abgerufen 4.6.14), "What we stand for" (PDF)
(19) Conservatives Party, "Campaigns", "Let Britain decide", abgerufen 4.6.14
(20) DiePresse.com, "Komiker Grillo: "Euro ist ein Strick um den Hals" vom 10.5.14 (PDF)
(21) Podemos, "Programa", abgerufen 4.6.14), Programa (PDF)
(22) Wikipedia, "PVV", Parteiprogramm 2009, abgerufen 4.6.14
(23) PVV, Wahlprogramm 2012 (Niederländisch), abgerufen 4.6.14
(24) CNN vom 26.5.14, "Greece supports left-wing Syriza as Europe takes lurch to the right" (PDF)
(25) Dansk Folkeparti, Grundsatzprogramm 2002 (PDF)
(26) The Finns Party, "The EU Parliament Election Program 2014" (PDF)
(27) FAZ vom 25.6.14 "Bildung einer rechtsextremen Fraktion gescheitert"